Militarisierung der Nordsee
Britisches Militär ist wegen der Klimaveränderung beunruhigt, weil die auftauende Arktis neue Schifffahrtswege auch für Kriegsschiffe eröffnet
Im südenglischen Marinestützpunkt Portsmouth liegt der britische Flugzeugträger "Prince of Wales" am Hafen. 3.1 Milliarden Pfund hat das Teil gekostet. Es ist einer von zwei brandneuen Flugzeugträgern der britischen Marine. Das Projekt ist nicht unumstritten. Dominic Cummings, der Chefberater von Premierminister Boris Johnson, hält beide Schiffe für Geldverschwendung. Jeder Teenager im Besitz einer Drohne könne sie im Handumdrehen versenken, unkte er dereinst auf seinem Blog.
Im November will die britische Regierung ein Review der Militärausgaben veröffentlichen. Das Führungspersonal von Royal Airforce, Army und Navy ist deshalb schon seit Monaten in heller Aufregung. Es gilt Einsparungen abzuwehren und neue Rüstungsprojekte auf Schiene zu bringen. Am 8. Oktober lud Tony Radakin, der erste Sealord und somit Oberkommandierende der Royal Navy zur Pressekonferenz auf die "Prince of Wales". Der Ort des Geschehens war nicht zufällig ausgewählt. Radakin ging es um nichts weniger als eine Verteidigung der Daseinsberechtigung seiner Kriegsschiffe.
Mit den schmelzenden Polkappen kommen russische und chinesische Kriegsschiffe an den Polarkreis
"Der Klimawandel ist ein Problem für uns", zitiert ihn unter anderem die Financial Times. Manchen mag ja beruhigen, dass auch die Navy das inzwischen kapiert hat. Tatsächlich sorgt sich Radakin sehr um schmelzende Polkappen, allerdings nicht so wie sich normal sterbliche Menschen sorgen, etwa weil zum Beispiel Küstenstädte mittelfristig ernsthafte Probleme durch steigende Wasserpegel bekommen werden.
Nein, Radakin geht es um anderes. Denn mit den schmelzenden Polkappen kommen die Russen und Chinesen an den Polarkreis: "Der Klimawandel öffnet neue Schifffahrtsrouten, welche es chinesischen Kriegsschiffen erlauben, schneller in atlantische Gewässer zu gelangen." Sowohl China als auch Russland würden davon profitieren, so Radakin. Noch schlimmer: "Durch den Klimawandel werden neue maritime Handelswege über die Spitze der Erde eröffnet welche den Transitzeitraum zwischen Europa und Asien halbieren."
Die Route entlang der Nordküste Russlands sei derzeit nur zwischen August und Oktober passierbar, dies könne sich jedoch "aufgrund wachsender globaler Temperaturen" ändern. Ein wesentlicher Aspekt dabei sei, dass Russland "derzeit aktiver im Atlantik auftritt als in den vergangenen 30 Jahren". Das Problem daran aus der Sicht des Sealords: Der Navy fehlen die Schiffe. In dem von der Regierung durchgeführten Review müsse deshalb die Anschaffung von polarmeertauglichen Eisbrecherschiffen eingepreist werden, so die Forderung.
Während Radakin in Portsmouth rhetorisch die Fahne für die Royal Navy hochhielt, war das Schwesterschiff der "Prince of Wales", der Flugzeugträger "HMS Queen Elizabeth", in der Nordsee unterwegs. Dort führte das Kriegsschiff laut Angaben der Royal Navy eine Flotte von neun Schiffen, 15 Kampfjets, elf Hubschraubern und 3000 Soldaten aus Großbritannien, den USA und den Niederlanden an. Dies sei die größte und kampfstärkste von europäischen Mächten geführte "strike group" seit fast 20 Jahren. Die HMS Queen Elizabeth sei in der Lage, "auf See zu einem Zeitpunkt und Ort unserer Wahl zuzuschlagen. Mit unseren NATO-Verbündeten an unserer Seite können wir unter den schwierigsten Bedingungen kämpfen und gewinnen", heißt es in dem Propagandatext weiter.
Großbritannien ist tatsächlich an einer Militarisierung der Nordsee und hier insbesondere der Meerenge des Ärmelkanals beteiligt. Unter dem Vorwand der Flüchtlingsbekämpfung sind hier seit August Watchkeeper-Drohnen und Schnellboote im Einsatz. Am 9. August wurde ein "Kommandant für die Bekämpfung klandestiner Bedrohungen im Ärmelkanal" ernannt. Er soll gemeinsam mit französischen Behörden Flüchtlingsboote auf dem Weg nach Großbritannien aufhelfen. Ganz nebenbei wird die militärische Präsenz in nordeuropäischen Gewässern ausgebaut.
China bereitet sich schon seit einigen Jahren auf die Entstehung möglicher neuer Schifffahrtsrouten vor. Das zeigt sich zum Beispiel anhand der zunehmend besseren diplomatischen Verbindungen zwischen China und Norwegen. Lange herrschte zwischen beiden Staaten Eiszeit, das gesamte vergangene Jahrzehnt hindurch war jedoch Tauwetter angesagt. Norwegen exportiert Lachs nach China, bekennt sich zur chinesischen "Ein Staat"-Doktrin und hat vertraglich versichert, das "Beste zu geben", um zukünftigen Schaden von den Beziehungen zwischen beiden Tagen abzuwenden. Der Nutzen für China: Sollte die Arktis durchgängig mit Schiffen befahrbar werden, könnten sich Transportrouten um zwölf bis 15 Tage verkürzen.
Während Sealord Radakin neue chinesische Handelsrouten vor der britischen Haustür für eine Bedrohung hält, schlägt er völlig andere Töne an, wenn es um die "weltweite Verteidigung" westlicher Handelswege geht. Deshalb sei die Royal Navy "dauerhaft überall auf der Welt auf Wache". Man sei "immer im Wettbewerb" und, wo nötig, auch "immer herausfordernd".
Für das Jahr 2021 ist eine solche Herausforderung geplant. Dann soll sich die HMS Queen Elizabeth auf eine Reise durch den Golf, den Indischen Ozean und in den Pazifik hinein begeben. Dies sei Teil einer "Freedom of Navigation"-Übung.
Radakin spezifizierte zwar nicht, an welchen Ländern die Queen Elizabeth konkret vorbei segeln soll. Man darf aber davon ausgehen, dass insbesondere China angesteuert und "getestet" werden soll. Derartige, durch Nato-Verbände ausgelöste Konfrontationen hat es in den vergangenen Monaten immer wieder gegeben. Das alles ist ein Sittenbild moderner Großmachtpolitik: Die Polkappen schmelzen, die großen Mächte veranstalten Kriegsspiele.
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