"Moderne Waffen und ein sehr hoher Kampfgeist"

Rot: Armenisches Staatsgebiet. Sattgrün: Aserbaidschanisches Staatsgebiet. Sattorange: In einer "asymmetrischen Konföderation" mit Armenien zusammengeschlossenes Arzach (Bergkarabach). Hellorange: Von Armenien und Arzach kontrollierter Korridor. Hellgrün: Vor 2020 von Aserbaidschan kontrollierte Teile der ehemaligen autonomen Region Bergkarabach. Türkis: Seit September 2020 von Aserbaidschan eroberte Teile des Korridors und Arzachs. Karte: Emreculha. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Aserbaidschan hat sieben weitere Ortschaften zurückerobert - insgesamt sind es nun 210

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Aserbaidschan hat seinem Langzeitpräsidenten Ilham Aliyev zufolge den Streitkräften von Armenien und Arzach die im Bezirk Dschabrail gelegenen Dörfer Mirek und Kavdar, die im Bezirk Zengilan gelegenen Dörfer Meshediismayilli und die im Ortschaften Shefibeyli Basharat und Garakishiler im Bezirk Gubadli abgenommen. Insgesamt, so Aliyev, habe man damit durch "moderne Waffen und einen sehr hohen Kampfgeist" seit Ende September 210 Ortschaften "befreit".

In Arzach sieht man das möglicherweise anders. Dort soll inzwischen etwa die Hälfte der armenischen Bewohner vor den aserbaidschanischen Drohnen- und Raketenangriffen geflohen sein, die auch in den beiden größeren Städten Stepanakert und Schuschi zahlreiche Gebäude zerstörten. Trotzdem sollen den armenischen Angaben nach bislang lediglich 50 armenische Zivilisten ums Leben gekommen sein. Inwieweit diese Angabe zutrifft, ist jedoch unklar. In Russland geht die Staatsführung von insgesamt etwa 5.000 Personen aus, die in dem Konflikt seit September auf beiden Seiten ums Leben kamen.

Russland müsste erst dann militärischen Beistandsfall leisten, wenn fremde Truppen offizielles armenisches Staatsgebiet angreifen

Dass sich die armenischen Truppen zurückziehen mussten räumte jedoch auch der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan ein. Er hat deshalb den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin um Hilfe gebeten, und diese Bitte öffentlich bekannt gemacht. Eine Antwort des Kreml darauf wurde bislang nicht öffentlich bekannt. Der Beistandsfall nach dem Vertrag von Taschkent würde erst dann eintreten, wenn fremde Truppen offizielles armenisches Staatsgebiet angreifen, was bislang nicht glaubhaft geltend gemacht werden konnte (vgl. Armenien vs. Aserbaidschan: Gestern Tschetschenen, heute Syrer?). Stattdessen versuchte sich Russland in der Vermittlung von Waffenruhen (vgl. Bergkarabach: Russland als Friedensstifter?), die jedoch von aserbaidschanischer Seite immer wieder gebrochen wurden.

Der im September 2020 wieder aufgebrochene Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan begann Ende der 1980er, als es nach Unabhängigkeitsforderungen der armenischen Mehrheit in Bergkarabach zu Pogromen in Sumgait kam, in deren Folge viele Armenier aus Aserbaidschan flüchten. Am 2. September 1991 erklärte sich das autonome Gebiet als "Arzach" für unabhängig, worauf aserbaidschanische Truppen einmarschierten und von armenischen Kräften zurückgeschlagen wurden.

Diese besetzten aus militärischen Gründen auch einen Korridor zwischen Armenien und Bergkarabach, der jedoch nicht nur aus den zwei 1929 an Aserbaidschan abgetretenen, sondern gleich aus sieben überwiegend von Aseris besiedelten Landkreisen bestand. Bis man 1994 einen Waffenstillstand schloss, wurden bei den Auseinandersetzungen etwa 530.000 Aserbaidschaner aus von Armeniern kontrollierten Gebieten und 250.000 Armenier aus Aserbaidschan vertrieben.

Völkerrechtlich uneindeutig

Autonome Gebiete sollten im Falle eines Austritts der Republik aus der Sowjetunion per Volksabstimmung über ihren Status entscheiden Die Frage der völkerrechtlichen Gültigkeit der Abspaltung Bergkarabachs von Aserbaidschan ist weniger eindeutig, als sie auf den ersten Blick scheint: Als am 28. Mai 1918 die "Demokratische Republik Armenien" ausgerufenen wurde, die sich flugs der Entente anschloss, da war das ihr im Vertrag von Sèvres zugebilligte Gebiet durch Deportation und Massenmord schon so weitgehend "gesäubert", dass kaum mehr Armenier dort lebten (vgl. Mit Stöcken im Anus tot liegen gelassen). Entsprechend schwach war der Widerstand, den der junge Staat trotz der Hilfe britischer Truppen Atatürks Konsolidierungsfeldzug entgegensetzen konnte. Schließlich teilten sich im Vertrag von Kars die Türkei und die Sowjetunion das Territorium.

Letztere integrierte das verbliebene armenische Siedlungsgebiet als eigene Republik. 1929 schlug Stalin den Osten dieser armenischen Sowjetrepublik dem benachbarten und damals ebenfalls zur Sowjetunion gehörigen Aserbaidschan zu. Der Korridor um Kelbajar und Lachin wurde direkt integriert, der Rest, das heutige Bergkarabach, wurde autonome SSR ohne territoriale Verbindung zur Armenischen SSR. Ein am 3. April 1990 erlassenes Sowjetgesetz "Über das Verfahren der Entscheidung von Fragen, die mit dem Austritt einer Unionsrepublik verbunden sind" enthielt aber eine Schutzklausel für autonome Gebiete, die im Falle eines Austritts der Republik aus der Sowjetunion per Volksabstimmung über ihren Status entscheiden sollten - was in Bergkarabach 1991 geschah.

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