Mobbing wegen missliebiger Internetseite
"Extremistische Einstellung" - Die Dresdner Bank will einem Informatiker kündigen, weil der sich auf einer privaten Homepage mit Modellen zur Kürzung der Arbeitszeit beschäftigt hat
Unter dem Pseudonym Darwin Dante wurde Anfang der 90er Jahre in dem kleinen libertären Manneck Mainhatten-Verlag ein Büchlein unter den Titel 5 - Stunden sind genug veröffentlicht. Der Autor wirbt dort für ein Modell der radikalen Arbeitszeitverkürzung.
Seine sicher umstrittenen und auch im Internet kontrovers diskutierten Thesen lauten: "Unter güterwirtschaftlichen Gesichtspunkten sind von der heute geleisteten Lohnarbeit nur 5 Stunden pro Woche tatsächlich sinnvoll". Der heute übliche Lebensstandard könne dennoch aufrechterhalten werden. Das sei durch die Herstellung langlebiger Gebrauchsgüter, den Wegfall überflüssiger Verwaltungsarbeiten sowie die Ausnutzung von Vollautomatisierungstechnologien in Produktion und Verteilung zu erreichen. Dante nutzte seit Jahren auch das Internet, um seine Vorstellungen bekannt zu machen.
Das könnte jetzt dazu führen, dass dem Autor eine auch für ihn selber zu radikale Arbeitszeitverkürzung droht. Er muss um seinen Job kämpfen. Seit zwei Jahren war Dante, der seinen bürgerlichen Namen nicht bekannt geben will, bei der Dresdner Bank als Anwendungsinformatiker beschäftigt. An seiner Arbeit gab es keine Kritik. Doch seit mehreren Wochen darf Dante seiner Beschäftigung nicht mehr nachgehen. Während seiner krankheitsbedingten Abwesenheit wurde nämlich Dantes Internetseite entdeckt. In mehreren Gesprächen wurde ihm danach deutlich gemacht, dass das Vertrauen des Arbeitgebers schwer beschädigt seien. Ganz offen wurde ihm gesagt, man wolle ihn wegen seiner auf der Internetseite ausgedrückten politischen Meinung loswerden. Er passe nicht in das Unternehmen. Man werde das auch auf dem Wege einer leistungsbedingten Kündigung erreichen.
Dante wurde an einen Einzelarbeitsplatz weit weg von seinen Kollegen versetzt. Der Zugang zum Internet und zum firmeneigenen Intranet wurde ihm verweigert. Außerdem musste er sich beim Betreten und Verlassen des Bankgebäudes bei seinen Vorgesetzten oder dessen Stellvertreter an- und abmelden.
Schließlich wurde Dante vom Management vor die Alternative gestellt, selber zu kündigen oder nach sieben Abmahnungen entlassen zu werden. Danach werde er ganz sicher nie wieder eine Anstellung im Computerbereich bekommen, wurde ihm gedroht. Detailliert wurde ihm der Mobbingplan angekündigt. Er werde Arbeitsaufträge mit einem entsprechenden Zeitlimit erhalten. Bei jeder Nichterfüllung erhalte er eine Abmahnung. Tatsächlich habe er seitdem nur noch Aufträge erhalten, die in Umfang und Arbeitsaufwand von einer Person allein gar nicht zu schaffen seien, meint Dante. Auch eine angemessene Einarbeitszeit in sein neues Aufgabengebiet sei ihm verweigert worden.
Trotz dieses zunehmenden Drucks lehnte er eine freiwillige Kündigung mit der Begründung ab, dass er nichts getan habe, was eine solche Handlungsweise seines Arbeitgebers auch nur im Entferntesten rechtfertigen würde. Mit gewerkschaftlicher Unterstützung will er weiter um seinen Arbeitsplatz kämpfen. Ein Gütetermin ist bisher ergebnislos zu Ende gegangen. Mittlerweile hat die Dresdner Bank ganz offen die Homepage als Grund für den Entlassungswunsch genannt. In einem Schreiben heißt es, dass dort "Inhalte mit extremistischer Einstellung" veröffentlicht würden.
Stellungnahme der Dresdner Bank
17.10.2003
"Mobbing wegen missliebiger Internetseite"
Seit dem Erscheinen des Artikels vom 15. Oktober haben wir einige Mails und Briefe von empörten Lesern erhalten. Würden die in diesem Artikel aufgestellten Behauptungen den Tatsachen entsprechen, wären wir ebenso irritiert und empört. Wir können daher die Reaktion der Leser sehr gut nachvollziehen. Jeder engagierte Bürger mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn würde dies ebenso empfinden. Aus diesen Reaktionen schließen wir, dass die Leser davon ausgehen, dass dieser Beitrag von dem Autor gründlich recherchiert worden sei. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Artikel gibt nur die Darstellung unseres Mitarbeiters mit dem Pseudonym Dante wieder. Leider wurden wir als Arbeitgeber vorab nicht um eine Stellungnahme gebeten. Der Autor hat damit seine journalistische Sorgfaltspflicht grob verletzt. Wir wollen ihm nicht unterstellen, dass er sich von dem Mitarbeiter instrumentalisieren ließ, aber es bleibt festzuhalten, dass er die unhaltbaren Behauptungen unseres Mitarbeiters - ohne mit uns gesprochen zu haben - unkritisch übernommen und hier im Internet verbreitet hat.
Wir reagieren deshalb so heftig auf diesen Artikel, weil die Behauptungen jeglicher Grundlage entbehren und allen Prinzipien widersprechen, die wir im Rahmen eines wertschätzenden Umgangs mit unseren Mitarbeitern - auch unter schwierigen Bedingungen - für unser Haus aufgestellt haben und anwenden.
Aufgrund unserer Verschwiegenheitspflicht als Arbeitgeber dürfen wir gegenüber der Öffentlichkeit die Details dieses Falls so lange nicht darlegen, bis uns der Mitarbeiter von der Verschwiegenheitspflicht entbindet. Dies hat er bisher nicht getan. Wir werden dann gerne auf die wesentlichen Details eingehen. Heute können wir nur ganz allgemein auf einige Punkte hinweisen:
1. Die Darstellung im Artikel entspricht nicht den Tatsachen.
2. Eine Kündigung seitens der Bank war nie Gegenstand der Gespräche.
3. Der Mitarbeiter befindet sich auch weiterhin in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis.
4. Dem Mitarbeiter wird nicht seine politische Einstellung vorgeworfen. Grund für die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung sind andere gravierende Vorkommnisse aus dem Arbeitsverhältnis.
Zwischenzeitlich haben wir mit dem verantwortlichen Journalisten das Gespräch gesucht und ihm die Fakten des Falls dargelegt. Auf Basis dieser Informationen hätte der Journalist nach eigener Aussage seinen Beitrag anders geschrieben.
Wir würden uns freuen, wenn Sie unsere Schilderung des Sachverhalts in Ihre Meinungsbildung zu diesem Fall mit einbeziehen und dann zu einer neuen Gesamtbewertung kommen.
Dresdner Bank AG, Unternehmenskommunikation / Presse Renate.Christ@dresdner-bank.com
Update von Peter Nowak am 17.10.:
Die Presseabteilung der Dresdner Bank wies die Vorwürfe zurück. Von einer Kündigung des Mitarbeiters sei nie die Rede gewesen. Auch sei nicht die politische Einstellung des Programmierers, sondern arbeitsrechtliche Vorkommnisse aus der Sicht des Unternehmens seien die Ursache für die Auseinandersetzung mit dem Mitarbeiter. Wegen des laufenden Verfahren könne keine Stellungnahme im Detail abgegeben werden. Aus Unternehmenskreisen wurde noch präzisiert, dass Dante Sicherheitsbestimmungen im IT-Bereich missachtet habe. Darwin Dante bleibt bei seiner Darstellung.