Misereor: Corona-Pandemie gefährdet UN-Entwicklungsziele

Markt in Kampala, Uganda. Bild: ILO, CC BY-NC-ND 2.0

Hilfsorganisation sieht kommende Bundesregierung in der Pflicht. Ungleichheit eine der größten Herausforderungen. Kritik an deutschem Veto gegen gerechte Impfstoffverteilung

Das katholische Hilfswerk Misereor hat die kommende Bundesregierung aufgefordert, auf die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen durch die Corona-Pandemie mit einer neuen Sozialpolitik zu reagieren.

Bei der Jahrespressekonferenz am heutigen Donnerstag in Berlin sprachen sich Vertreter der Organisation für konkrete Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene aus. Vorrangig sei der Zugang armer Länder zu Impfstoffen anzugehen.

"Die Pandemie führt uns vor Augen, wie verletzlich wir sind – aber auch, wie schnell wir Dinge anpacken und ändern können", sagte Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des Werks für Entwicklungszusammenarbeit von Misereor.

Die kommende Bundesregierung stehe in der Verantwortung, aus dieser Krise Lehren zu ziehen und das gesellschaftliche System sozial gerechter, an unsere planetaren Grenzen angepasst, gemeinwohlorientiert und widerstandsfähiger zu machen.

Nach der Bundestagswahl am 26. September habe eine neue Regierungskoalition auch die Möglichkeit, eine nachhaltige Entwicklung national und international "deutlich voranzubringen", so Spiegel.

Deutschland habe das höchste Bruttoinlandsprodukt Europas und das vierthöchste der Welt.

"Diese wirtschaftliche Kraft und der damit verbundene Einfluss müssen für eine lebenswerte Welt eingesetzt werden", forderte er.

Spiegel zeigte sich davon überzeugt, dass ein ganzheitlicher Politikansatz für die Bewältigung der Corona-Pandemie entscheidend ist. Das "Ungleichheitsvirus" habe gezeigt, wie groß Ungleichheiten sind und hat diese verstärkt, national und weltweit.

Mit Blick auf die globale pandemische Lage bestimme weiterhin kurzfristiges Handeln und Impfnationalismus die politische Agenda. Dabei sei unbestritten, dass eine globale Gesundheitskrise nur in globaler Solidarität und mit gemeinsamen politischen Antworten überwunden werden könne, so Spiegel:

Es ist schwer nachvollziehbar, dass die Bundesregierung kürzlich mit "Nein" auf den Appell der Weltgesundheitsorganisation antwortete, die gefordert hatte, vorerst (in Deutschland) keine dritte Dosis von Impfstoffen zu verteilen, damit in Ländern mit weniger Ressourcen mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Die nächste Bundesregierung muss sich dafuür einsetzen, dass die Länder des globalen Südens ausreichend Zugang zu Impfstoffen, wie auch zu Tests und Medikamenten haben.

Pirmin Spiegel

UN-Nachhaltigkeitsziel(e) in Gefahr

Sabine Gies vom Missionsärztlichen Institut Würzburg erinnerte daran, wie kritisch es um das dritte Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen steht. Bis zum Jahr 2030 soll demnach ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleistet und ihr Wohlergehen gefördert werden.

Obwohl sich in den vergangenen Jahren vieles in die richtige Richtung entwickelt habe – so sei die durchschnittliche Lebenserwartung ist in allen Weltregionen gestiegen, Mütter- und Kindersterblichkeit gesunken, die Durchimpfungsrate ist gewachsen und die Zahl der Neuinfektionen mit Malaria, Tuberkulose und HIV rückläufig gewesen –, seien vor der Corona-Pandemie auch Defizite erkennbar gewesen.

"Die Fortschritte sind viel zu schleppend, um die gesetzten Ziele bis 2030 zu erreichen", warnte Gies. Die Pandemie vergrößere nun den Rückstand und drohe, die bisherige Entwicklung umzukehren.

Dabei sah die Expertin die Chance, durch die weltweite Pandemie auch das Thema der globalen Gesundheit auf die Tagesordnung zu setzen "und Gesundheitssysteme so zu stärken und auszubauen, dass nicht nur die Pandemie beendet werden kann, sondern alle Menschen überall auf der Welt Zugang zu allgemeiner Gesundheitsversorgung haben und ihr Grundrecht auf Gesundheit wahrnehmen können".

Die Impfstoffentwicklung gegen Corona habe gezeigt, was möglich sei, "wenn wir wirklich international zusammenarbeiten", so Gies bei der Präsentation des Misereor-Jahresberichtes: "Wenn wir mit der gleichen Entschlossenheit auch die anderen großen Herausforderungen der globalen Gesundheit angehen, schaffen wir es in den nächsten neun Jahren vielleicht doch noch, das dritte Nachhaltigkeitsziel zu erreichen."

Nur 1,5 Prozent der Menschen in Afrika sind geimpft

"Die Folgen der Pandemie werfen aber ein bezeichnendes Licht auf die globale Verteilungsgerechtigkeit", sagte der Vorsitzende Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Karl Jüsten. Und auch in Deutschland zeigt sich ein Gefälle der sozialen Ungleichgewichte, die durch die Pandemie verstärkt worden seien. Jüsten weiter:

Dieses Bild ist ein Spiegel der weltweiten Situation, in der die ärmeren Regionen noch weiter abgehängt werden. Die Verteilung der Impfstoffe gegen Covid-19 ist hierfür besonders bezeichnend.

So sind die Länder des Globalen Nordens vor allem darauf Bedacht, die Impfstoffe für den Eigenbedarf zu sichern, obwohl die weltweiten Produktionskapazitäten eine andere Verteilung der Impfstoffe ermöglichen. Dieses Vorgehen geht allein zulasten der Armen.

Die Covax-Initiative der WHO bleibt bedauerlicherweise weit hinter ihren Möglichkeiten zurück; die angestrebte weltweite Zusammenarbeit zur Pandemiebekämpfung lässt nach wie vor auf sich warten.

Karl Jüsten

Beim notwendigen Transfer von Know-How und dem schnellen Aufbau von Kapazitäten für die Produktion von Impfstoffen sei viel wertvolle Zeit verspielt worden.

"Selbst wenn man die Hürden für die Freigabe von Patenten als zu hoch ansieht, bleibt es für uns ein Anliegen, dass die Zurverfügungstellung von ausreichenden Impfstoffen auch zu erschwinglichen Preisen erfolgt und die Anschaffung die Ärmsten der Armen nicht noch ärmer macht", sagte der kirchliche Entwicklungshelfer.

Bislang seien nur rund 1,5 Prozent der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent geimpft.

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