Merkel trifft EU-Reformfront in Schweden

Alle großen englischen Parteien gegen Juncker

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in Schweden mit dem dortigen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt, dem britischen Premier David Cameron und dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte getroffen. Obwohl Merkel selbst verlautbarte, die Frage, wer EU-Kommissionspräsident wird, werde erst im Juni beantwortet, gehen die meisten Medien davon aus, dass es bei dem Treffen unter anderem um diese Personalie ging.

Cameron, Rutte und Reinfeldt gelten nämlich als die drei entschiedensten Gegner des Luxemburg Jean-Claude Juncker, den die Christdemokraten im Europaparlament am 7. März als "Spitzenkandidaten" für die Europawahl nominiert hatten. Dass es überhaupt "Spitzenkandidaten" gab, wurde jedoch vor allem im deutschen Wahlkampf kommuniziert. Und auch hierzulande stand vor allem Martin Schulzens Ein-Deutscher-muss-Kommissionspräsident-werden-Kampagne im Vordergrund. Juncker wurde von CDU und CSU weniger als Herzensangelegenheit präsentiert, sondern eher als Versuchsballon, den man in Fernsehdebatten schickt, damit in der Realität weitgehend einheitliche Positionen für den Wähler durch zwei verschiedene Gesichter unterschiedlich erscheinen.

Wie einheitlich diese Positionen sind, zeigt sich auch darin, dass mittlerweile vor allem die deutschen Sozialdemokraten darauf pochen, dass Juncker EU-Kommissionspräsident werden müsse, weil er Spitzenkandidat der stärksten Fraktion gewesen sei. Dabei dürfte auch eine gewichtige Rolle spielen, dass Juncker die von der SPD geforderten Eurobonds einführen will, mit denen Staatsschulden offen vergemeinschaftet würden.

Das macht den ehemaligen Luxemburger Ministerpräsidenten, der im letzten Jahr wegen einer Geheimdienstaffäre stürzte, in England sehr unbeliebt. Die Boulevardzeitung The Sun machte Juncker, der in der Vergangenheit öfter einmal mit einem eher taktischen Verhältnis zur Wahrheit auffiel, unlängst sogar zum "gefährlichsten Mann Europas".

Angesichts dessen zog jetzt auch die sozialdemokratische Labour Party die Notbremse und kündigte öffentlich an, im Europaparlament ebenso wie die EU-skeptische UKIP und die Tories gegen Juncker als Kommissionspräsidenten zu stimmen. Im Hintergrund stand dabei möglicherweise das Schicksal der offenbar allzu euro-euphorischen Liberaldemokraten, die bei der Europawahl zehn ihrer vorher elf Sitze verloren, bei einer Parlamentsnachwahl am Donnerstag in Newark mit 2,59 Prozent hinter den Grünen landeten und sich nun in Gesellschaft von Spaßparteien wie der Church of the Militant Elvis Party finden, die Einwanderer mir riesigen Plakaten britischer Promis auf Flughäfen abschrecken will.

Auch die ungarischen Konservativen, die im Europaparlament der christdemokratischen Fraktion angehören, haben bereits durchblicken lassen, dass sie nicht für Juncker stimmen werden. Damit ist die Parlamentsmehrheit für dem Luxemburger von 35 auf drei Stimmen geschrumpft. Votieren auch EVP-Fraktionsmitglieder aus anderen Ländern gegen ihn (beispielsweise aus Italien, den Niederlanden, Schweden oder Finnland), dann wäre er auf Hilfe aus den Reihen der Grünen und der Liberalen angewiesen, wo man ihn ebenfalls nicht bedingungslos schätzt.

Medienberichten zufolge spekuliert Merkel deshalb darauf, dass sich Juncker in dieser oder in der nächsten Woche selbst aus dem Rennen nimmt, um sich eine weitere Demontage zu ersparen. Tut er das nicht, müsste er Briten, Niederländern, Schweden und Ungarn womöglich inhaltliche Versprechen für eine Rückübertragung von Kompetenzen an die Nationalstaaten machen, die seiner bisherigen Politik diametral entgegenstehen.

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