Migration: Macron will Frankreich unattraktiver machen
Der französische Präsident will eine "effektivere und humanere Asylpolitik". Er plädiert für schnellere Rückführungen und eine genauere Überprüfung der Leistungen
Kürzlich sprach Macron im Zusammenhang mit Migration von Manipulation und Netzwerken. Das ließ aufhorchen, weil solche Äußerungen üblicherweise aus dem rechten Lager kommen. Macron legte die letzten Tage noch weiter nach. Er sprach davon, dass die Gesundheitsleistungen für Migranten möglicherweise "exzessiv" ausgenutzt werden könnten, dass man illegale Migranten sehr viel effektiver abschieben müsse (die Quote liegt angeblich zwischen 5 und 10 Prozent) und dass Frankreich nicht die ganze Welt aufnehmen könne, wenn es Migranten auf eine gute -"würdige" - Weise aufnehmen wolle, so dass sie sich gut integrieren können, Französisch lernen und Arbeit finden.
Die Konkurrenz von Le Pen
"Human" und "effektiv" lauten seine beiden Schlüsselworte. Das kommt nicht von ungefähr. Marine Le Pen und ihre Partei Rassemblement Nationale (RN) sind nach Stand der Dinge die einzig verbliebene politische Konkurrenz, die Macron fürchten muss. Zwar sind Macrons Popularitätswerte wieder im Aufwind, aber was zählt sind die Wahlen.
Auch der etwas selbstgefällige Präsident weiß, worauf seine politischen Gegner in der Bevölkerung (wie auch in deutschen Diskussionen) immer wieder hinweisen: Dass die Mehrheit, die ihn gewählt hat, nicht die Mehrheit der Stimmberechtigten in Frankreich ist und er weiß, wie fragil seine Mehrheit werden und wie schnell sich die Stimmung gegen ihn wenden kann. Das haben ihm im Gelbwestenproteste im vergangenen Winter vorgeführt.
Es gibt ein paar deutliche Mehrheitsstimmungen bei Fragen der Migration. 64 Prozent der Franzosen geben an, dass sie sich in Frankreich nicht mehr so zuhause fühlen wie früher. 63 Prozent haben das Gefühl, dass es zu viele Ausländer in Frankreich gebe und 66 Prozent sind der Ansicht, die Zugewanderten würden sich nicht genügend integrieren. Der letztere Wert sei im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen, hat neulich eine in Frankreich bekannte Umfrage ermittelt. Die anderen halten sich seit längerem auf hohem Niveau.
Bei den Anhängern des Rassemblement National (RN) liegen die Werte weit darüber. 90 Prozent fühlen sich nicht mehr so zuhause in Frankreich wie früher. Die Arbeiter laufen in Scharen über zur Nachfolgepartei des Front National, Macron wird dort mit noch mehr Globalisierung und Migration gleichgesetzt.
Migration gehört zu den Themen, die eine entscheidende Rolle bei der nächsten Präsidentschaftswahl (2022) spielen, sagte Macron in seiner "Offensive" zur Migration, wie man seine jüngste Aussagenserie dazu nennt. Die hat er nun sogar von aus New York fortgesetzt mit einem Exklusivinterview für den Radiosender Europe 1.
Am Ende dieser Woche beginnt die große Debatte über Migration in der Volksversammlung, Macron wollte schon mal ein paar Marken setzen. Er wolle bei dem Thema keine Tabus, aber es doch nicht hitzig, sondern mit Bedacht angehen, so will er sich von den Rechten unterscheiden: Ohne Scheu ans Thema, wie er mehrmals betont, aber anders als Le Pen, "human" und "ruhig".
Er muss Punkte sammeln. Für die im nächsten Jahr anstehenden Bürgermeisterwahlen sind die Aussichten für Macrons Partei - La République en Marche - nicht besonders, anders als für Le Pens Partei. Wie die oben erwähnte Umfrage zeigte, ist das Ansehen der Bürgermeister sehr hoch, ganz im Gegensatz zu dem der Parteipolitiker oder Abgeordneten. Wer viele Bürgermeister stellt, ist nah an der Bevölkerung. Macron wird Arroganz und elitäre Distanz vorgeworfen, die Gelbwesten-Proteste haben ihn spüren lassen, dass dies politische Effekte hat.
Anschluss an die Bevölkerung
In der Migrationsdebatte sucht er den Anschluss an die Sorgen der Bevölkerung (Migration: Macron will die "classes populaires" besser ansprechen), zugleich aber will er auf seinem Kurs bleiben. Das zeigt sich an seiner europäischen Ausrichtung. Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylrechts streicht er als wichtiges Ziel heraus. Die Schengen- und die Dublin-Vereinbarungen müssen überarbeitet werden.
Das sind bekannte Forderungen und sie lassen sich gut auf die lange Bank schieben. Auffällig ist aber, dass Macron die Abschiebungen nun forcierter anspricht. Frankreich müsse effektiver bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern vorgehen können, fordert er. Das zielt zuerst in Richtung EU.
Frankreich müsse Migranten, die keinen Schutzstatus bekommen haben, schneller in die Erstaufnahme-Länder rückführen können, so ein Elementarsatz aus Macrons Offensive zu einer effektiven Migrationspolitik, die nur human sein könne, wenn sie auch effektiv ist. Dazu zählt die genaue Unterscheidung zwischen Asylberechtigten und denen, die keine Aussichten auf einen Schutzstatus haben bzw. deren Gesuch abgelehnt wurde.
Immer stärker wird auf der anderen Seite des Rheins in die Diskussion geworfen, dass sich Frankreich sich zu einem zentralen Aufnahmeland für die sekundäre Migration entwickelt (pays de rebond) - was möglicherweise in den EU-Verhandlungen das Argument ist, mit dem sich Frankreich gegen Forderungen behauptet, einen sicheren Hafen für aus Seenot gerettete Migranten zur Verfügung stellen (nach dem Motto "Wenn noch mehr kommen, dann wachsen die Chancen Le Pens").
Das Argument der Belastung Frankreichs wird dadurch noch angereichert, dass die Zahl der Asylbewerber im Nachbarland gestiegen ist, während sie in anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel auch in Deutschland, auf das gerne verwiesen wird, gefallen ist wie auch in Schweden oder Italien.
Aber z.B. nicht in Spanien, woran man sieht, dass es in dieser innerfranzösischen Diskussion um die Wahrnehmung einer Tendenz geht. Die realen Zahlen der Asylbewilligungen liegen in Deutschland um einiges höher. In Frankreich meldete die zuständige Behörde (Ofpra) im vergangenen Jahr über 120.000 Asylanträge. Das ist ein Rekord. Auch in diesem Jahr verzeichnete Ofpra bis Mai einen Anstieg.
Zieht man als Hintergrund heran, dass in Frankreich etwa 36 Prozent der Schutzgesuche anerkannt werden, so laufe dies darauf hinaus, wie die Zeitung La Croix vorrechnet, dass 6 von 10 Asylsuchenden abgelehnt werden und sich damit die Zahl der sans-papiers erhöht, der Personen ohne Aufenthaltspapiere.
Neu ist nun, dass sich, wie nicht nur La Croix berichtet, Macron und seine Regierung sehr viel deutlicher als zuvor der Sicht anschließen, dass hier Schleusernetzwerke mit im Spiel sind. Aufgefallen ist in Frankreich in jüngster Zeit, dass viele Asylsuchende aus Georgien und Albanien kommen, eigentlich als sicher eingestufte Herkunftsländer. Der Prozentsatz, der in Frankreich einen Schutzanspruch erhält, ist zwar einstellig, aber höher als in anderen europäischen Ländern, was eine größere Erfolgsaussicht verspricht.
Vorwürfe in der Diskussion
Dazu kommt, dass in Frankreich anders als hierzulande Geldzahlungen als Unterhaltshilfe üblich sind und nicht Sachleistungen wie in Deutschland, weil in Frankreich weniger Schutzsuchende fest untergebracht sind. Das ergibt zusammen mit zahlreichen Geschichten über einen "Asyltourismus zur Behandlung von Krankheiten", die vor allem mit Menschen aus Georgien oder Albanien zu tun haben, ein Gemisch an Vorwürfen, wonach die Regierung in Paris dem Problem zu lax gegenüberstehe, was selbst Macron schon eingeräumt hat.
Nun nimmt er das Thema dergestalt auf, dass er davon spricht, die medizinischen Leistungen, auf die Asylbewerber Anrecht haben, genauer zu prüfen - ohne sie abzuschaffen, weil man "human" bleiben will - und sich überhaupt die Missbrauchsmöglichkeiten, die damit verbundenen "Exzesse und die Netzwerke" genauer anzuschauen.
Das Land dürfe nicht zu attraktiv werden, sagt er.