Mit Querfront-Fakes gegen die Querfront?

Alles Querfront, außer Mutti? Linker Protest in Leipzig. Bild: @LINKEPELLI

Themen des Tages: Streit um Sozialproteste. Ein Politologe über Wege aus dem Krieg. Und eine notwendige Richtigstellung zu einem Viktor-Orbán-Text, der ein Olaf-Scholz-Text war.

Liebe Leserinnen und Leser,

Deutschland streitet um den richtigen Umgang mit Sozialprotesten, die Analyse steht dabei dem Framing weit nach. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine stellt sich die Frage nach dem Ziel. Und was macht eigentlich Victor Orbán?

Doch der Reihe nach.

Wie umgehen mit Wirtschaftskrise und Sozialprotesten?

Dass Europa angesichts einer fast unkontrolliert steigenden Inflation ein heißer Herbst bevorsteht, ist nicht nur Bundesaußenministerin Annalena Baerbock klar. Wie Telepolis berichtet hatte, hatten am Wochenende in Prag rund 70.000 Menschen gegen steigende Energiepreise protestiert. In deutschen Medien wurde umgehend darauf hingewiesen, dass sich in der tschechischen Kapitale eine politisch unappetitliche Allianz aus Kommunisten, Rechtsextremen und anderen politischen Kräften zusammengefunden hat.

Schnell kam der Begriff Querfront ins Spiel; eine Strategie, mit der Kommunisten und Rechtsextreme in der Weimarer Republik den bürgerlichen Staat zu stürzen versuchten. (Dessen Vertreter sich zum politischen Selbsterhalt wiederum mit rechtsextremen Freikorps verbündeten und mit Staatsterror antworteten, doch das ist ein anderes Thema.)

Doch selbst wenn in Prag eine Rechts-Links-Allianz mobilisiert hat, und selbst wenn man das ablehnt: Die Menschen waren auf der Straße. Und die makroökonomischen Zahlen lassen vermuten, dass es mehr werden; auch in Deutschland.

Wirft man dieser Tage einen Blick auf die polit-mediale Meinungsmaschinerie, wird deutlich: Es gibt eine breite Front von Akteuren, die sich der sozialpolitischen Realität nicht nur verweigern, sondern sie sich zurechtschustern. Anstatt sich den Widersprüchen und Herausforderungen der Ukraine-Politik in all ihren Konsequenzen – vor allem hierzulande – zu stellen, werden die Proteste pauschal diffamiert.

So auch mit Blick auf Leipzig, wo am Montag auf dem Augustusplatz tausende Menschen einem Aufruf der Linkspartei unter dem Motto "Heißer Herbst gegen soziale Kälte" gefolgt waren. Dass die an Konflikten und Misserfolgen nicht arme Linkspartei fast verzweifelt auf die kommenden Sozialproteste setzt, um der politischen Bedeutungslosigkeit zu entkommen – geschenkt!

Dass ihr Protest aber trotz unmissverständlicher Positionierung gegen eine parallel stattfindende, deutlich kleinere rechtsextreme Kundgebung auf dem Augustusplatz als "Querfront"-Veranstaltung abgetan wurde, ist politisch unlauter. Mehr noch: Es waren gerade Linksliberale bis -radikale, die vor allem in sozialen Netzwerken zum Beleg des "Querfront"-Vorwurfs einen Fake-Aufruf des rechten Verlegers Jürgen Elsässer verbreiteten, der eine gemeinsame Aktion der politischen Antipoden suggerierte. Bei der Fake-Check-Seite volksverpetzer kann man das nachlesen.

Querfront-Gegner, die mit moralischer Verve die Arbeit von Querfront-Propagandisten erledigen? Das zeigt: Die Proteste laufen an, der Herbst wird heiß. Umso wichtiger, einen kühlen Kopf zu bewahren. Und Antidemokraten nicht das Ruder zu überlassen. Egal aus welchem Lager.