Millionen in Geiselhaft: Wer hat den Syrern das Wasser abgedreht?

Seite 2: Die Tagesschau vermutet, syrische Regierung greift eigene Infrastruktur an

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Viele Medien und Aktivisten verzichten auf das Klein-Klein gegenseitiger Auswertung von Twitter-Posts und Youtube-Clips und versuchen es stattdessen mit Logik-Schlüssen. Wer hat ein Interesse an der Wasserkatastrophe? Welche Kriegspartei hat sich in der Vergangenheit durch ähnliche Verbrechen hervorgetan?

Unter dem Titel "Damaskus sitzt auf dem Trockenen" begibt sich auch die Tagesschau auf Spurensuche. Am 5. Januar schreibt Carsten Kühntopp vom ARD-Studio in Kairo: "Opposition und Regierung werfen sich gegenseitig vor, für die Zerstörung des Wasserwerks verantwortlich zu sein - die Wahrheit ist nicht bekannt. Doch in der Vergangenheit hatte die Regierung auch andernorts immer wieder die eigene staatliche Infrastruktur gezielt angegriffen."

Kühntopp berichtet, die Regierung habe im "Laufe des vergangenen Jahres drei Mal Pumpstationen in Aleppo" angegriffen. Dazu verweist er auf einen Artikel seines Kollegen Björn Laschke vom 26. September letzten Jahres, der sich wiederum auf eine Aussage der Syrien-Gesandten von Unicef Hanaa Singer beruft.

Das Problem: In deren drei Tage zuvor veröffentlichtem Statement über die Ausfälle von zwei Pumpstationen in Aleppo, wird die Schuldfrage weit weniger eindeutig beantwortet, als es Kühntopp darstellt. Singer berichtet tatsächlich von einem Luftangriff, der "die Pumpstation in Bab al-Nayrab beschädigt hat, die 250.000 Menschen in den östlichen Teilen Aleppos mit Wasser versorgt". Der größere Teil der Wasserknappheit sei allerdings durch Rebellen verursacht worden. Singer schreibt:

Als Vergeltung wurde die ebenfalls im Osten gelegene Pumpstation von Suleiman al-Halabi abgeschaltet und 1.5 Millionen Menschen in den westlichen Teilen der Stadt von der Wasserversorgung abgeschnitten.

Hanaa Singer, Unicef

Die nachfolgende Wasserkrise von Aleppo hielt bis Ende November vergangenen Jahres an. Beendet wurde sie erst, als Truppen der syrischen Armee den Stadtteil Suleiman al-Halabi einnehmen und Techniker die Pumpstation reparieren konnten.

Angriffe auf die Versorgungsinfrastruktur

Suleiman al-Halabi ist nicht der einzige Fall, in dem oppositionelle Milizen Angriffe auf zivile Versorgungsinfrastruktur als Mittel der Kriegsführung entdeckt haben. Erst vergangene Woche sprengten mutmaßlich Anhänger der Terrormiliz IS ein Gaskraftwerk nahe Homs in die Luft und schnitten damit Millionen Syrer von der Heizversorgung ab. Eine Woche zuvor sabotierten oppositionelle Kämpfer eine Gasanlage im Damaszener Vorort Jayroud.

Folgt man der Logik der Tagesschau ist die Beweislast tatsächlich erdrückend. Allerdings spricht das "Vorstrafenregister" der Kriegsparteien eher für eine Täterschaft der Regierungsgegner. Vor allem mit Blick auf Ain al-Fijah ist das Rätsel darum, wem ein Angriff auf die Wasserversorgung von fünf Millionen Menschen zuzutrauen ist, in Wahrheit gar keines. Die Beweise liegen längst eindeutig auf dem Tisch.

Nicht das erste Mal, dass Rebellen in Ain al-Fijah das Wasser abdrehen

Nirgends kennen Syrer die Kriegsführung mittels Wasserverknappung so gut, wie in dem Ort im Nordwesten von Damaskus, den die Bewohner von Damaskus schon seit Jahren nicht mehr mit idyllischen Sonntagsausflügen verbinden. Stattdessen gilt Ain al-Fijah als Ort, an dem Rebellen regelmäßig Millionen von Zivilisten in Geiselhaft nehmen.

Schon seit der Eroberung der Stadt im Jahr 2012 verzichten viele Bewohner von Damaskus aus Angst vor Verunreinigungen darauf, ihr Leitungswasser als Trinkwasser zu benutzen.

Als im November 2014 syrische Truppen auf den Ort vorrückten, drehten Kämpfer der Freien Syrischen Armee schon einmal den Bewohnern von Damaskus tagelang den Hahn ab. Damit erzwangen sie neben dem Rückzug der Regierungstruppen auch noch die Freilassung von Gefangenen.

Im Juli 2015 wiederholte sich das Szenario: Als bewaffnete Regierungsgegner im nahe gelegenen al-Zabadani in Bedrängnis gerieten, stellten Kämpfer der FSA und Al-Nusra-Front in Ain al-Fijah erneut das Wasser ab. Die Taktik, Millionen Zivilisten in Geiselhaft zu nehmen, zahlte sich erneut aus: Die syrische Armee stimmte einer Waffenruhe in al-Zabadani zu und ließ erneut Gefangene frei.

Und auch dieses Mal schien es, als hätten die Regierungsgegner Erfolg. Während ausländische Söldner nach der Eroberung der Gegend von Wadi Barada nach Idlib abziehen dürfen, können die syrischen Kämpfer auf ein Amnestieabkommen hoffen.

Aber auch über fünf Millionen Bewohner von Damaskus dachten, sie könnten aufatmen: Nach der Eroberung durch die Syrische Armee sollte am Wochenende ein Reparaturteam der Damaszener Wasserbehörde die Gegend erreichen, um das Wasser wieder anzustellen.

Nach dem Mord an dem Unterhändler muss der Reparatur-Trupp unverrichteter Dinge wieder abziehen, berichtete n-tv am Sonntag.