Mit Pazifismus gegen alle Vereinfacher

Seite 2: In der Neuverfilmung wurde einiges verändert

Edward Bergers Neu-Fassung kann da nicht mithalten. Das liegt auch daran, dass die Handlung gegenüber dem Buch an zahlreichen Stellen verändert wurde, um die Karikaturen böser Militärs und traumatisierter Kinder erweitert. Die Konzentration liegt auf den Kampfszenen, die Passagen der Ausbildung sind auf ein Minimum gekürzt.

Von der Nachdenklichkeit, der Trauer und Melancholie der Vorlage bleibt vergleichsweise wenig übrig. Allenfalls das stumpfe Trauma ist spürbar.

Foto aus "Im Westen nichts Neues", 2022. Copyright Netflix / Reiner Bajo

Trotzdem ist Bergers Film durchaus achtbar. Und er verrät die Vorlage nicht – auch wenn Historiker Fehler bemängeln und manch ein amerikanischer Kritiker nicht zu Unrecht bemerkte, dass der Film weniger der tatsächlichen Erfahrung in den Blutmühlen der Westfront ähnelt als der cleanen Ästhetik eines Computerspiels.

Darum dürfte der Film durchaus Chancen haben. Sogar den Oscar als "Bester Film" könnte er gewinnen. Allein schon aus schlichten mathematischen Überlegungen: Seine größte Stärke ist nämlich seine scheinbare tagespolitische Schwäche.

Denn dies ist der einzige Film, der nicht im verminten Terrain des zeitgenössischen Diskurses spielt. Andere Filme vermarkten sich als Themenfilme. Und sind es auch: Die Oscar-Kandidaten handeln von sogenannter "toxischer Männlichkeit", Rassisismus, Cancel Culture und Reichtum. "Im Westen nichts Neues" tut all das nicht.

Apokalyptische Sinnlosigkeits-Orgien

Wir lernten, dass ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bände Schopenhauer. Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgültig erkannten wir, dass nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die Wichsbürste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit, sondern der Drill.

Es hilft ihm auch, dass Berger der grausame Zufall der Geschichte zur Seite sprang: Denn durch den Ukraine-Krieg und apokalyptische Sinnlosigkeits-Orgien und Stellungskriegs-Szenarien wie gerade in Bachmut ist der Stoff erschreckend zeitgemäß geworden.

"Wie im Ersten Weltkrieg" heißt es zu den Bildern immer wieder - und in seiner Kritik an jeder Art von Patriotismus macht der Roman es allen zeitgenössischen Vereinfachern nicht leicht. Erich Maria Remarque war ein Pazifist; und Krieg war für ihn nie gerecht, da gab es kein Gut und Böse.

Eine Tatsache, die gerade sehr vielen Menschen unbequem ist. Sie lässt sich aber nicht verleugnen. Dieser Film macht sie konsumierbar.

Wer Remarque liest, dem wird klar werden: Kriegsgeheul und Bellizismus mögen ihre (guten?) Gründe haben. Sie sind aber nie nur idealistisch motiviert. Sondern sie sind eine Form von Flucht aus dem Leben:

"Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht mehr stürmen. Wir sind Flüchtende. Wir flüchten vor uns, vor unserem Leben."