Mit Corona-Regeln gegen Proteste nach Polizeimord

Eine Frau legt Blumen bei einer Mahnwache für Sarah Everard in Sheffield Blumen nieder. Bild: Tim Dennell, CC BY 2.0

Londoner Polizei nutzt Pandemie, um Demonstrationen nach Sexualmord zu verhindern. Als das nicht gelang, reagierte sie mit Repression

Am Samstagabend hat die Londoner Polizei eine Mahnwache für die ermordete 33-jährige Sarah Everard gewaltsam aufgelöst. Everard war einige Tage zuvor auf dem Heimweg entführt und ermordet worden. Hauptverdächtiger ist ein Polizist. Auch deshalb ist die Polizeiaktion vom Samstag inzwischen zu einem Politikum geworden.

Hier kommt einiges zusammen: Der institutionelle Sexismus von Staat und Justiz, aber auch die zunehmend antidemokratischen Tendenzen in der britischen Politik, die im Zuge der Covid-19-Pandemie Auftrieb bekommen haben.

Die Mahnwache wurde ursprünglich vom "Reclaim These Streets"-Kollektiv geplant, das anlässlich der Ermordung von Everard gegründet worden war. Die Vorbereitung der Aktion gestaltete sich von Beginn an schwierig. Während die lokale Politik im Londoner Stadtteil Clapham dem Vorhaben positiv gegenüberstand, legte die "London Metropolitan Police" dem Zusammenschluss von Beginn an Steine in den Weg.

Die Polizei berief sich dabei auf die in Großbritannien geltende Covid-19-Gesetzgebung. Diese engt das Recht auf freie Meinungsäußerung im öffentlichen Raum massiv ein. Die Londoner Polizei ist sogar der Auffassung, dass Kundgebungen und Demonstrationen eigentlich ganz zu unterlassen sind.

Nicht nur in London wird Protest unterbunden. Im nordwestenglischen Manchester erhielt eine Krankenschwester eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Pfund (gut 11.650 Euro), weil sie gemeinsam mit 40 anderen Menschen gegen geplante Gehaltskürzungen im Gesundheitswesen protestiert – mit Gesichtsmasken und räumlichen Abstand zwischen den Teilnehmern.

Über eine Crowdfundingaktion wurde inzwischen mehr als genug Geld gesammelt, um die Kosten für die Geldstrafe decken zu können. Dennoch zeigt sich hier der existenzgefährdende Charakter des repressiven Polizeiverhaltens in Großbritannien.

Polizei versuchte Proteste nach Mord zu unterbinden

So groß ist der Unmut inzwischen, dass sich in Manchester eine Gruppe von Studierenden mit dem Ziel gegründet hat, die Polizei bei Einsätzen zu überwachen.

Auch im Vorfeld der im Londoner Clapham-Commons-Park geplanten Mahnwache drohte die Polizei den Organisatorinnen mit hohen Geldstrafen, sollten diese an ihrer Veranstaltung festhalten. Detaillierte Hygienekonzepte des "Reclaim These Streets"-Kollektivs wurden von der Polizei abgelehnt.

Die Veranstalterinnen hatten unter anderem zeitlich gestaffelte Start- und Endzeitpunkte für die Mahnwache eingeplant, um zu verhindern, dass zu viele Personen gleichzeitig am selben Ort erscheinen. Gegenvorschläge für einen pandemiegerechten Veranstaltungsablauf gab es von der Polizei nicht, beklagten die Aktivisten.

Um die Rechtslage zu klären, zog das Kollektiv sogar vor den High Court. Dieser beschied, dass trotz der andauernden Corona-Pandemie die Demonstrationsfreiheit grundsätzlich rechtlich gewährleistet sei und die Polizei entsprechend verhältnismäßig agieren müsse.

Aber ungeachtet dieses Urteils hielt die Londoner Polizei ihre Strafandrohung aufrecht. Das Kollektiv sah sich zur Absage der Mahnwache gezwungen, hunderte Menschen erschienen trotzdem. Das Ergebnis ist bekannt – Polizisten, die Frauen auf den Boden zerren, sie in Handschellen abführen und gegen Bäume pressen.

Am Sonntagnachmittag waren es dann nicht mehr hunderte, sondern tausende Menschen, die sich in der Nähe des Londoner Polizeihauptquartiers versammelten um dort gegen die Auflösung der Mahnwache am Vortrag zu protestieren.

Vor allem Frauen trauen der britischen Polizei nicht mehr

Hier entlud sich einerseits ein der lange angestaute Unmut über der Polizei. Vor allem Frauen vertrauen dem Sicherheitsapparat nicht mehr. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt, dass 96 Prozent von Betroffenen sexualisierter Gewalt dies anschließend nicht bei der Polizei anzeigen.

Gleichzeitig schnellt die Zahl der von Männern ermordeten Frauen in die Höhe. 31 Frauen wurden 2021 bereits ermordet. 2020 waren es insgesamt 131 ermordete Frauen im Zuge von Sexualdelikten.

Das Misstrauen gegenüber der Polizei ist historisch gewachsen. Dafür steht stellvertretend die amtierende Londoner Polizeichefin Cressida Dick, die den Polizeieinsatz gegen die Mahnwache in Clapham verteidigt.

Schon 2005 stand sie im Rampenlicht, als sie einen Polizeieinsatz befehligte, der in der Erschießung des Elektrikers Jean Charles de Menezes mündete.

Die Hinterbliebenen des Ermordeten hatten versucht, die Berufung von Cressida Dick zur Polizeichefin zu verhindern, waren jedoch erfolglos. Im Gegenteil wird sie intern als eine der besten Einsatzstrateginnen ihrer Generation gewürdigt.

Auch politisch ist Dick eine Scharfmacherin. Im vergangenen Jahr hat sie hinter den Kulissen erfolgreiche Lobbyarbeit für eine dauerhafte Verschärfung des Demonstrationsrechtes betrieben. Das Ergebnis dieser Arbeit – der Entwurf eines "Polizei-, Verbrechens-, Verurteilungs- und Gerichtsgesetzes – wird diese Woche im britischen Unterhaus debattiert.

Cressida Dick hatte genau ein solches Gesetz gefordert, um Proteste und Aktionen des zivilen Ungehorsams besser polizeilich eindämmen zu können.

Der Gesetzestext beläuft sich auf über 300 Seiten, die es in sich haben. Die Einschreitschwelle wird dramatisch gesenkt. Jeder Protest, der geeignet erscheint andere Menschen "zu beeinträchtigen", kann zukünftig zur polizeilichen Auflösung einer Kundgebung führen.

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