Mit verordneter Amnesie in die neue Weltkriegslage

Während der "Anti-Terror-Operation" Kiews in der Ost-Ukraine, 2016. Bild: Ministry of Defense of Ukraine, CC BY-SA 2.0

Die Kriegsmoral beherrscht auch im Westen das Feld. Doch beim hiesigen Patriotismus gibt es kleinere Irritationen. Einige Beispiele zu Geschichtsvergessenheit und deutschen Kontinuitäten.

Mit dem 24. Februar 2022, dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, soll sich die Welt komplett verändert haben. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg soll eine ganz neue außenpolitische Lage geschaffen, ein brutaler Akt – eine Ausgeburt Putin’scher Bösartigkeit – aus heiterem Himmel die europäische Friedensordnung zerstört haben.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) teilte mit, dass sie an diesem Tag "in einer anderen Welt aufgewacht" sei. Auch aus der Opposition, von dem EU-Abgeordneten Manfred Weber (CSU), hieß es: "Es ist eine neue Welt, in der wir leben".

Der außenpolitische CDU-Experte Norbert Röttgen legte ein paar Wochen nach Kriegsbeginn unter dem Titel "Nie wieder hilflos" gleich sein "außen- und sicherheitspolitisches Manifest" vor, das eingangs feststellte:

Das vor Kurzem Unvorstellbare ist geschehen: Der Krieg ist zurückgekehrt nach Europa.

Natürlich ist dem Mann bewusst, dass es vorher schon sogenannte kriegerische Akte gegeben hat, auch in Europa. Aber das ändert für ihn nichts daran, dass jetzt der Grund für die "Zeitenwende" gelegt wurde, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) wenige Tage nach Kriegsbeginn ausrief – einem Sachzwang folgend, der dem angeblich "völlig überraschten" und "hilflosen" Deutschland keine andere Wahl gelassen habe.

Das Trio der Kriegslügen

Dass Kriege kein Novum für Europa sind, dass völkerrechtswidrige Kriege auch unter Führung der USA und Beteiligung von Nato-Staaten, inklusive Deutschland, stattfanden, wird dabei definitiv ausgeblendet.

Und die ganze Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs, zu der nicht nur die massive Aufrüstung des Westens, sondern auch ein rund achtjähriger Krieg der Kiewer Zentralregierung gegen abtrünnige Volksteile im Osten des Landes gehörte, darf nicht zur Sprache kommen.

Die drei zentralen Lügen – die Rückkehr des Krieges, der absolute Unrechtscharakter des Völkerrechtsverstoßes und die unmotivierte bzw. unprovozierte russische Invasion – haben dabei den Charakter einer offen angesagten Amnesie, die regelrecht gegen kritische Nachfragen und Bedenken in Stellung gebracht wird.

Und die von den Medien in erstaunlicher Einmütigkeit geteilt, ja zu einem Auftrag gemacht wird, auf die so banalen wie naheliegenden skeptischen Nachfragen Acht zu geben und dabei staatstreu gegen abweichende Meinungen vorzugehen.

Leitmedien können also nicht nur die Unwahrheit verbreiten, wie Renate Dillmann in ihrer Analyse der "Leo-Kampagne" jüngst festhielt, sondern regelrecht als Aktivisten einer Kriegspropaganda auftreten, die den Druck einer vierten Gewalt ins Spiel bringt und in gewisser Weise Politik macht. Merke: Medien sind mächtiger als Bomben.

Aber die Unwahrheit zu verbreiten, bleibt in Kriegszeiten – wo bekanntlich die Wahrheit das erste Opfer der militärischen Handlungen darstellt – ihre vornehmste Aufgabe. Daher hier im Folgenden eine kurze Überprüfung der gängigen Kriegspropaganda des Westens, also keine Analyse der Kriegsgründe, sondern ein Aufweis der Leichtigkeit, mit der die Volksverdummung Anno Domini 2022 neue Maßstäbe gesetzt hat.

1. Die Rückkehr des Krieges

Die Klage, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt sei, ist von einer derart dreisten Verlogenheit, dass selbst entschiedene Fürsprecher einer Aufrüstung wie Norbert Röttgen, sozusagen im Kleingedruckten, zugeben müssen, dass man sich, wenn man wollte, natürlich an einschlägige Militäraktionen in "unserer" Welt erinnern könnte.

Hier wäre etwa die Rolle Großbritanniens im Nordirland-Konflikt zu erwähnen. Seit 100 Jahren und daher auch seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die britische Armee in ihrer ehemaligen Kolonie Irland Unabhängigkeitsbestrebungen brutal bekämpft, zahlreiche "Kollateralschäden" an der Bevölkerung verursacht und Kriegsverbrechen begangen, die teilweise bis in die Gegenwart hinein einer Aufarbeitung harren.

"Der Umgang mit mutmaßlichen Verbrechen durch britische Militärangehörige ist eines der heikelsten Themen des nordirischen Friedensprozesses", schrieb vor gar nicht langer Zeit der Spiegel, als weitere Details zu Massakern an der Bevölkerung vor 50 Jahren – neben dem berüchtigten Blutsonntag in Derry – bekannt wurden. (Man stelle sich nur einmal vor, Putins Kriegsverbrechen würden auch erst ein halbes Jahrhundert später vor Gericht gebracht …)

Sachlich näher liegend ist natürlich der Kosovo-Krieg von 1999, an dem sich Deutschland beteiligte, nachdem es den Separatismus im jugoslawischen Gesamtstaat – gerade auch durch ein Vorpreschen gegenüber den (zeitweise verstimmten) europäischen Verbündeten – jahrelang befeuert und durch einen ersten Militäreinsatz in Bosnien seine Rolle als Aufsichtsmacht zur Neuordnung des Kontinents bekräftigt hatte.

Durch den Wegfall des Ostblocks hatten sich in diesem Bereich neue Eingriffsmöglichkeiten eröffnet, die mit diplomatischen, im Notfall aber auch militärischen Mitteln zum Erfolg geführt werden sollten.

Diese auch von "Deutscheuropa" organisierte Neuordnung von Grenzen, Einflusszonen und Statuszuweisungen bildet zugleich einen der Ausgangspunkte für den Konflikt, den die Welt derzeit in der Ukraine erlebt.

Adressiert und mit massiver Aufrüstung sowie Nato-Erweiterung fundamentiert war dies an den postsowjetischen Staat, dem seine Zurückstufung zur "Regionalmacht" (Barack Obama) vor Augen geführt werden sollte.

2. Der unverzeihliche Verstoß gegen das Völkerrecht

Wer den "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" Russlands als das absolut geltende Kriterium zur Verurteilung dieser Kriegspartei nimmt, hat wohl auch "den Nato-Krieg gegen Jugoslawien vergessen", schreibt Georg Auernheimer. In seiner kürzlich erschienenen instruktiven Übersicht zur Genese des Ukraine-Konflikts fährt er im Blick auf Jugoslawien fort:

"Damals haben 1000 Flugzeuge, darunter deutsche, zweieinhalb Monate lang Städte und Industrieanlagen bombardiert und nicht nur Infrastruktureinrichtungen, sondern auch Kulturinstitutionen und Wohneinheiten zerstört oder beschädigt." – ein Angriff, der "völkerrechtswidrig" war, "ebenso wie 2003 der zweite Krieg gegen den Irak, den die USA gemeinsam mit Großbritannien durchführten".

Zu erwähnen ist in dem Zusammenhang auch, dass bei der Zerlegung Jugoslawiens, wie der Journalist Norbert Mappes-Niediek in seiner neuen, groß angelegten Studie "Krieg in Europa" vermerkt, der damalige demokratische Senator Joe Biden Kriegstreiber an vorderster Front war. Biden forderte rasches, rücksichtsloses Zuschlagen:

Wenn ich Präsident wäre, würde ich Milošević einfach bombardieren… Die Nato-Verbündeten würde ich mitmachen lassen.

Joe Biden

Von US-Seite hieß es übrigens, für eine Intervention sei ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates "wünschenswert, aber nicht nötig". Für Außenministerin Madeleine Albright war die Zustimmung der UN aber noch nicht einmal wünschenswert, sie schrieb später in ihren Memoiren:

Wäre eine Resolution im Sicherheitsrat durchgegangen, so hätten wir einen Präzedenzfall geschaffen: nämlich dass die Nato für ihr Einschreiten die Zustimmung des Sicherheitsrates bräuchte.

Madeleine Albright

Im Fall des Iraks sei hier nur noch – exemplarisch für die zahlreichen Völkerrechtsbrüche der USA – daran erinnert, dass er mit einer dreisten Lüge angekündigt wurde. Der damalige US-Außenminister Colin Powell lieferte 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat eine Rede ab, die voller Falschinformationen über Iraks Massenvernichtungswaffen war und die man unschwer als plumpe Rechtfertigung eines Angriffskriegs durchschauen konnte – weswegen der damalige deutsche Außenminister Joseph Fischer (Grüne) eine Beteiligung an dem Krieg ablehnte.

Später äußerte Powell, dass dies "der Schandfleck seiner Karriere" war – "mit 300.000 toten Zivilisten in Irak". So billig ist für eine Supermacht ein Bruch des Völkerrechts zu haben: bestenfalls ein paar warme Worte Jahre später ...

3. Der unprovozierte "Zivilisationsbruch"

Dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine völlig überraschend über einen hilflosen Westen hereinbrach, ist genauso grotesk. Der Ukraine-Krieg und seine Vorgeschichte sind ausführlich dokumentiert worden, man sehe sich etwa auf den Internetmagazinen Telepolis, Overton und anderen die Beiträge seit Anfang 2020 an, die vor dem herannahenden Krieg warnten und die einzelnen Schritte der westlichen Kriegsvorbereitung – auch in mentaler und kultureller Hinsicht – zum Thema machten.

Und das wurde seit Anfang 2022 fortgesetzt, sieh zuletzt etwa die Informationen darüber, "wie Washington die Kriegsgefahr im Zuge der Osterweiterung in Kauf nahm".

Der Außenpolitik-Experte Jörg Kronauer, Redakteur des Portals German Foreign Policy, hat dazu im Frühjahr 2022 sein Buch "Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg" vorgelegt, das redaktionell bereits vor Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine abgeschlossen wurde und das sich in den militärstrategischen Details als zuverlässig erwies (auch wenn der Autor noch seine Hoffnung auf eine Deeskalation setzte).

Auernheimer hat das jetzt mit seiner Veröffentlichung darüber, wie Russlands Nachbar zum Kriegsschauplatz wurde, fortgesetzt. Der Autor bietet eine ausgezeichnete Übersicht über die Fakten, die in der politischen Öffentlichkeit regelrecht unterschlagen werden.

Die Empörung über den russischen Angriffskrieg – die es in dieser Form bei den Nato-Völkerrechtsverstößen oder Angriffskriegen nie gegeben hat – sei leicht zu erzeugen gewesen, so der Autor, da die meisten Menschen im Westen "nichts von den Angriffen der Ukraine auf Städte und Dörfer seit 2014 wussten, nichts wissen konnten, weil die Medien darüber nie berichtet hatten.

Der Anschluss der Krim an die Russische Föderation war zur Annexion erklärt worden, ohne dass jemals in Reportagen und Berichten die Interessenlage der dortigen Bevölkerung geprüft worden wäre".

Den geopolitischen und geschichtlichen Kontext des Konflikts, Details zu den gigantischen Aufrüstungsmaßnahmen des Westens trägt Auernheimer nach; er informiert über den Putsch des Euro-Maidan und die nachfolgenden "antiterroristischen" Operationen, mit denen die Kiewer Führung im Grunde eine ethnische Säuberung des Landes, nämlich seine Befreiung vom russischen bzw. russischsprachigen Einfluss und eine völkisch strikt abgegrenzte Nationenbildung durchsetzen wollte.

Dazu gibt es auch Rückblicke auf die verhängnisvolle nationalistische Tradition der ukrainischen Staatsgründungsaktivisten. Eine Tradition, die im Westen meistens verharmlost wird, da sich die einstmals starken neofaschistischen Kräfte in der Ukraine nicht mehr als eigene politische Kraft formieren, sondern in den Staats- und Militärapparat integriert wurden.

Die Leistung der patriotischen Moral

Dass bei den hiesigen Produzenten und Konsumenten der öffentlichen Meinung das Ignorieren solcher Sachverhalte – deren Aufdeckung wahrlich keiner großen analytischen Anstrengung bedarf – flächendeckend gegriffen hat, ist ein bemerkenswerter Akt der Volksverdummung.

Analoge Vorgänge, das sei hier nur am Rande vermerkt, kann man natürlich auch in der Öffentlichkeit der Russischen Föderation beobachten, wo zudem staatliche Zensurmaßnahmen notwendig waren, um einen (anscheinend nicht ganz linientreuen) Medienbetrieb gleichzuschalten.

Diese erstaunliche Geistesleistung, banale Fakten auszuklammern und damit Rätsel über die bösartigen oder irrsinnigen Absichten des gegnerischen Kriegsherrn zu verfertigen, liegt nicht an fehlendem Verständnis. Hier wird vielmehr eine Gesinnungswende praktiziert, die auf einem festen geistigen Fundament gründet und die eigentlich gar nicht viel an Wende und Umstellung mit sich bringt. Dazu abschließend nur einige Hinweise.

Wenn die Außenministerin Baerbock Russland jetzt einen "Bruch der Zivilisation" vorwirft und damit "unmittelbar an den Begriff ‚Zivilisationsbruch‘ (erinnert), der oft im Kontext des Holocausts verwendet wird", dann kassiert die grüne Politikerin den Ertrag einer moralischen Veranstaltung ein, die in der BRD gerade von grüner Seite besondere Unterstützung fand: die Vergangenheitsbewältigung im Hinblick auf den Nationalsozialismus.

Man bewältigte die Nazi-Herrschaft nämlich so, dass man gegen das absolute Böse der damaligen Staatsmacher die eigene Güte herausstellte. Indem man sich zur Singularität eines Menschheitsverbrechens bekannte, hatte man den singulären Charakter seiner nationalen Läuterung unter Beweis gestellt.

Dank diesem Moralismus, der die landläufige patriotische Moral bediente und veredelte (teils auch provozierte), kann Deutschland mittlerweile mit imperialer Selbstgerechtigkeit auftrumpfen. Die Nation, die einst mit der Zivilisation brach, hat – weil sie den Fehler ihres damaligen imperialistischen Alleingangs eingesehen hat – alles Recht der Welt, andere Nationen an den Pranger zu stellen.

Kurz gesagt: Deutschland bleibt sich treu und der neue Feind der alte: Russland.

Alternative Optionen des Patriotismus

Es erscheint dabei wie eine Absurdität, dass gerade die grünen Friedensfreunde, die in ihrer Aufstiegsphase noch Hunderttausende zum Protest gegen die Nato-Nachrüstung mobilisierten – damit der Frontstaat Bundesrepublik nicht zum atomaren Schlachtfeld mutiere –, heute wieder Panzer Richtung Russland losschicken und munter eskalieren, während die AfD der in Stalingrad gefallenen Soldaten gedenkt und der Parteivorsitzende Tino Chrupalla dem russischen Botschafter die Hand reicht.

Der AfD-Chef hat bekanntlich sogar den Friedensappell von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht unterschrieben. So hat der Nationalismus der ehemaligen Friedensbewegung, der das Vaterland vor Krieg schützen wollte, heute seine Heimat bei den Rechten, die nach dem nationalen Ertrag der ganzen Eskalation fragen. Deutsche Interessen müssen für sie eben ganz "unbefangen und tabulos auch für die Außenpolitik" an erster Stelle stehen.

Dass das ein "linker Protest von rechts" sein soll, ist natürlich lachhaft. Die AfD ist stramm national, sie hat ja ihren Aufstieg mit einer politischen Dummheit betrieben, nämlich mit der Anklage, die von den demokratischen Gutmenschen betriebene NS-Vergangenheitsbewältigung sei ein "Schuldkult", der Deutschland klein mache.

Das kann jetzt jedermann als Unsinn erkennen. Mit solchen – geschichtspolitisch genau austarierten – Bekenntnissen trumpft eine Nation diplomatisch auf, die Großes vorhat. Das ist der Anspruch, aus politischer Klugheit muss sie dann aber das imperialistische Kräfteverhältnis in Rechnung stellen.

Die offizielle deutsche Linie beugt sich der Einsicht: Die BRD ist unter US-Ägide zur Wirtschafts- und politischen Macht aufgestiegen und wird diesen Erfolgsweg fortsetzen, um zur "Führungsmacht" (Scholz), zur "Zentralmacht" (Lars Klingbeil, SPD), aufzusteigen.

Das alles geschieht also nicht zum Zweck der Unterordnung, sondern dazu, groß zu werden, es etwa so weit zu bringen, dass niemals mehr ein Ausländer es wagt, "einen Deutschen scheel anzusehen", wie es zu einer früheren "Zeitenwende" unter Kaiser Wilhelm II. hieß.

Und auf die preußische Tradition und das nationale Selbstbewusstsein der wilhelminischen Ära ist die AfD, die Bismarck verehrt und sich als deutsche Soldatenpartei versteht sowie für konsequente Aufrüstung votiert, besonders stolz.

Sie sieht die globalen Herausforderungen genauso wie etwa ein SPD-Außenminister Sigmar Gabriel, der vor sechs Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegen den Trump-Kurs festhielt, "Amerika" könne "nicht die Führungsmacht bleiben"; die EU habe Anspruch auf "eine Partnerschaft auf Augenhöhe". Auf Augenhöhe heißt: Man blickt sich aufrecht in die Augen, nicht missgünstig, also "scheel", was der Kaiser damals gar nicht leiden konnte. So bleibt sich sogar die imperialistische Rhetorik in Deutschland seit hundert Jahren treu.

Die Dummheit der AfD hat indes nichts mit intellektuellen Defiziten zu tun. Der Partei fallen ja – gegen die verordnete Amnesie – seit dem 24.2.2022 durchaus Unaufrichtigkeiten der offiziellen Regierungslinie auf und Parteichefin Weidel hat sogar den Mut, gegen die "Zeitenwende"-Hysterie lautstark an die "Mitverantwortung des Westens für den Angriff Russlands" zu erinnern.

Daraus folgt dann aber wieder die leicht größenwahnsinnige Vorstellung von einer deutschen Aufsichtsrolle, wie sie mit Bismarcks Phrase vom "ehrlichen Makler" berühmt wurde. Die AfD-Politikerin warnte in der Bundestagsrede am 27.2.2022, man dürfe sich "nicht unreflektiert in einen Krieg hineinziehen lassen … Deutschland kann und sollte hier eine wichtige Rolle als ehrlicher Makler spielen".

Die AfD ist schlicht und ergreifend eine national bornierte Mannschaft – und dabei im grundsätzlichen Standpunkt mit dem demokratischen Spektrum in Übereinstimmung. Die alternative Rechtspartei teilt auch den Moralismus, wie er derzeit von der Ampelregierung in Anspruch genommen wird.

Sie wendet sich nur gegen die spezielle militärische Variante, die den nationalen Erfolg in der Einreihung ins imperialistische Kollektiv unter US-Führung sucht und dabei der Überzeugung folgt, man habe im ukrainischen Staat einen willfährigen Stellvertreter gefunden, der Land und Leute opfert, damit "wir" zu neuer Größe aufsteigen.

Die Ampel-Männer und Ampel-Frauen stehen dagegen auf dem Standpunkt eines klug gewordenen Deutschlands, das zweimal, 1914 und 1939, mit seinem "Griff nach der Weltmacht" scheiterte, weil es gegen den Rest der Welt antrat.

Die AfD sieht das nicht so eng. Sie ist aber auch nicht einfach für einen Alleingang. Sie könnte sich den neuen Aufstieg zur Weltmachtrolle eher als Zähmung des russischen Bären vorstellen, mit neuen bündnispolitischen Optionen auf dem Kontinent etc. – und hat in dem Fall sogar eine gewisse militärstrategische Expertise auf ihrer Seite.

Es gibt pensionierte Generäle, die davor warnen, "den Iwan" zu unterschätzen und die weltweite Geschlossenheit der eigenen Front zu überschätzen. Der Sache nach geht es hier also um einen Streit zwischen demokratischer Mitte und rechtem Rand darüber, wie man Weltkriege besser führt. Wer da der Dümmere oder der Klügere ist, das möchte man gar nicht wissen ...

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