Sars-CoV-2 ist kein Ungleichheitsvirus
- Sars-CoV-2 ist kein Ungleichheitsvirus
- Ungleichheit der Geschlechter in Coronapandemie verschärft
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Das neuartige Coronavirus ist kein sozialer Spaltpilz, wiewohl es manchem Beobachter schien, als habe die Pandemie das Land innerlich zerrissen
Zwar hat sich die soziale Ungleichheit infolge der Pandemie weltweit zum Teil drastisch verschärft, wie die Studie "Das Ungleichheitsvirus" der internationalen Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam belegte. Trotz ihres missverständlichen Titels ist es jedoch falsch, Sars-CoV-2 dafür verantwortlich zu machen.
Denn vor diesem Coronavirus sind, was seine Infektiosität betrifft, alle Erwachsenen, Kinder und Jugendlichen gleich. Nur weil sich deren Gesundheitszustand, Lebensbedingungen sowie Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse der Bevölkerungsschichten stark voneinander unterscheiden, sind auch die Infektionsrisiken sehr ungleich verteilt.
Naomi Bader und Christina Berndt wiesen zusammen mit vier Koautoren in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (v. 5.3.2021) unter dem Titel Das ungerechte Virus darauf hin, dass es die meisten Bundesländer versäumt haben, die sozialen Auswirkungen der Pandemie auf unterschiedliche Bevölkerungsschichten zu analysieren und daraus Konsequenzen für den Schutz besonders gefährdeter Personengruppen zu ziehen.
Ungerecht ist also gar nicht das Virus selbst, sondern eine Klassengesellschaft, deren Mitglieder es ganz unterschiedlich trifft. Unter den bestehenden Eigentumsverhältnissen, Machtstrukturen und Verteilungsmechanismen wirkte es als Katalysator des sozioökonomischen Polarisierungsprozesses, der das Land spaltet, was einen Großteil seiner Bewohner:innen wiederum zermürbt und gesundheitlich verschleißt.
Das erste "Sozialschutz-Paket" der Großen Koalition erleichterte insbesondere von der Coronakrise geschädigten Kleinunternehmer:innen und Soloselbstständigen den Hartz-IV-Bezug, indem die strenge Vermögensprüfung für sie ausgesetzt und die Angemessenheit der Wohnung stillschweigend vorausgesetzt wurde.
Ähnlich wurde beim Notfall-Kinderzuschlag verfahren. Hingegen gab es für Menschen, die schon länger Arbeitslosengeld II bezogen, keinen Zuschlag auf ihre Transferleistung, obwohl sie wegen der Schließung von Tafeln und Sozialkaufhäusern sowie der Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen und des Kaufs von Desinfektionsmitteln höhere Lebenshaltungskosten hatten.
Als die Lebensmitteltafeln nach dem ersten Lockdown wieder öffneten, bildeten sich teilweise lange Schlangen, weil im Laufe der Pandemie mehr Personen in akute Geldnot geraten waren.
Eltern, die wegen der Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen ab 16. März 2020 zum Teil auch finanziell stark belastet waren, bekamen ein halbes Jahr später in zwei Tranchen 300 Euro pro Kind, die bei höheren Einkommen mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet wurden.
Zwar half dieser "Corona-Kinderbonus" den Familien im Hartz-IV-Bezug etwas, weil er nicht auf die Regelleistung angerechnet wurde.
Ausländische Eltern, die als Geduldete keinen Anspruch auf Kindergeld hatten, gingen jedoch ebenso leer aus wie Flüchtlingsfamilien, die sich noch im Asylverfahren befanden.
Dies war auch bei der Neuauflage des Kinderbonus in verringerter Höhe (von einmalig 150 Euro) so, der von CDU, CSU und SPD im dritten Sozialschutz-Paket verankert und mit erheblicher Verspätung im Mai 2021 ausgezahlt wurde.
Wenigstens 150 Euro für kinderlose Hartz-IV-Bezieher:innen
Nachdem ein breites Bündnis aus 36 Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und kirchlichen Organisationen am 25. Januar 2021 in einem Aufruf "Soforthilfen für die Armen - jetzt" einen Krisenzuschlag auf die Transferleistungen in Höhe von 100 Euro monatlich gefordert hatte, bewilligte die Große Koalition auch kinderlosen Hartz-IV-Bezieher(inne)n wenigstens 150 Euro als einmalige Sonderzahlung, die gleichfalls erst im Mai 2021 bei den Menschen ankam. Dafür veranschlagte man 800 Millionen Euro und für den neuerlichen Kinderbonus 2,1 Milliarden Euro.
Im Gegenzug akzeptierte die SPD mit der Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrages eine Kernforderung des Wirtschaftsflügels der Union.
Unternehmen können Steuern sparen, indem sie ihre Verluste in der Coronakrise bis zur Höhe von 20 Millionen Euro mit früheren Gewinnen verrechnen, was den Staat rund eine Milliarde Euro kostet.
Die befristete Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für Speisen im Gastronomiebereich wurde bis zum 31. Dezember 2022 verlängert, führt jedoch allein im Jahr 2021 zu Mindereinnahmen des Staates von rund 3,5 Milliarden Euro.
Unter dem Druck der Coronakrise, die Einkommensverluste durch Kurzarbeit, Geschäftsaufgaben und Arbeitslosigkeit mit sich gebracht hat, kauften mehr Familien bei Lebensmitteldiscountern ein, wodurch die Besitzer solcher Ladenketten wie Aldi Nord und Aldi Süd, die ohnehin zu den vermögendsten Deutschen gehören, noch reicher geworden sind.
Dieter Schwarz, Eigentümer von Lidl und Kaufland, hat sein Privatvermögen, das die Welt am Sonntag (v. 20.9.2020) auf 41,8 Milliarden Euro taxierte, allein in den vergangenen zwei Jahren laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes um 14,2 Milliarden Dollar gesteigert.
Für die Aldi-Erben Beate Heister und Karl Albrecht junior ergab sich immerhin ein Zugewinn von 6,4 Milliarden US-Dollar, wie dem Artikel Die Reichsten werden noch reicher von Johannes Pennekamp in der FAZ (v. 25.1.2021) zu entnehmen war.
Infolge der pandemiebedingten Einkommensverluste sind wahrscheinlich mehr Girokonten von prekär Beschäftigten, Kurzarbeiter:innen, Soloselbstständigen und Kleinstunternehmer:innen ins Minus gerutscht, weshalb gerade die finanzschwächsten Kontoinhaber:innen hohe Dispo- und Überziehungszinsen zahlen mussten.
Ähnliches gilt für die Kassen- bzw. Liquiditätskredite stark verschuldeter Kommunen, die höhere Sozialausgaben als vor der Covid-19-Pandemie hatten, aber sinkende Gewerbesteuereinnahmen verzeichneten.
Immerhin federte der Bund die kommunalen Steuerausfälle ein Stück weit ab und übernahm auch statt 50 Prozent fortan knapp 75 Prozent der Unterkunftskosten bei Hartz IV, um die kreisfreien Städte und die Landkreise zu entlasten.
Wenn die Coronakrise viele gänzlich leere Gemeindekassen hinterlässt, ist noch mehr öffentliche Armut vorprogrammiert. Schon länger überverschuldete Gemeinden wie die meisten Ruhrgebietsstädte, in denen es besonders viele arme Kinder gibt, könnten dann weder nötige Zukunftsinvestitionen wie den Bau neuer Schulen tätigen noch "freiwillige", nicht gesetzlich vorgeschriebene Leistungen z. B. in der offenen Jugendarbeit erbringen.
Vielmehr wächst die Gefahr, dass sie wegen ihrer wachsenden Finanznot ausgerechnet die kommunalen Angebote in den Bereichen Jugend, Freizeit, Kultur und Sport zusammenstreichen.
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