Brennpunkt Migration: Droht ein Anti-Asyl-Wahlkampf im AfD-Stil?
Union fordert wieder Obergrenze für Asylsuchende – an ihnen erprobte Sanktionsmittel sollen bald auch andere treffen. Wer setzt einen Kontrapunkt? Ein Kommentar.
Ein alter Begriff aus dem Arsenal der Maßnahmen zur Einschränkung der Migration wird gerade der wird gerade wieder recycelt: die Obergrenze für den Zuzug von Geflüchteten. Es war eine zentrale Forderung von Horst Seehofer (CSU), der sich damit als Bundesinnenminister gegenüber einer angeblich zu liberalen Migrationspolitik unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Law-and-Order-Mann profilieren wollte.
Nach Seehofers Abgang war der Begriff etwas in Vergessenheit geraten, bis er jetzt beim sogenannten Asylgipfel von führenden Unionspolitikern wie Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen, Michael Kretschmer aus Sachsen und Markus Söder aus Bayern wieder in die Debatte geworfen wurde.
Asylrecht am Wendepunkt: Obergrenzendebatte neu entfacht
Sie fordern eine Obergrenze von 60.000 Geflüchteten, die Deutschland pro Jahr aufnehmen solle. Wir sind bundesweit wieder einmal mit Vorwahlkampf. In wenigen Monaten gibt es in verschiedenen Bundesländern Kommunal- und Landtagswahlen –und auch die Frage nach vorgezogenen Bundestagswahlen wird sich danach stellen.
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Schließlich hat der Streit um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, in der sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) klar gegen große Teile der FDP und der Grünen positionierte, durchaus Sprengkraft für die Bundesregierung. Allerdings wird sich diese Frage erst nach den Landtagswahlen stellen.
Rechte Wahlkampfthemen: Gefährliche Annäherung an die AfD
Aber die Wiederentdeckung der Obergrenze macht schon einmal deutlich, dass die Union hier einen Wahlkampf mit rechten Themen führen will. Jana Frielinghaus bringt es in einem Kommentar für das Neue Deutschland gut auf den Punkt, in dem sie den Unionspolitikern vorwirft, die Forderungen der AfD zu übernehmen:
Und rufen mit Verweis auf Volkes Willen nach "konsequenten", also im Zweifelsfall rechtswidrigen Abschiebungen. Sie betreiben damit eine Sündenbockpolitik, die für alle jahrzehntelangen Versäumnisse bei Wohnungs-, Schul- und Kitabau sowie Lehrerbildung den "Irregulären" die Schuld zuweist.
Jana Frielinghaus, Neues Deutschland
Wahlkampfbühne vs. Realität: Die Wirkung rechter Forderungen
Wie es aussieht, wenn CDU-Politiker die Politik der AfD übernehmen, zeigt der Landrat Christian Herrgott im Saale-Orla Kreis. Er hatte vor einigen Wochen Schlagzeiten gemacht, weil er mit Unterstützung der liberalen und linken Parteien gegen einen AfD-Kandidaten siegte, was als großer Erfolg für die Demokratie gelabelt wurde. Nun setzt wer mit "gemeinnütziger Arbeit" für Geflüchtete um, was er nicht nur im Wahlkampf ankündigte, sondern was auch rechtlich möglich ist.
Nur: Hätte der AfD-Kandidat gewonnen, wäre der Widerstand dagegen, dass Menschen für 80 Cent Stundenlohn zu "gemeinnütziger Arbeit" verpflichtet werden, wohl größer gewesen. Da hätten sich vielleicht auch noch manche Menschen daran erinnern, dass der Begriff "gemeinnützig" ein Euphemismus für Extraausbeutung einkommensarmer Menschen ist, gegen den es in der Bundesrepublik einen langen Kampf gab.
Asylsuchende in Zwangsarbeit und Niedriglohnzonen
"Es waren damals vor allem Erwerbslosen- und Jobberinitiativen, die dagegen kämpften, dass Sozialhilfeempfänger verpflichtet wurden, beispielsweise Grünanlagen von öffentlichen Krankenhäusern zu pflegen, im Winter Schnee zu schippen und im Sommer die Beete zu wässern.
In Fulda mussten Sozialhilfeempfänger sogar den Garten von Alfred Dregger pflegen. Der CDU-Rechtsaußen war erst lange Jahre Oberbürgermeister und vertrat dann die osthessische Stadt als Direktkandidat im Bundestag.
Dass in seinen Garten Sozialhilfeempfänger für Niedrigstlöhne schuften mussten, schadete seiner politischen Karriere nicht, sorgte aber immerhin dafür, dass sich einige Betroffene organisierten und in einer kleinen Stadtzeitung über ihre "gemeinnützige Arbeit" in den Gärten der Fuldaer Kliniken informierten. Danach wurde die Maßnahme zumindest zeitweilig ausgesetzt.
Der Artikel begann mit diesem Satz über die gemeinnützige Arbeit: "Gemein ist sie für die Betroffen und nützlich ist sie vor allem für die, die mit der Arbeitskraft anderer Menschen Profite machen wollen."
Erst Migranten, dann Bürgergeld-Bezieher?
Die zeitweilige Aussetzung war vor allem eine reale Verbesserung für die betroffenen Sozialhilfeempfänger, denn die "gemeinnützige Arbeit" war ein Sanktionsmittel. Wer sich ihr verweigerte, dem oder der konnte die Sozialhilfe zunächst gekürzt und am Ende sogar ganz gestrichen werden.
Die Maßnahme war als Drohung immer vorhanden, dass sie jetzt im Saale-Orla-Kreis medial so groß herausgestellt wurde, ist eine Drohung für alle einkommensschwachen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft. Deswegen wäre eine linke Antwort darauf, die sofortige Abschaffung von solchen Formen der Zwangsarbeit zu fordern, egal ob Migranten oder andere einkommensschwache Menschen davon betroffen sind.
Nicht vergessen werden sollten die Gefängnisinsassen. Schließlich hatte sie vor mehr als zehn Jahren die Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation auch mit dem Ziel gegründet, die "Niedriglohnzone Knast" abzuschaffen.
Eine solche linke Kampagne für die Abschaffung aller Niedriglohnzonen und die allgemeine Durchsetzung tariflich entlohnter Arbeit wäre die beste Antwort gegen die rechte Kampagne, die letztlich auf die Parole "Kanonen statt Butter" hinausläuft. In einer Zeit, in der Deutschland wieder kriegsfähig gemacht werden soll, sind Zwangsarbeit und Hungerlöhne eine reale Drohung auch nach Innen.
Solche Maßnahmen werden erst bei Migranten ausprobiert und dann bei immer mehr einkommensarmen Menschen angewandt. Dieses Spiel zeichnet sich bereits bei der Einführung der Bezahlkarte ab. Auch hier haben CDU-Politiker schon vorgeschlagen, dass man die Bezahlkarte nicht nur für Asylbewerber, sondern auch für Bürgergeldbezieher einführen könnte.
Europawahlkampf: Das rechte Programm der Konservativen
Doch nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch im Europawahlkampf wollen die Konservativen mit einem rechten Programm in den Wahlkampf ziehen. Da die Gruppen rechts von den Konservativen im Europaparlament noch in unterschiedliche Fraktionen aufgeteilt sind, können die Konservativen einen Teil der Rechtsaußenparteien durchaus als Bündnispartner umwerben und andere auf Distanz halten.
Das wird schon jetzt praktiziert: Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist trotz ihrer politischen Sozialisation im faschistischen Spektrum praktisch schon Teil der konservativen Familie. Die Methoden ihrer Regierung, Seenotrettung möglichst effektiv zu behindern und Asylverfahren auszulagern, werden von den europäischen Konservativen mit Interesse beobachtet.
Auch das "Ruanda-Modell", das die britischen Konservativen durchsetzen wollen und dabei noch Probleme mit der Justiz und den Oberhaus haben, wird dort durchaus befürwortet.
Ist das Ruanda-Modell die menschenfreundlichere Variante?
Allerdings muss man auch fragen, warum vor allem in linksliberalen Medien die Pläne, Asylverfahren aus der EU auszulagern, so massiv bekämpft werden. Denn mittlerweile hat das Modell eine Aufmerksamkeit bekommen, die ganz realpolitisch ein Vorteil für die Geflüchteten sein dürfte.
Zudem müsste sich die Forderung daraus ergeben, dass Menschen, die nach Europa migrieren wollen, sich die gefährliche Flucht durch Wüsten und über das Mittelmeer ersparen könnten, wenn in verschiedenen Staaten durch UN-Organisationen zertifizierte Behörden eingerichtet würden, in denen die Menschen ihre Asylanträge stellen könnten. Dadurch könnten viel Leid und sogar Todesfälle wegfallen würden.
Die Ablehnung eines solchen Modells wird noch fraglicher, wenn man sich die Realität an den EU-Außengrenzen, die ja gerade nicht identisch mit den europäischen Grenzen ist, vor Augen führt.
Green Borders: Erschütternder Dokumentarfilm über Flüchtende
Dazu lädt der kürzlich auch in deutschen Kinos angelaufene Film Green Borders der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland ein. Er müsse von Millionen Menschen gesehen werden, weil er die ganzen Phrasen von Freiheit und Demokratie, die von EU-Politikern aller Parteien verbreitet wird, die Realität an der polnisch-belorussischen Grenze entgegen hält.
Anfangs sieht man die Menschen aus verschiedenen asiatischen und arabischen Ländern noch zuversichtlich, dass sie bald in Sicherheit sind. Sie haben sich auf die Versprechen der belorussischen Behörden auf eine gefahrlose Möglichkeit nach Europa zu kommen, verlassen. Doch diese Hoffnung änderte, als die Menschen von maskierten Soldaten an die Grenze gefahren wurden. Plötzlich erinnert alles an Deportationen, Terror und Verfolgung.
EU-Grenzsoldaten nicht humaner als belorassische Kollegen
Die belorussischen Militärs jagen die Menschen über die Grenze und setzen sie im tiefsten Wald ab. Doch noch haben die Menschen Hoffnung: Jetzt sind sie ja in der EU und dort gelten doch rechtsstaatliche Normen. Doch bald müssen sie die Erfahrung machen, dass die polnischen Grenzsoldaten sich in nichts von ihren belorussischen Kumpanen unterscheiden.
Auch dort werden die Migranten beschimpft, geschlagen, beraubt, gedemütigt und wieder über die Grenze nach Belorussland zurückgejagt. Sie werden immer verzweifelter, Krankheiten brechen aus, es gibt erste Todesfälle. Doch Hoffnung bieten nur die kleinen Gruppen polnischer Antirassisten, denen es wirklich um Menschenrechte.
Sie versorgen die in den Wald unter widrigsten Bedingungen hausenden Menschen mit Dingen zum Überleben. Doch sie können nicht verhindern, dass mehrere von ihnen sterben. Sie versinken im Moor, werden schwer krank.
Vergebliche Hoffnung der Migranten: Die Rechtsstaatlichkeit EU
Am Ergreifendsten ist das Selbstbewusstsein einer älteren Juristin aus Afghanistan. Sie hat sich gegen die Islamisten in ihren Land mit den Mitteln des Rechts gewehrt. Sie kannte die Propaganda der EU und sie mahnte sie immer wieder an. Den belorussischen und polnischen Soldaten sagte sie, dass sie gegen die Normen der EU verstoßen und dass sie anzeigen würde. Doch die Uniformierten lachen nur und schlagen noch fester zu.
Als sie erneut mittels Pushbacks nach Belorussland deportiert wird, hat sie ein Schild gemalt "Wir wollen Asyl in Polen". Am Ende wird auch die Leiche dieser Frau im Wald schon skelettiert geborgen und von Soldaten über den Maschendrahtzaun auf belorussisches Gebiet geworfen.
Besser kann man nicht darstellen, wie die Realität an den EU-Außengrenzen die ganzen hehren Werte von Freiheit und Rechtsstaat beerdigt hat. In einer Szene sagt eine der polnischen Antirassistinnen, dass sie nur laut lachen könne, wenn sie diese Phrasen hören Dieser Film bräuchte ein Millionenpublikum, damit deutlich wird, dieser Terror geschieht mitten in Europa.
Keine Aussicht auf Familienzusammenführung
Viele Liberale werden die gezeigten Zustände verurteilen und auf die polnische Rechtsregierung verweisen, die mittlerweile abgewählt ist. Doch es geht nicht nur um sie. Die EU könnte ein Team schicken, dass die überschaubare Zahl der Menschen, die auf die belorussische Propaganda hereingefallen sind, evakuiert und in die Länder ihrer Wahl bringt.
Die meisten haben Angehörige in Deutschland, Holland oder Schweden. Doch das ist nicht gewollt. Der Film Green Border zeigt am Beispiel der belorussisch-polnischen Grenze, was sich überall an den EU-Außengrenzen absperrt.
Schon vor Jahren mussten Geflüchtete in Belgrad in einem ausrangierten Bahnhof unter schwierigsten Umständen leben, weil die EU die Grenzen gesperrt hatte. Auf dem Mittelmeer und über den Ärmelkanal wird der Transfer immer gefährlicher – und jetzt soll nach den Willen der finnischen Rechtsregierung auch die Grenze zwischen dem skandinavischen Land und Russland noch undurchdringlicher werden.
Wodurch eine linke Kraft in diesem Wahlkampf ausmacht
Wer "Green Border" gesehen hat, kann die Abschiebepläne aller Parteien von AfD und Union bis hin zum Bündnis Sahra Wagenknecht nur größten Widerstand entgegensetzen. Zunächst werden die Schwächsten, hier die Migranten, mit Repression überzogen.
Dann kommen andere einkommensarme Menschen dran, wie bei der Bezahlkarte oder der "gemeinnützigen Arbeit". Eine Linke, unter welcher Formation auch immer, kann sich bei den künftigen Wahlen, mehr aber noch im außerparlamentarischen Kampf, dadurch auszeichnen, dass sie für die Rechte aller Menschen eintritt, unabhängig von deren Herkunft.