Metalle mit bestem Gedächtnis

Eine neuartige Legierung kann zwischen zwei eingeprägten Formen wechseln, dabei hohe Lasten bewegen und verliert ihre Eigenschaften auch nach Tausenden Zyklen nicht

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Wenn ein Blutgefäß im Körper durch Ablagerungen verstopft ist, hat das für den Betroffenen schwerwiegende Folgen. Es kommt nicht nur wie im Straßenverkehr zu einem Stau, sondern das von diesem Gefäß versorgte Gewebe kann seine Funktion nicht mehr aufrecht erhalten, es stirbt ab. Der Mediziner spricht dann von einem Infarkt. Gängiges Gegenmittel sind inzwischen Stents: kleine Röhrchen, die man in die betroffenen Gefäße einführt, um sie zu öffnen beziehungsweise offen zu halten.

Weltweit etwa die Hälfte aller Stents arbeiten heute mit einem speziellen Material, Nitinol genannt. Dabei handelt es sich um eine Nickel-Titan-Legierung mit einer speziellen Eigenschaft. Diese wird beim Einführen des Stents offenbar, der zunächst nur einen winzigen Durchmesser besitzt und sich dadurch bequem am gewünschten Ort platzieren lässt. Ist dieser Ort erreicht, entfernt der Arzt die bisher um den Stent geschlungene Hülle, die eine Kraft auf diesen ausübte. Dieser Vorgang führt dazu, dass die Nitinol-Legierung sich an ihre ursprüngliche Form (mit deutlich größerem Durchmesser) erinnert und sich so ausdehnt, dass die Gefäßwände stabilisiert werden.

Stents. Foto: Frank C. Müller. Lizenz: CC BY-SA 2.5

Nitinol ist ein erfolgreich in der Praxis eingesetztes Beispiel einer Formgedächtnis-Legierung. Auch andere Legierungen wie etwa Nickel-Titan-Kupfer oder Kupfer-Zink verfügen über ähnliche Eigenschaften. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass es mindestens zwei unterschiedliche Gitterstrukturen gibt, in denen diese Stoffe existieren können. Bei einer Übergangstemperatur oder unter Krafteinwirkung wechselt ihr Aufbau zwischen diesen Strukturen - und dadurch verändert sich auch die äußere Form.

Dabei können diese Stoffe oft enorme Lasten bewegen, eine Eigenschaft, die sie für technische Anwendungen sehr spannend macht. Die Autoindustrie setzt Formgedächtnislegierungen zum Beispiel inzwischen für Ventile ein. Allerdings standen die Ingenieure bisher vor einem Problem, wenn sie die Eigenschaften der Formgedächtnislegierungen wirklich ausreizen wollten: Durch jede Formveränderung verändern sich die Eigenschaften des Materials leicht, und zwar umso stärker, je mehr Leistung der Stoff dabei vollbringen muss. Das ist bei Stents (einmalige Formveränderung) oder Ventilen (geringe Kraft nötig) nicht so wichtig. Kommt man jedoch in die Nähe des Maximums bewegbarer Lasten, verändert sich bei jedem Zyklus etwa die Übergangstemperatur deutlich.

Deshalb ist aus Sicht der Technik eine Legierung sehr spannend, die Forscher in Science vorstellen. Die Wissenschaftler analysierten dazu dünne Filme von Titan-Nickel-Legierungen unter dem Elektronenmikroskop und dem Röntgendiffraktometer. Dabei stellten sie fest, dass sich bei Ti54.7Ni30.7Cu12.3Co2.3 zum einen die beiden Phasen in ihrer Struktur ähneln, was den Übergang vereinfacht. Zum anderen kommt es aber durch die spezielle stöchiometrische Zusammensetzung in kleinsten Bereichen zur Ausbildung einer Ti2Cu-Phase, die wie eine Art Schmiermittel wirkt.

Das Ergebnis ist ein Material, das bei einer Formveränderung Drücke von 400 Megapascal ausüben kann (das entspricht dem Doppelten der Anforderungen für Baustahl) und dabei trotzdem auch nach Millionen Zyklen seine Eigenschaften beibehält. Interessant ist dabei auch, dass sich das Vorgehen der Forscher wohl auch auf andere vielversprechende Legierungen übertragen lässt. So müsste sich ein biokompatibles Material finden lassen, das dauerhaft und ohne Energiezufuhr von außen mechanische Arbeit im Körper verrichten kann.

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