Merkel: "Gruppen feiernder Menschen sind inakzeptabel"
Die verhängten Anti-Corona-Maßnahmen zielen auf puritanische Einschränkungen und die Vereinzelung im Privaten und werden auch wegen der Widersprüche und Einseitigkeiten die bereits schwelenden Konflikte in der Gesellschaft verstärken
Nun hat uns unsere Bundeskanzlerin gestern nach einer Sitzung mit den Regierungschefs wieder erklärt, dass gehandelt werden müsse - und das jetzt, eine "nationale Kraftanstrengung" müssen wir, das Volk, leisten. Aber nicht, weil wir in einer Notlage sind, sondern präventiv, um eine "Gesundheitsnotlage" zu vermeiden: "Wir müssen handeln, um eine akute nationale Gesundheitsnotlage zu vermeiden. Und dafür müssen wir Maßnahmen ergreifen." (Merkel)
Die Kurve müsse wieder abgeflacht werden, da die Nachverfolgung der Kontakte nicht mehr zu schaffen sei und die Infektionsketten nicht mehr unterbrochen werden könnten, die Kontrolle gehe verloren. Der bayerische Regierungschef Markus Söder macht einmal wieder auf ernst und staatstragend, verspricht, es wird schon wieder alles gut, geißelt die Unvernünftigen, die allen die Suppe eingebrockt haben, und frohlockt: "Deutschland ist nicht führungslos."
Es geht darum, das gesellschaftliche Treiben lahmzulegen, einen Monat lang. Virologen würden sagen, so Angela Merkel, die Kontakte müssten um 75 Prozent reduziert werden, auf ein "absolut nötiges Minimum". Und weil man aufgrund "politischer Prioritäten" das Wirtschaftsleben nicht unterbrechen und auch Schulen und Kitas nicht wieder schließen will, Gottesdienste auch nicht, müssen nun die Menschen die Opfer im Privat- und Freizeitbereich bringen, also da, wo es am wenigsten Lobbymacht gibt.
Auf Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, muss verzichtet werden. Das soll auch den Verkehr reduzieren, meint Merkel. Obgleich man aber in Restaurants, Kinos, Konzertsälen oder Theatern gut Hygiene- und Abstandsmaßnahmen umgesetzt hat und bislang auch nichts bekannt wurde, dass sich hier Infektionen ausbreiten, sagte die Bundeskanzlerin, dass mittlerweile 75 Prozent der Infektionsquellen unbekannt seien.
Man könne also nicht wissen, ob von Restaurants oder Theatern eine Gefahr ausgehe, was allerdings keine Begründung ist. Während man die Besuche solcher Orte von offenbar systemirrelevanter Kultur und Freizeit unterbindet, bleiben Geschäfte aller Art bis hin zu systemrelevanten Baumärkten, Modegeschäften oder Möbelhäusern geöffnet, deren Besuch keinen überflüssigen Verkehr verursacht. Aber es ist ja kurz vor Weihnachten. Verzichtet werden soll auf "unnötige" private Reisen, auf Geschäftsreisen und andere irgendwie notwendige nicht. Amateursportbetrieb wird ausgesetzt, die Profis dürfen weiterhin, wenn auch ohne Publikum.
Die Ökonomie definiert, wer Opfer bringen muss, dazu gehört auch, die Branchen zu schließen, deren Umsätze überschaubar sind. Alle Ikea-Häuser, Media-Märkte etc. zu schließen - und das auch noch vor Weihnachten -, würde bedeuten, dass man mit den vorgesehenen 10 Milliarden Euro kaum auskäme.
Nur nebenbei geht Merkel auf den ersten Lockdown ein, der bekanntlich das schon zuvor durch Verhaltensveränderungen der Menschen reduzierte Infektionsgeschehen nicht weiter abgesenkt hatte. Ob er überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen hatte, ist zweifelhaft, bestenfalls sorgte er mit dafür, dass die Infektionszahlen unten blieben, aber das blieben sie bis vor kurzem auch nach dem Lockdown.
Merkel pries nebenbei kurz das damalige "staatliche Handeln", kam aber nicht umhin, vor allem das Handeln der Menschen für die Abflachung verantwortlich zu sehen (das Frühjahr kam noch dazu). Aber warum jetzt dennoch erneut "staatliches Handeln" zum Wellenbrechen unbedingt erforderlich ist, ließ sie offen, erwähnte aber im Zusammenhang damit, dass "Gruppen feiernder Menschen" inakzeptabel seien, dass dieses Mal die Kontrollen verstärkt werden.
Karl Lauterbach hatte schon dafür plädiert, nun auch in Privatwohnungen die Einhaltung der Anordnungen zu kontrollieren, davor auch die Gewerkschaft der Polizei (Lockdown und break-in). Das konnte Bundesinnenminister Seehofer wohl nicht auf sich sitzen lassen. Er erklärte gegenüber Bild, er werde die Bundespolizei verstärkt zur Schleierfahndung einsetzen, um Einreisende aus Risikoländern auch auf den Straßen im Grenzraum abzufangen. Tausende Bundespolizisten sollen auch in Städten und Hotspots die Beachtung der Anti-Corona-Maßnahmen kontrollieren.
Der erste Shutdown soll die Lebenszufriedenheit kaum beeinträchtigt haben
Vor wenigen Tagen haben Psychologen der Universität des Saarlandes die Ergebnisse einer Umfrage zur Lebenszufriedenheit während der Pandemie-Zeit unter dem Titel "Corona-Pandemie hat bisher nur kurzfristige Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit" vorgestellt. Einschränkend muss man gleich sagen, dass nur 199 Personen an der Umfrage teilgenommen haben, die aber fünfmal von Mitte März bis Mitte Mai befragt wurden.
Es war Frühjahr und das Wetter schön, man konnte sich draußen aufhalten und hatte die Aussicht, dass der Spuk bald vorüber sein wird. Die Lebenszufriedenheit sei durchschnittlich geringfügig zu Beginn gesunken und habe dann wieder zugenommen. Umgekehrt sank das Stressempfinden bei vier Befragungen und nahm vor allem bei Frauen Mitte Mai mit den Lockerungen wieder zu, wahrscheinlich weil die Frauen wegen der Kita- und Schulschließungen mehr belastet waren als die Männer. Insgesamt attestieren die Psychologen, dass der mäßige Lockdown in Deutschland auch positive Erfahrungen ermöglicht haben soll.
Ein möglicher Grund hierfür könnte die Veränderung des Tagesablaufs sein: "Neben dem häufigen Wegfall von Terminen und sozialen Verpflichtungen bot die Pandemie durch den Shutdown einen Rahmen, sich mal mit anderen Dingen und mehr mit sich selbst zu beschäftigen. Insgesamt konnten wir unsere Annahme, dass die Pandemie eher negative Konsequenzen auf unser Wohlbefinden hat, erfreulicherweise bisher nicht bestätigen", resümiert Julie Levacher."
Man darf annehmen, dass mit dem wieder ansteigenden Infektionsgeschehen und dem Wissen, den langen Winter mit erhöhtem Risiko vor sich zu haben, während gleichzeitig wieder das soziale Leben durch die neuen Maßnahmen, die die Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder auch im weiteren europäischen Kontext der Lockdowns um Deutschland herum beschlossen hat, die schon länger schwelende Lebensunzufriedenheit erst richtig anfachen wird. Demonstrationen etwa in Italien zeigen, dass auch dort der Geduldsfaden reißt, wo die Bevölkerung lange viel schärfere Maßnahmen mitgetragen hat.
Bislang waren die Deutschen nach einer Umfrage vom 27. Oktober, mit den praktizierten Maßnahmen noch einverstanden, 32 Prozent waren sie sogar nicht streng genug. Das wird sich nun spätestens ab dem 2. November ändern, wenn die neuen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen und die Verbote für alle Betriebe, die Freizeit, Kultur und geselliges Beisammensein bieten, in Kraft treten. Der Wiedereintritt in die puritanische Zeit - man könnte böswillig auch von einer Taliban-Ordnung sprechen - wird den Anteil der Unzufriedenen, der in der Umfrage bei 15 Prozent lag, deutlich erhöhen und die Spannung zwischen Gegnern und Befürwortern oder Duldnern der Maßnahmen verstärken. Dass die Deutsche Bischofskonferenz die Beschlüsse für gut befindet, muss nicht verwundern: "Die Maßnahmen sind notwendig und gleichzeitig brauchen wir ein Höchstmaß an Eigenverantwortung und Solidarität", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing.
Die Hälfte der für den DeutschlandTrend vom 27. Oktober Befragten sagt, die Kontrollen der Anti-Corona-Maßnahmen würden nicht weit genug gehen. Darauf haben nicht nur Politiker wie Merkel, Lauterbach und Seehofer bereits reagiert, man wird auch davon ausgehen können, dass Regelverletzer, die gegen das angebliche Interesse der Gemeinschaft handeln und vielleicht auch noch in der harten Zeit "unvernünftig" Vergnügen nachgehen, schneller und öfter angezeigt, aber auch beschimpft und ausgegrenzt werden. Das wird die Stimmung weiter aufschaukeln. Interessant ist, dass die Älteren und die Männer am wenigsten der Meinung sind, sie könnten persönlich zur Eindämmung beitragen.
Über das Leben von vielen hat sich schon ein Schleier gelegt. Seuchen, wie man sie früher nannte, haben zu Unruhen, verschärfter Kontrolle, zunehmenden Zentralismus und langfristigen Verhaltensveränderungen geführt - von neuer Scham über Hygieneregeln, Kleidung, Reisen und Wohnen bis hin zur Stadtplanung und Architektur. Das wird auch die Folge der Coronakrise sein, die den Gang in die Virtualität und in Techniken der Kontaktlosigkeit ebenso verstärken wird wie den Zwang zur Sauberkeit und zu einem weiteren Puritanismus.
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