Migranten: Warum sie eine Ressource für Italien sind

Bild: dba87/shuterstock.com

Das italienische Dilemma zwischen Steuerung der Migrantenzahl und der Bekämpfung illegaler Beschäftigung: Die Ausbeutung in der Landwirtschaft floriert.

Seit Jahren sprechen wir über Migranten, illegale Landungen, Aufnahmezentren an der Grenze ihrer Kapazität, Todesfälle auf See und Schlepper, die wie Geister verschwinden. Die verschiedenen italienischen Regierungen der letzten Jahre haben es immer noch nicht geschafft, einen Weg zu finden, die Ankunft dieser Menschen besser zu kontrollieren und zu steuern.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind etwas mehr als 25.000 Geflüchtete an den italienischen Küsten gelandet. Das ist deutlich weniger als im gleichen Zeitraum des Jahres 2023, entspricht aber dem Niveau der Jahre zuvor.

Geringere Zahl der Ankünfte

Die geringere Zahl der Ankünfte wird von der Regierung Meloni als Erfolg gewertet, aber diese Zahlen sind ähnlich wie 2021 und 2022, als Mario Draghi als Regierungschef im Palazzo Chigi saß.

Eine Analyse der Anlandungen in den ersten sechs Monaten des Jahres zeigt auch, dass etwa ein Fünftel der Migranten, die auf dem Seeweg in Italien ankamen, aus Bangladesch stammen, einem Land, das in den letzten Monaten in die Liste der sogenannten "sicheren" Länder aufgenommen wurde.

Zweischneidige Rolle der Migration in der italienischen Wirtschaft

Eine komplizierte Situation aus bürokratischer, sozialer und logistischer Sicht. Aber manchmal kommen auch Zweifel auf: Es ist eine Tatsache, dass die Migranten eine wichtige Ressource für Italien sind: Nach Abzug der Aufnahmekosten in Höhe von ca. zwei Milliarden Euro erwirtschaften die Geflüchteten durch ihre Arbeit einen positiven Saldo von ca. 6,5 Milliarden Euro.

Allein in der Landwirtschaft liegt die Quote der illegalen Beschäftigung bei 39 Prozent und ist somit ein Geschäft mit der irregulären Arbeitskraft von Landarbeitern in Höhe von ca. 4,8 Milliarden Euro. Ein Feldarbeiter verdient im Durchschnitt drei bis fünf Euro pro Stunde. Dies ist moderne Sklaverei, die vom italienischen Staat geduldet wird.

Illegale Anwerbung unterbezahlter Landarbeiter

In Italien benutzt man den Ausdruck "caporalato", was so viel bedeutet wie die illegale Anwerbung unterbezahlter Landarbeiter. Eine Form der Arbeitsausbeutung, von der Tausende von Menschen, vor allem Einwanderer, betroffen sind, die unter prekären und illegalen Bedingungen in verschiedenen Sektoren wie Landwirtschaft und Baugewerbe beschäftigt sind.

Diese illegale Anwerbung unterbezahlter Landarbeiter ist in Italien ein weitverbreitetes Phänomen, trotz spezifischer Rechtsvorschriften zu seiner Bekämpfung.

Es handelt sich um eine illegale Arbeitsvermittlung, bei der der "caporale", der Vorarbeiter, den Transport, die Arbeit und manchmal auch die Unterbringung der Arbeitnehmer organisiert, einen Teil des Lohns einbehält und sie oft zwingt, unter unmenschlichen Bedingungen und ohne angemessene Rechte und Schutzmaßnahmen zu arbeiten.

Ausbeutung von billigen Arbeitskräften

Diese Arbeitnehmer werden nicht nur unterbezahlt, sie müssen zermürbende Arbeitszeiten in Kauf nehmen und haben keinen Anspruch auf die üblichen Arbeitsrechte, wie Arbeitsplatzsicherheit, Sozialversicherungsbeiträge und Versicherungen.

Ein symbolischer Fall sind die Flüchtlinge, die in der süditalienischen Landwirtschaft, insbesondere auf Sizilien, angeheuert werden. Die Anwesenheit von Migranten, die Sizilien als vorübergehende Etappe ihrer Reise betrachten, hat zu einem Anstieg des Angebots an billigen Arbeitskräften geführt, die den vorübergehenden Bedarf des Marktes und der lokalen Produktionssektoren decken können.

Im Südosten der Insel, besonders in Cassibile (Provinz Syrakus), ist die saisonale Arbeit von Migranten in der Landwirtschaft seit Jahren gängige Praxis. So fahren viele Saisonarbeiter nach Cassibile, um Kartoffeln zu ernten. Jeden Morgen zwischen 5:00 und 7:00 Uhr werden die Migranten auf dem Hauptplatz oder in den Dorfcafés angeworben und dann zum Arbeitsplatz gebracht.

Dort erwartet sie ein neun- bis zehnstündiger Arbeitstag, der mit einem Lohn von 30/35 Euro vergolten wird, von dem durchschnittlich 3,00 bis 5,00 Euro pro Person für den Transport einbehalten werden. Die durchschnittliche Ernte liegt bei 100 Kisten Kartoffeln pro Tag. Wer das Ziel nicht erreicht, bleibt am nächsten Tag stehen und hat keine Arbeit mehr.

Die Herausforderung der Abschiebungen

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 konnte Italien nur zwölf Prozent der Migranten, denen es den internationalen Schutz verweigert hat, zurückschicken: Von 13.200 Ausreiseaufforderungen wurden 1.620 Abschiebungen umgesetzt.

Aus den von Eurostat (dem statistischen Amt der Europäischen Union) veröffentlichten Daten geht hervor, dass die italienische Regierung Schwierigkeiten hat, einen der Punkte umzusetzen, die im erklärten Kampf gegen die irreguläre Migration als grundlegend angesehen werden: die Intensivierung der Abschiebungen.

Dies jedoch – wie sowohl in Rom als auch in Brüssel wiederholt eingeräumt wurde – stellt ohne genaue Vereinbarungen mit den Herkunftsländern ein sehr schwer einzuhaltendes Versprechen dar. In dem Zehn-Punkte-Plan, den die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in Lampedusa vorstellte, ist ein stärkeres Engagement in dieser Frage vorgesehen.

Es wurde versucht, mit mehreren afrikanischen Ländern zu verhandeln, bisher jedoch mit wenig Erfolg. Zurückweisungen auf dem offenen Meer sind verboten. Es ist also nicht möglich, eine Bootsladung Migranten zurückzuschicken.

Wer vor einem Krieg flieht, hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Nach Prüfung des Antrags kann entschieden werden, ob die Person zurückgeschickt werden muss oder in Italien bleiben kann.

Die Wahrnehmung der Migration in Italien

Die Wahrnehmung der Migration in Italien ist stark von der politischen Rhetorik geprägt, erklärt Andrea Fabozzi, Direktor der linken Zeitung, Il Manifesto, im Gespräch mit Telepolis:

Die italienische Rechte hat ein ernsthaftes Problem mit der Frage der Migranten. Sie spielt mit der Angst der Menschen und verwendet oft Ausdrücke wie "Invasion" oder verbreitet Nachrichten, indem sie sie leicht abändert.

Die meisten irregulären Einreisen nach Italien erfolgen übrigens nicht auf dem Seeweg. Diejenigen, die auf dem Landweg ankommen, werden nicht unbedingt als "eindringende Feinde" betrachtet. Migranten, die auf dem Seeweg ankommen, sind meist dunkelhäutig und werden daher von der Rechten als "gefährlicher" angesehen.

Für viele Migranten ist Italien immer noch ein Transitland. Viele von ihnen wollen Verwandte und Freunde im Ausland erreichen, insbesondere in Deutschland. Wenn man sich die Zahlen ansieht, hat Deutschland viel mehr Migranten aufgenommen als Italien.

Andrea Fabozzi, Il Manifesto

Die Wahrnehmung von Migranten in Italien und auch im übrigen Europa sei nicht immer die gleiche. Große Solidarität wurde mit Flüchtlingen aus der Ukraine geübt. Das stellen sich die Fragen: Was ist da anders? Hautfarbe, Religion?

Andrea Fabozzi erwähnt dazu eine Umfrage, die vor nicht allzu langer Zeit durchgeführt wurde und bei der die Bürger in mehreren europäischen Ländern gefragt wurden, wie hoch ihrer Meinung nach der Anteil der Migranten in ihrem Land ist.

In Deutschland gaben die Befragten Zahlen an, die sehr nahe an der Realität lagen. In Italien hingegen haben die Befragten stark übertrieben, was bedeutet, dass in Italien von einer Notlage gesprochen wird, die es in Wirklichkeit so nicht gibt.

Italiens wirkliche Probleme

An dieser Stelle muss man sich fragen, wie sehr das, was man in den Medien liest und hört, der Realität entspricht?

Die Gewichtung, die die Migrantenfrage in der politischen Rhetorik und in den Zeitungen erhält, die oft über die Aktivitäten der Minister in den sozialen Medien berichten, ist stärker als in der Realität.

Die Italiener sind derzeit mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Die erste ist der Mangel an Arbeit, die zweite die immer größer werdende Armut, die dritte die Gesundheitsversorgung, die in Italien eine Katastrophe ist.

Und dann gibt es noch den spürbaren Klimanotstand. Der Verkehrsminister Matteo Salvini sagt nichts darüber, dass man in diesem Jahr in Italien kaum reisen kann. Züge haben fast immer Verspätung, es gibt zu viele Baustellen, aber er spricht lieber über die Invasion der Migranten und wählt Themen aus, die den Rechten Stimmen bringen.

Andrea Fabozzi

"Alle nach Albanien"

Fabozzi hebt einen weiteren wichtigen Punkt hervor:

Die Idee der italienischen Regierung war es, ein Land zu finden, das nicht zur Europäischen Union gehört und in dem die europäischen Gesetze nicht angewandt werden können. Dorthin sollten die Migranten überführt werden, um von dort aus in ihre Heimatländer zurückgeschickt zu werden.

Da dies nicht immer möglich ist, würden die Geflüchteten in Albanien bleiben. Die albanische Regierung hat klar formuliert, dass diese Lösung nicht in Frage kommt. Die Aktion sollte noch vor den Europawahlen beginnen – ein bisschen Propaganda schadet nie –, aber die Umsetzung war nicht möglich.

Dann hieß es, sie könne noch vor dem Sommer beginnen, aber bis jetzt ist nichts passiert. Das Projekt verzögert sich weiter, und so kam die Idee auf, ein bestehendes Aufnahmezentrum in Porto Empedocle auf Sizilien zu nutzen, es aber für exterritorial zu erklären, d.h. eine juristische Fiktion zu schaffen, um dann die eigens hierfür geschaffenen Regeln anwenden zu können.

Andrea Fabozzi, Il Manifesto

Das Projekt des Aufnahmezentrums in Albanien ist nicht völlig zum Stillstand gekommen, aber die Umsetzung wäre mit exorbitanten Kosten verbunden.

Tatsache ist, dass die in Albanien geplanten Einrichtungen im Hafen von Shengjin (etwa 70 Kilometer nördlich der albanischen Hauptstadt) und in Gjader (weniger als eine halbe Autostunde landeinwärts) bisher nicht fertig sind.

Und die Verzögerung beträgt nicht nur einige Tage oder Wochen. Es wird Monate dauern, bis die Zentren fertiggestellt sind: Mittlerweile ist von November dieses Jahres als möglichem neuen Eröffnungstermin die Rede.

Trotz der hohen Kosten und der Kontroversen könnte das albanische Projekt nach Ansicht von Giorgia Meloni ein Modell für die gesamte Europäische Union werden.

Man wird sehen, ob dieses Projekt Verbesserungen bringen wird, obwohl die Zweifel groß sind. Aber unabhängig davon muss die italienische Regierung eine dauerhafte Lösung für dieses Problem finden. Sowohl die italienischen Bürger als auch die Migranten brauchen mehr Sicherheit und eine klare Linie der Regierung.