Asyl-Streit: Abschiebungen für zwei Millionen Euro pro Person im Angebot
Regierende sind zu Abschiebe-Deals entschlossen. Das "Ruanda-Modell" kostet Großbritannien allerdings viel Geld. Was folgt auf Asyl-Gipfel und IMK?
Eine Interview-Äußerung vom Oktober letzten Jahres wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit großer Enttäuschung aufs Butterbrot geschmiert: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben", hatte der Kanzler damals dem Spiegel gesagt. Dies war – soweit erkennbar – nicht mit seinen Koalitionspartnern abgestimmt und ließ Spielraum für Interpretationen.
Weniger Asylanträge, mehr Abschiebungen
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) attestiert Scholz nun Untätigkeit, Deutschlands größte Boulevardzeitung wirft ihm vor, sein "Abschiebe-Versprechen" gebrochen zu haben. "‘Endlich im großen Stil’? Von wegen", kommentierte am Donnerstag die Bild, räumte dann aber ein: "Die Abschiebe-Zahlen steigen, aber nur sehr langsam. Unfreiwillige Abschiebungen bleiben schwierig, wenn Herkunftsländer nicht kooperieren."
Auch Abschiebehindernisse wie fehlende Papiere und ungeklärte Identitäten wurden als Gründe benannt, warum es nicht wesentlich schneller gehen konnte.
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"Wir haben Grenzkontrollen verstärkt, in Europa ein gemeinsames Asylsystem vereinbart und schließen Migrationspartnerschaften ab. Das wirkt: Die Zahl der Asylanträge sinkt, die der Rückführungen steigt", erklärte Scholz selbst anlässlich des Asyl-Gipfels von Bund und Ländern. Dort hatten er und die Ministerpräsidenten am Donnerstag über Asylverfahren in Drittstaaten, Bezahlkarten sowie Abschiebungen von Straftätern und "Gefährdern" auch in Länder wie Afghanistan und Syrien beraten.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geht das alles nicht schnell genug; er ist mit den Ergebnissen mehr als unzufrieden: "Diese MPK hat uns kein Stück weiter gebracht. Stattdessen wird ein neuer Termin in sechs Monaten angekündigt, was an sich schon eine Frechheit ist", machte er seinem Ärger im Gespräch mit der Bild Luft.
Bezahlkarten für Asylsuchende: Nur noch 50 Euro Bargeld
Eine Einigung wurde zum Thema Bezahlkarten vermeldet: Asylsuchende sollen künftig maximal 50 Euro an Bargeld im Monat ausgezahlt bekommen und ansonsten die Bezahlkarte nutzen. Diese Einigung sei ein "ganz wichtiges Zeichen", befand der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) laut Medienberichten im Anschluss.
Andere Punkte auf der Tagesordnung gestalteten sich schwieriger: Die Länder-Chefs forderten die Bundesregierung gemeinsam auf, "konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln".
Dafür müssten auch "erforderliche Änderungen in der EU-Regulierung sowie im nationalen Asylrecht" angegangen werden, hieß es in einem Papier, auf das sich die Ministerpräsidenten vor dem Treffen mehrheitlich verständigt hatten.
Abschreckung und Schikane: Zwei Länder kritisieren Asyl-Kurs
Damit nicht einverstanden zeigten sich die Vertreter der Länder Thüringen und Bremen: In einer Protokollerklärung merkten sie an, dass aus ihrer Sicht Fluchtursachen bekämpft werden müssten, "anstatt Flüchtlinge in andere Staaten zur Asylprüfung zu verbringen".
Es bleibe eine Illusion, "durch eine Schlechterstellung individueller Geflüchteter die Gesamtsituation verbessern zu wollen". Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) sprach von "Scheinlösungen". Laut Protokollerklärung wollen beide Länder zudem Bargeldauszahlungen von bis zu 120 Euro an Asylsuchende ermöglichen.
Ramelows Parteivorsitzende Janine Wissler hatte Anfang des Jahres kritisiert, das Bezahlkartensystem lasse Ländern und Kommunen "viel Spielraum für Schikane", um Geflüchtete abzuschrecken.
In der aktuellen Debatte über die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten verwies sie sowohl auf Menschenrechte als auch auf die hohen Kosten des "Ruanda-Modells" für Großbritannien: Laut einem Bericht des britischen Rechnungshofs könnte das ostafrikanische Land im Rahmen des Abschiebeabkommens fast eine halbe Milliarde Pfund aus London überwiesen bekommen – für die Abnahme von 300 Asylsuchenden.
Abschiebungen für 1,8 Millionen Pfund pro Person
Die errechnete Summe setzt sich aus jährlichen Zahlungen in Höhe von insgesamt 370 Millionen Pfund (rund 430 Millionen Euro) und weiteren 120 Millionen Pfund, sobald 300 Personen umgesiedelt wurden, zusammen. Außerdem werden pro Person noch einmal 20.000 Pfund und je nach Aufenthaltsdauer bis zu 151.000 Pfund fällig. Hinzu kommt ein größerer zweistelliger Millionenbetrag für Personal- und Abschiebekosten.
Demnach kostet diese Art, Geflüchtete loszuwerden, rund 1,8 Millionen Pfund pro Person – mehr als zwei Millionen Euro. "Wir diskutieren über jeden Euro, den Geflüchtete erhalten", gab Wissler auf der Plattform X zu bedenken, "aber 1,8 Millionen pro Abschiebung sind vertretbar?" Ein paar hundert Menschen in ein Land abzuschieben, in dem sie noch nie waren, sei "menschenrechtlich verwerflich und entlastet weder die Kommunen noch die Sozialsysteme".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) würde aber ohnehin Albanien als Drittstaat für ausgelagerte Asylverfahren vorziehen. Eine "umfassende Prüfung" zu geeigneten Drittstaaten wird laut Faesers Ressort fortgesetzt.
Zum Abschluss der Innenministerkonferenz (IMK) von Bund und Ländern an diesem Freitag in Potsdam bekräftigte Faeser zudem die Entschlossenheit, "Straftäter und Gefährder" auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, wenn sie aus diesen Ländern stammen.
Abschiebe-Deal mit Islamisten-Regime in Afghanistan?
"Wir verhandeln vertraulich mit verschiedenen Staaten, um Wege zu eröffnen, über die Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder möglich werden", stellte Faeser klar. Wenige Tage zuvor hatte die international nicht anerkannte Taliban-Regierung in Afghanistan ihr Interesse an einem Abschiebe-Deal mit Deutschland und "normalen konsularischen Kontakten" bekundet und dabei auf eine Regierungserklärung von Scholz Bezug genommen.
"Wir haben alle das gleiche Interesse an eine Reduzierung der irregulären Migration in Deutschland", sagte Scholz’ Parteifreundin Faeser an diesem Freitag auch im Namen ihrer Länderkollegen.