Mit Shake and Paste ans Ziel

Krise der Kulturwissenschaften angesichts des grassierenden Plagiarismus

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Es gibt zwar noch keine harten empirischen Fakten, aber sehr wohl bereits Schätzungen: Rund ein Drittel aller studentischen Arbeiten könnten zumindest teilweise Plagiate darstellen. An den Universitäten wird mit Resignation oder relativ zahnlosem Kampf reagiert. Was an dem Betrieb systemisch falsch läuft, wird hingegen kaum gefragt.

Alarmismus und "Immermehrismus" mögen verdächtige konstruktivistische Strickmuster der Massenmedien sein. Doch diese Geschichte könnte kaum anders beginnen: "Die Zahlen sind alarmierend. Immer mehr Studierende reichen plagiierte Arbeiten ein."

Die Studenten sind dabei nicht nur Täter, sondern auch Opfer: Vor allem von Lehrpersonal, das die Zitierregeln selbst nicht beherrscht und wissenschaftliches Arbeiten so vermittelt, als wäre letztlich eh alles einerlei (ein Beispiel ist hier nachzulesen). Opfer aber auch von Lehrenden, die in ihrer fortschreitenden Unkreativität immer wieder dieselben Themen vergeben (Kants Ding an sich, das Werturteilsfreiheits-Postulat Max Webers, Bourdieus Habitus-Konzept).

An den Universitäten wird kaum noch gelesen, das viel gerühmte close reading ist einer allumfassenden Oberflächlichkeit gewichen. Assistenten blättern unwillig durch die nimmer enden wollenden Stöße von Hausarbeiten - anstelle der Professoren, die sie einfach nicht mehr lesen wollen. Dieses Klima schwappt nach einer gewissen Zeit auf die Studierenden über. Sie lernen, wie man mit Fakes und Heucheleien im System weiterkommt. Wissenschaft, so setzt sich in zahllosen Köpfen dann fest, ist die Simulation von wissenschaftlicher Diskursivität.

Fakes Heucheleien beherrschen Uni-Betrieb

"Wir behandeln Studierende wie Nummern in einer Abschlusszeugnis-Erzeugungsmaschinerie, es geht kaum noch um wissenschaftlichen Diskurs. Und wir lesen die Texte nicht mehr sehr gründlich", bekennt mit erstaunlicher Offenheit die Berliner Informatik-Professorin und Plagiats-Expertin Debora Weber-Wulff.

Solche Geständnisse tun gut. Sie tragen an die Öffentlichkeit, was hinter vorgehaltener Hand viele beklagen. Sind also alleine die Lehrenden schuld, ist das Problem vollends hausgemacht? Einseitige Schuldzuweisungen helfen nicht weiter, überhaupt sollte hier nicht von "Schuld" die Rede sein, sondern von einer Spirale, die sich derzeit unaufhörlich nach unten dreht: Schlechte Lehrende verantworten schlechte Abschlussarbeiten - und deren Autoren sind die Assistenten (und Professoren) von morgen.

In der Hochphase von www.hausarbeiten.de/ und Konsorten zirkulierten studentische Arbeiten im Sinne von Totalplagiaten, ganze Texte wechselten ihre Autoren. Längst ist die Brachial-Strategie des Copy Paste dem differenzierteren Shake Paste gewichen: "Bei der Methode Shake Paste wählt der Plagiator aus mehreren Arbeiten Absätze aus und fügt sie zusammen", so Weber-Wulff.

Wer diese Praxis nun wieder mit dem wissenschaftlichen Zitieren vergleicht, der hat immer noch rein gar nichts verstanden: Das größte Problem beim gegenwärtigen Plagiarismus ist ja nicht der "Betrug" an der hehren Wissenschaft, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Studierenden zunehmend nicht mehr in der Lage sind (oder sein wollen), eigene Sätze zu formulieren. Das "Kleben-Bleiben" am Original wird freilich oft schon in der Schule antrainiert. Die Fähigkeit zu eigenständigem Denken und zum Gießen dieser Gedanken in ganze Sätze kommt aber derzeit - nicht zuletzt auch durch das Internet - mit doppelter Geschwindigkeit abhanden.

Plagiatoren erster und zweiter Ordnung

Die Plagiatoren erster Ordnung plagiieren, weil sie faul sind, weil sie sich für die Wissenschaft "in Wirklichkeit" rein gar nicht interessieren, weil sie einfach irgendwie durchkommen wollen. Manchmal plagiieren sie auch, weil sie glauben, dass sie den wissenschaftlichen Stil nicht erreichen können und es deshalb gleich besser sei, ganze Textbausteine zu übernehmen.

Die Plagiatoren erster Ordnung sind - wie erwähnt - oft Opfer ihrer Umstände. Komplexer ist das Problem mit den Plagiatoren zweiter Ordnung (sie sind aber bei weitem in der Minderheit): Sie plagiieren, weil sie glauben, dass sie damit theoretisch wie empirisch das Richtige tun. Sie behaupten etwa, dass es unter den Bedingungen des vernetzten kollektiven Wissens keinen Anspruch auf Einzel-Autorenschaft, auf Genius, Original und Copyright mehr gebe. Dass die Kopie das Original der Wirklichkeit sei. Dass es gemäß der Intertextualitäts-Lehre keinen originären Text gebe, sondern dass alles die Summe von Zitaten, von bisher Gesagtem sei.

All diese Denkbewegungen verkennen den Unterschied zwischen eigenem Gedanken und wörtlich Zitiertem. Mit ihrem postmodernen Alles-ist-in-allem-Gestus sind deren Vertreter die eigentlichen Idioten, die Wegbereiter des Endes der Kulturwissenschaften. Man möchte ihnen innovative Bücher von Einzelautoren um die Ohren hauen. Also sicher nicht jene, die sie 'gelesen' haben.

Kein studentisches, sondern ein systemisches Problem

Besonders pikant wird es, wenn auch wissenschaftliche Gutachter oder Experten - offenbar unter Ausschaltung ihres Hausverstandes - vor dem Plagiarismus ihre Augen verschließen. Der folgende linke Text stammt von einer Website einer amerikanischen Forschungsinstitution, der rechte Text aus einem Forschungsantrag beim österreichischen Forschungsförderungsfonds (FWF):

Das Forschungsprojekt in der Höhe von rund 30.000 Euro wurde - trotz schriftlich eingebrachter Hinweise auf diese und mindestens vier weitere Plagiatsstellen - bewilligt. Eine solche Entscheidung (vermutlich kein Einzelfall) zeigt, dass das Problem eben längst nicht mehr auf einseitige Schuldfragen reduzierbar ist: Es ist kein studentisches Problem mehr, sondern ein systemisches.

Open-Access als Ausweg?

Was ist zu tun? Plagiatsbekämpfungs-Software alleine bringt wenig, zudem sind viele Services nicht sehr effizient (Testergebnisse sind hier nachzulesen).

Der Linzer Kulturphilosoph und Betrugs-Forscher Gerhard Fröhlich propagiert die Vision Open-Access: "Eine effektive Plagiatsbekämpfung wird nur über eine voll digitalisierte Wissenschaftskommunikation möglich sein", sagte er vor kurzem auf einem Symposium zum Thema Copy, Shake, Paste. Plagiate und unethische Autorenschaften in Wissenschaft und Literatur in Linz.

Bis auf weiteres die effizienteste Plagiatsbekämpfung: Haus- und Sachverstand. Doch genau der scheint den Lehrenden in der aktuellen Universitäts-Landschaft sukzessive abhanden zu kommen.