Möglicher Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan: Von Scheitern und Schweigen
US-Regierung schafft mit Rückholung von Militärs Fakten. Bundesregierung gaukelt Kontrolle vor. Hinter den Kulissen macht sich Hektik breit. Ein Kommentar
Nach zwei Jahrzehnten zieht die Bundeswehr nun wohl aus Afghanistan ab - und niemand bekommt es mit. Still, heimlich und reichlich intransparent bereiten Bundeswehr und Verteidigungsministerium die Rückholung der Soldatinnen und Soldaten sowie des militärischen Geräts aus dem nordafghanischen Masar-e Scharif vor. Notgedrungen, denn vor seinem Abtritt will US-Präsident Donald Trump Fakten schaffen.
Bis Mitte Januar sollen die noch verbleibenden 4.500 US-Soldaten in Afghanistan auf 2.500 reduziert werden. Völlig unklar ist, wer und welches Material bleibt und wie sich die Zusammenarbeit gestalten wird. Absprachen zwischen Washington und Berlin scheint es keine mehr zu geben.
Die Posse macht vor allem eines deutlich: Operation Enduring Freedom, ISAF, Mission Resolute Support - wie immer auch die westlichen Militäreinsätze seit der US-Invasion und Besetzung Afghanistans im Jahr 2001 hießen, es waren von je her alleine geostrategische Vorhaben Washingtons. Nie gab es wirkliche Bündnisoperationen der Nato oder gar gemeinsame Anstrengungen, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie an Hindukusch zu fördern.
Fakt ist, und das will man sich in Berlin nicht eingestehen, wenn die US-Truppen gehen, müssen auch die Alliierten das Land verlassen. Man berate "mögliche Anpassungsmaßnahmen im Rahmen der Nato-Mission Resolute Support", heißt es auf Nachfrage derzeit unisono aus dem Verteidigungsministerium. Solche und ähnliche Formulierungen sollen den Anschein erwecken, man sei Herr der Lage.
Dabei scheint schon im ursprünglich von der Bundeswehr erwogenen Abzugsdatum Ende April 2021 die Realität durch. Bis zu diesem Datum haben Trump-Regierung und Taliban im Februar dieses Jahres nämlich den Rückzug "aller ausländischen Truppen" beschlossen.
Erkundigen sich Journalisten oder Parlamentarier nach den Vorbereitungen in Masar-e Scharif, wird ihnen die Auskunft verweigert oder ein schlicht falsches Bild vorgegaukelt. Das US-Abkommen mit den Taliban habe keine Rechtskraft für die deutsche Militärpräsenz, lässt man dann aus dem Verteidigungsministerium verlauten, es handele sich "um eine politische Vereinbarung ohne rechtliche Bindungskraft". Im Übrigen sei Deutschland nicht Teil des Friedensabkommens.
Verhöhnung von Auskunftsrechten der Presse und des Parlaments
Je konkreter die US-Abzugspläne werden, desto schmallippiger wird die Bundesregierung. Zuletzt brauchte man im Verteidigungsministerium zwei Wochen und eine Fristverlängerung, um in wenigen Zeilen stoisch zu wiederholen, man baue vor Ort mit gut 100 Soldaten und Verwaltungskräften eine sogenannte Rückverlege- und Verwertungsorganisation auf.
Solche abwiegelnden Formulierungen und eine Informationspolitik, die Auskunftsrechte von Presse und Parlament verhöhnt, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich bei den Verantwortlichen langsam Hektik breitmacht.
Reduzieren die USA ihre Truppen in Afghanistan weiter, werden die Bundeswehr und andere ausländischen Akteure ohne Rückendeckung dastehen, ohne Aufklärung und Luftunterstützung. Spätestens dann werden auch die deutschen Soldatinnen und Soldaten das Land fluchtartig verlassen müssen.
Mit dem chaotischen und abrupten Ende der Bundeswehrmission in Afghanistan endet auch ein gescheitertes geopolitisches Projekt der Nato. Vor knapp 20 Jahren wollten die Invasoren die Welt glauben machen, dass mit Bomben und Soldaten auch Demokratie und Freiheit nach Afghanistan kommen.
Im Februar dieses Jahres gab die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) bekannt, dass binnen zehn Jahren mehr als 100.000 Zivilisten durch Kampfhandlungen verletzt oder getötet wurden. Die Zahl der Kriegsopfer insgesamt ist ungleich höher.
Nach dieser Bilanz also packen die Nato-Kräfte wohl ein und folgen den US-Truppen dicht auf den Fersen. Die Macht soll ohne demokratische Entscheidung und über die Köpfe der afghanischen Bevölkerung hinweg auch den Kriegsverbrechern aus den Reihen der Taliban übergeben werden.
Der auch ansonsten minder erfolgreiche Außenminister Heiko Maas beweist einmal mehr Kompetenz- und Realitätsferne, wenn er angesichts dieser Lage von "erreichten Erfolgen" wie "Frauen- und Menschenrechte, wirtschaftliche Entwicklung und Bildungschancen für Mädchen" in Afghanistan spricht.