"Merkel hat de facto die Dublin-Abkommen außer Kraft gesetzt"
Hannes Hofbauer über die muslimische Massenmigration und ihre Folgen, Teil 2
Anfang Dezember soll in Marokko auf einer UN-Vollversammlung mit dem "Globalen Pakt für Migration" die Masseneinwanderung juristisch ratifiziert werden. Ein Schritt in die richtige Richtung? Hannes Hofbauer, Autor des Buches Kritik der Migration äußert sich skeptisch.
Herr Hofbauer, welche internationalen Vereinbarungen hat Angela Merkel 2015 mit ihrer Entscheidung außer Kraft gesetzt und was bedeutet das für das politische Gleichgewicht innerhalb der EU?
Hannes Hofbauer: Merkel hat de facto, wenn auch nicht de jure, die Dublin-Abkommen außer Kraft gesetzt. Dazu muss man sagen, dass schon diese Abkommen per se den imperialen Charakter der deutschen Vorherrschaft in EU-Europa zeigen. Denn "Dublin" bedeutet im Migrationskontext, dass jenes Land der Europäischen Union, auf dessen Boden der Drittstaatsangehörige zuerst seinen Fuß setzt, für seine Behandlung im Fall der Ablehnung des Asylantrages zuständig ist. Der Zentralmacht Deutschland ist es mit der Einführung des Dublin-Regimes also gelungen, die Last der Flüchtlingsfrage auf die EU-europäische Peripherie abzuwälzen. Denn um nach Deutschland direkt zu kommen, müssten Asylantragsteller über die Ostsee schwimmen oder per Flugzeug einfliegen.
Letzteres ist um ein Vielfaches schwieriger als der Landweg und wird zudem von eigenen Vorfeldprüfungen auf deutschen Flughäfen erschwert. Konkret schultern also Länder wie Griechenland, Bulgarien, Italien und Ungarn die Dublin-Last. Weil Griechenland 2015 wegen immenser Strukturprobleme vom Dublin-Übereinkommen ausgenommen war, trug Ungarn die gesamte Bürde. Der Spiegel schrieb damals zum gleichzeitig stattfindenden Merkel-Hype und Orbán-Bashing: "Merkel kann sich Gesinnungsethik erlauben, weil Viktor Orbán das Grobe erledigt". Orbán hatte - Dublin sei’s geschuldet - keine andere Wahl.
"Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch ist aktive Migrationspolitik"
Wie ist es um die rechtliche Substanz für die Regulierung der Massenmigration bestellt?
Hannes Hofbauer: Mir geht es nicht um die Regulierung von Massenmigration. Mein Anliegen ist es, die Ursachen von Migration zu bekämpfen. Das sagen zwar jetzt viele, getan wird allerdings das Gegenteil. Die oben angesprochenen Partnerschaftsabkommen - der Begriff "Partner" ist dafür freilich euphemistisch - verursachen Migration. Desgleichen die von westlichen Militärallianzen geführten Kriege in der islamischen Welt. Seit dem ersten Irak-Krieg 1991 zieht sich eine Blutspur der NATO und fallweiser williger Koalitionen von Afghanistan über den Nahen Osten, den Jemen und Libyen bis nach Mali. Millionen von Vertriebenen sind die Folge.
Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch ist aktive Migrationspolitik, so wie jeder Krieg Menschen in die Flucht schlägt und Migrationswellen auslöst. Kein Krieg, keine Freihandelsabkommen … das würde sich migrationshemmend auswirken.
Wie bewerten Sie den "Globalen Pakt für Migration", der Anfang Dezember auf einer UN-Vollversammlung verabschiedet werden soll?
Hannes Hofbauer: Es ist ein hilfloser Versuch, Migrationsmanagement betreiben zu wollen. Aber wie gesagt, mir geht es nicht um das Verwalten von ungleicher Entwicklung, die zu Massenwanderungen führt. Stattdessen sollten soziale Differenzen und regionale Disparitäten entschieden bekämpft werden. Solange auf der Welt die Einkommensdifferenz von einem der reichsten Staaten (den USA) zu einem der ärmsten (dem Kongo) 93:1 beträgt, wirkt es wie aus der Zeit gefallen, Migration sicher, geordnet und regulär, wie es in der Überschrift zum UN-Pakt steht, gestalten zu wollen. Mehr noch: Ohne heftigste Anstrengungen in Richtung mehr soziale Konvergenz weltweit legitimiert ein solcher Pakt die herrschende Ungleichheit, indem er technische Machbarkeiten vortäuscht, die an der Wirklichkeit scheitern müssen.
"Ein Armutszeugnis der Linken"
Was kritisieren Sie am Konzept der multikulturellen Gesellschaft?
Hannes Hofbauer: Nichts, eine multikulturelle Gesellschaft finde ich lebenswert. Was ich an der Linken kritisiere, ist ihre Hinwendung zu Diversität und Weltoffenheit. Sehen wir uns mal in der Europäischen Union um. Da redet die Linke seit über einem Vierteljahrhundert davon, dass es nun endlich auch mal darum gehen müsse, soziale Fragen gemeinsam anzugehen. Lange Zeit wurde offensichtlich nicht erkannt, dass die Brüsseler Union gerade der Garant für die Parallelität von ökonomischer Konvergenz und sozialer Divergenz ist. Aus diesem Ungleichgewicht zieht der Investor seinen Profit.
Nun kommt mir manchmal vor, Teile der Linken haben eingesehen, dass aus der EU keine Sozialunion werden kann. Ihre Reaktion ist allerdings nicht, die EU fundamental zu kritisieren, sondern einen politischen Paradigmenwechsel zu vollführen. Statt Gleichheits- und Kollektivitätspostulat setzt man nun eben auf Diversität und Weltoffenheit. Beides ist mit dem Kapital bestens kompatibel. Diversität sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, jeder und jede muss so leben können, wie es ihr oder ihm gefällt. Das zur politischen Hauptparole zu erklären, ist ein Armutszeugnis der Linken. Und dem Begriff "Weltoffenheit" kann ich keinen Sinn entnehmen. Das wäre das Gegenteil? Weltgeschlossenheit? Ich übersetz ihn für mich mit "Investitionsfreiheit samt ungehinderter Gewinnrückführung".
Sie erklären das Integrationskonzept für gescheitert. Warum?
Hannes Hofbauer: Die Frage stellt sich: Integration wohin? Idealtypisch landet ein aus einem gambischen Dorf stammender 20jähriger Schwarzafrikaner hier als Hotel-Boy oder Küchengehilfe einer internationalen Schnellimbisskette, eine slowakische junge Mutter als Altenpflegerin in einer Mittelklassefamilie und ein bengalischer Einwanderer als frühmorgendlicher Austräger einer Tageszeitung oder Paketzusteller. Vor dieser Wirklichkeit kann man doch nicht die Augen verschließen. Das hat für mich allerdings nichts mit Integration zu tun, eher schon mit einer zunehmend segmentierten Gesellschaft, die sich zusätzlich zu Klassendifferenzen auch kulturell und ethnisch immer mehr aufspaltet. Darüber können Einzelfälle, die diese Grenzen überschreiten, so gut und eindrucksvoll sie auch sein mögen, nicht hinwegtäuschen.
Sie schreiben, dass die Linke in die "Identitätsfalle" gestolpert sei. Was meinen Sie damit und wie begründen Sie das?
Hannes Hofbauer: Dort, wo die soziale Frage nicht mehr gestellt wird, weil man sie im Angesicht des wirtschaftlichen Primats verloren glaubt, treten Forderungen nach schlecht bis unzureichend kodifizierbaren Menschenrechten oder ein Recht auf Diversität und Anderssein in den Vordergrund. In anderen Worten: es geht um kulturelle Identität statt um soziale Auseinandersetzung. Diesen Wechsel, den freilich und glücklicherweise nicht alle Linken mitmachen, bezeichne ich als Identitätsfalle. Mein Buch spürt demgegenüber wirtschaftlichen und militärischen Ursachen für soziale und regionale Ungleichheiten - auch mit historischen Rückgriffen - nach und stellt fest, dass zu deren notwendiger Überwindung technische Tricks oder individuelle Auswege untauglich sind.
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