Mietexplosion: Warum Gewerkschaften eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit fordern
Beschäftigte mancher Branchen können sich keinen Wohnraum in der Nähe ihrer Arbeitsstätten mehr leisten - und bei ALG-II-Beziehern zahlt der Staat Mieterhöhungen mit
"Keine Rendite mit der Miete - Für eine neue Wohngemeinnützigkeit" heißt eine kürzlich von den Gewerkschaften IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und ver.di herausgegebene Broschüre. Das Thema ist für ihre Zielgruppe virulent, denn Beschäftige vieler Branchen haben während der Corona-Krise Einkommen verloren. Auf dem Gewerbemietmarkt hat sich die Pleitewelle insofern ausgewirkt, als die Eigentümer Ladenflächen nicht mehr wie selbstverständlich zu ihren Wunschpreisen vermietet bekommen. Um bis zu 40 Prozent günstiger werden Ladenflächen zum Beispiel in Hamburg angeboten.
Bei den Wohnungsmieten sieht es anders aus. "Im Einzelhandel nehmen Teilzeit, Minijobs und schlechte Stundenlöhne seit vielen Jahren zu. Gleichzeitig explodieren die Mieten - und zwar vor allem dort, wo es besonders viele Geschäfte gibt: In den Großstädten", sagt Kristina Kroß, Betriebsrätin im Berliner Lebensmittel-Einzelhandel, die in der Gewerkschaftsbroschüre zu Wort kommt. "Es darf nicht sein, dass die Beschäftigten im Handel immer weitere Anfahrtswege haben, weil sie sich das Wohnen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes nicht mehr leisten können."
Die Teilzeitkräfte sind zum Teil Aufstockerinnen und Aufstocker. Bei ihnen und bei Erwerbslosen zahlt auch der Staat die steigenden Mieten mit - jedenfalls bis zu einer ortsabhängigen Obergrenze. Die Differenz zur tatsächlichen Miete muss sonst eben aus dem Regelsatz bezahlt werden, der für Ernährung, Kleidung, Hygiene, Mobilität, Post und Telekommunikation schon knapp bemessen ist.
Zwei Milliarden zu viel
Weil der Staat aber in der Regel die Mieten der Bezieher von Arbeitslosengeld II begleicht, müssten Jahr für Jahr steigende Summen aufgewendet werden, die besser in der Wohnungsbauförderung angelegt wären, kritisierte der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger am Montag. "Insgesamt kostet die drastische Steigerung der Mieten bei den Wohnungen von Hartz-IV-Empfängern knapp zwei Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr", so Feiger. "Das ist das Geld, das Bund und Kommunen über die Job-Center für die Kosten der Unterkunft mehr ausgeben müssen, weil die Mieten in den letzten sechs Jahren um rund 30 Prozent rasant nach oben gegangen sind."
Die Gewerkschaft bezieht sich auf Berechnungen des Pestel-Instituts, nach denen Kaltmieten für einfache Wohnungen im Bundesdurchschnitt von Januar 2015 bis März 2021 um fast 30 Prozent auf 7,05 Euro gestiegen seien. Da sich die allgemeinen Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum "nur" um 9,1 Prozent erhöht hätten, zahle der Staat jeden Monat 164,4 Millionen Euro mehr, als die Mieten gekostet hätten, wenn sie proportional zu den Verbraucherpreisen gestiegen wären. Das seien pro Jahr fast zwei Milliarden Euro.
"Wenn der Staat durch eine effektivere Wohnungsbaupolitik für mehr Neubau vor allem von bezahlbaren Wohnungen und von Sozialmietwohnungen gesorgt hätte, dann würde es auch mehr preisgünstige Wohnungen auf dem Markt geben", so Feiger.
In den letzten 35 Jahren wurden aber nicht nur die Fördergelder für den Sozialen Wohnungsbau reduziert - es fielen auch immer mehr Sozialwohnungen aus der Preisbindung. Von 1986 bis heute sank ihre Zahl von rund 3,4 Millionen auf rund eine Million.
Neue und alte Wohnungsgemeinnützigkeit
"Neue Wohnungsgemeinnützigkeit" heißt unter anderem, dass die Mieten sich auf die tatsächlichen Kosten für Verwaltung und Instandhaltung beschränken und somit für Menschen mit niedrigen bis mittleren Einkommen erschwinglich bleiben - und dass durch Steuererleichterungen, Zuschüsse oder die Vergabe öffentlicher Baugrundstücke geförderte Wohnungen auch gemeinnützig bleiben. Sie dürfen allenfalls an andere gemeinnützige Unternehmen verkauft werden.
In der alten Bundesrepublik bedeutete Wohnungsgemeinnützigkeit, dass sich Unternehmen verpflichteten, alle ihre Wohnungen auf Dauer zu beschränkten Preisen zu vermieten, die auszuschüttende Rendite auf vier Prozent zu begrenzen und das Firmenvermögen nur für den Wohnungsbau einzusetzen. Dafür waren sie von der Körperschafts-, Gewerbe- und Vermögensteuer sowie in einigen Bundesländern auch von der Grunderwerbsteuer befreit.
In den 1980er-Jahren hieß es dann aber, durch die Regelung gingen Steuereinnahmen verloren - und die Wohnungsnot der Nachkriegszeit sei schließlich überwunden. So kam es das "Gesetz zur Überführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in den allgemeinen Wohnungsmarkt" zustande - und nun fallen öffentlich geförderte Sozialwohnungen nach 15 bis 25 Jahren aus der Preisbindung heraus.
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