Mit Rechten reden. Oder besser mal nicht

Seite 3: Darf der das?

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Tellkamp hat zur Freiheit nichts zu sagen. Dagegen formuliert er Wahnsysteme, Trotz und Bunkermentalität. Will er es nicht wahrnehmen, was eine Diktatur von der Bundesrepublik trennt? Er kann es nicht? Er ist festgeklebt in Opfermentalität, in ostdeutschem Freund-Feinddenken?

Er schwadroniert von "Rechtsverletzung und Rechtsbruch" durch die Politik, von "Repressionsmühlen" der Medien, von erwünschter und geduldeter Meinung. Darf man das? Nein! Man darf es eben nicht, nicht moralisch, nicht politisch nicht sozial. Rechtlich darf man es schon, das ist durch Artikel 5 GG gedeckt. Von der Meinungsfreiheit, an der Tellkamp zweifelt.

Aber jede Gesellschaft errichtet Verbote und Tabus. Ohne Verbote und Tabus ist menschliche Zivilisation gar nicht denkbar. So wie sie ohne Grenzen nicht denkbar ist. Die Frage ist allein, wo eine solche Grenze gezogen wird.

Wer die politische Rechte bekämpfen will, muss einen hohen Tabuzaun um bestimmte Äußerungen errichten. Man muss die AfD tabuisieren. Genau so bekämpft man sie. Man spielt nicht mit den Schmuddelkindern und man spielt auch nicht mit der braunen Sache. Man singt nicht ihre Lieder. Man gibt ihnen keine Handbreit Platz und keinen kleinen Finger.

Und wer es doch tut, ja, der darf das, Herr Tellkamp. Er muss nicht ins Gefängnis wie in der DDR, nicht in ein Konzentrationslager wie im Dritten Reich. Aber wenn er Dinge sagt, die einer Gesellschaft das Wort redet, in der Fremde Menschen zweiter Klasse sind, dann widerspricht man ihm hart. Keine Toleranz den Feinden der Toleranz, so einfach ist das.

Ohne Schutzinstinkte

Vor ein paar Tagen berichtete die "Süddeutsche" über die norwegische Journalistin Äsne Seierstad, die bei der Leipziger Buchmesse den Preis für Europäische Verständigung erhalten hatte, für ihr Buch "Einer von uns", einer Langzeitrecherche über den rechtsextremen Massenmörder Anders Breivik und seine Tat auf der Insel Utøya 2011.

Der Autor Felix Stephan berichtet darin, Seierstad habe in Leipzig "exemplarisch die Geschichte eines Mädchens" erzählt, die auf Utøya die Sommerferien verbrachte, als Breivik kam. Als junge Aktivistin, so Stephan weiter, habe sie es gelernt, dass nur die besten Argumente den Gegner überzeugen. Das Mädchen habe Rhetorikkurse besucht und gelernt, wie man überzeugt, wie man eine Diskussion gewinnt.

Als sie gesehen habe, wie Breivik ihre Freunde tötete, sei sie auf ihn zugegangen und habe gesagt: "Das dürfen Sie nicht, Sie müssen aufhören zu schießen." Breivik, so Seierstad, "hob seine Waffe und schoss eine Kugel durch ihr Gehirn'". Seierstad folgerte aus der Episode, schon als Andenken an dieses "ungeheuer mutige Mädchen" dürfe man die Ideen, für die sie stand, nicht aufgeben.

Vielleicht kann man aus ihrem Schicksal aber etwas ganz anderes lernen. Vielleicht muss man sich besser an den Kopf fassen, und fragen: Wie kann man nur so blöd sein! Dieses Mädchen hat einfach nicht gelernt, einen Feind zu erkennen, es hat nicht gelernt, Freund und Feind zu unterscheiden. Es hat noch nicht einmal gelernt, dass es manchmal am besten ist, einfach in Deckung zu gehen. Es hat, kurz gesagt, seine Schutzinstinkte verloren. Das darf uns als Gesellschaft nicht passieren.