Mohammed-Karikaturen in deutschen Medien als "Initialzündung"
Die Anschläge mit den Kofferbomben sollen bereits zur WM geplant gewesen sein, BKA-Chef Ziercke hält die Verdächtigen nicht für Dilettanten, vieles weist aber genau darauf hin
Einen Tag zuvor hatte NRW-Innenminister Wolf noch berichtet, dass es keine Hinweise auf das Motiv der festgenommen Verdächtigen für die am 31.7. geplanten Anschläge auf zwei Regionalzüge gebe (Der Verfassungsschutz soll "Emails auf Festplatten" lesen dürfen). Jetzt berichtete BKA-Chef Ziercke, die Täter hätten den Plan zu der Zeit ausgeheckt, als die Proteste gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen stattgefunden hatten. Ursprünglich hätten sie die Anschläge bereits während der Fußballweltmeisterschaft ausführen wollen. Ziercke wies auch wieder auf die Bedeutung des Internet für die Anschlagspläne hin.
Von Youssef Mohamed, dem in Kiel festgenommenen jungen Libanesen, war schon länger bekannt, dass er auf einer Demonstration gegen die Mohammed-Karikaturen teilgenommen hatte. Wie BKA-Chef Ziercke nun dem Focus sagte, sei die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in deutschen Zeitungen im Februar 2006 die „Initialzündung“ gewesen. Youssef hätte dies als Angriff des Westens gegen den Islam gedeutet. Auch die – vom Pentagon entsprechend in Szene gesetzte -Tötung von al-Sarkawi Anfang Juni (Archaische Bilder vom Sieg) soll, so habe man von dem im Libanon festgenommen Jihad Hamad inzwischen erfahren, zum Entstehen des Plans beigetragen: „Die beiden Hauptverdächtigen glaubten, dass der internationale Terrorismus einen seiner wichtigsten Köpfe verloren hatte“, so Ziercke.
Was aber die mutmaßlichen Täter mit den Bombenanschlägen in Deutschland bewirken wollten, geht aus den Ausführungen von Ziercke nicht hervor. Angeblich sollten sie die Anschläge bereits während der Fußballweltmeisterschaft durchführen. Das hätte in der Tat eine große politische und mediale Aufmerksamkeit geschaffen. Sicherheitskräfte hätten der WAZ berichtet, dass den Terroristen dabei aus irgendwelchen Gründen mulmig geworden sei und „ihnen Bedenken über die Risiken und Auswirkungen gekommen seien“. Ob das stimmt, sei dahingestellt, dafür spräche, dass sie dann Regionalzüge zu einer Zeit auswählten, an der vermutlich nur wenige Menschen mit diesen reisten. Wollte man spekulieren, könnte man vermuten, dass sie sich entweder selbst oder von noch unbekannten Anderen so unter Druck fühlten, die Anschläge doch noch auszuführen, aber die Schäden gering zu halten, als ob es „besser“ wäre, wenn sie für keine oder nur wenige Menschenleben verantwortlich gemacht werden könnten.
Ziercke will allerdings daran festhalten, dass die mutmaßlichen Täter keine Dilettanten seien, die spontan und ohne Hintergrund gehandelt hätten. Sie hätten wochenlang geplant und intensiv die Zugfahrpläne studiert. Zudem hätten sie „fest damit gerechnet, dass ihr Plan aufgeht“, weil dann die Polizei nicht die Fingerabdrücke, DNA-Spuren und andere Indizien hätte finden können. Gleichwohl scheinen die jungen Männer keine Terrorexperten gewesen zu sein und auch kaum Anleitung von „erfahrenen“ Terroristen gehabt zu haben. Sie hätten sonst nicht im Internet nach Anleitungen zum Bau von Bomben suchen müssen, worauf Ziercke noch einmal hinwies. Dabei hätten sie eine der gefundenen Anleitungen bis auf einen Punkt umgesetzt, der dann dafür verantwortlich gewesen sei, dass die Bomben nicht explodierten.
Das könnte man auch wieder auf die Bedenken zurückführen, die bei den Anschlagsplanern angeblich entstanden seien, oder eben auf dilettantisches Vorgehen, für das auch spricht, ganz offensichtliche Indizien bei den Sprengsätzen zu hinterlassen, auch wenn sie tatsächlich damit gerechnet haben sollten, dass sie hochgehen. Selbstmordanschläge wollten sie nicht durchführen. Dann läge der Sachverhalt vielleicht noch einmal anders. Für den Dilettantismus spricht auch, dass sie das von ihnen zur Internetsuche benutzte Notebook nicht gesäubert haben. Und dafür spricht, was Ziercke selbst berichtet, nämlich dass sie „durch Propaganda von al-Qaida über das Internet“ erst wirklich radikalisiert worden seien. Zuvor hätten sie nur über eine „gewisse Grundideologie“ verfügt, was immer das näher heißen könnte. Seltsam ist auch, dass Youssef nach seiner Flucht in den Libanon schließlich wieder nach Kiel zurückgekehrt ist, obgleich die nicht explodierten Sprengsätze voller Spuren waren. Ziercke hält es für möglich, dass er weitere Anschläge planen wollte. Vielleicht aber war er auch hier so naiv wie bei der gesamten Planung.
Auch wenn manche Politiker und die Sicherheitsbehörden, geht man zumindest nach Ziercke, es vorzuziehen scheinen, dass es sich um eine organisierte Gruppe, womöglich mit al-Qaida-Anbindung, zumindest aber mit gefährlichen Hintermännern, handelt, deutet vieles bislang eher darauf hin, dass es sich um etwas verwirrte junge Menschen handelt, die sich wichtig machen wollten, um im groß aufgebauschten Dritten oder Vierten Weltkrieg, im Kampf zwischen dem Westen und dem Islam, bei dem es um Sieg oder Untergang der westlichen Zivilisation bzw. der islamischen Kultur gehen soll, eine Rolle zu spielen. Die Terrorbühne der Aufmerksamkeit, auf die sich viele „Berufene“ drängen – Regierungen, Experten, Medien, ideologische und religiöse Eiferer, Terroristen, Kriminelle, die alle ihr eigenes Süppchen kochen wollen -, zieht auch junge, noch nach Orientierung suchende, wahrscheinlich moralisch oder religiös oder anderweitig idealistisch getriebene Menschen an, die sich „engagieren“ wollen und dabei ins falsche, derzeit aber mächtig von allen Seiten ausgetretene Fahrwasser geraten.
Das macht diese Dilettanten nicht weniger gefährlich, wenn sie nicht mehr nur Pläne wälzen und sich Fantasien hingeben, in denen sie als weltgeschichtliche Akteure auftreten, sondern tatsächlich so weit kommen, dass sie Anschläge realisieren oder in Kontakt mit der wirklichen Terrorszene kommen. Wichtig aber wäre es dann, wenn es sich um solche wie auch immer verquere „idealistischen“ (Terror)Dilettanten handelt, dass Politik und Sicherheitsbehörden sie nicht zu gefährlichen bösen Helden stilisieren und gleichzeitig die Öffentlichkeit in Panik versetzen, sondern nüchtern gegen diese vorgehen und versuchen, das Milieu zu verändern, in dem solche Ideen ausgebrütet und interessant gefunden werden. Dazu gehören wahrscheinlich dann nicht nur die Islamisten, Hassprediger und Terroristen, sondern auch manche Terrorexperten, Spin-Doktoren, Politiker und Medien, die die Gefahr inszenieren und für sich instrumentalisieren. Im Unterschied zu Ziercke scheinen die Vernehmungen, wie die WAZ berichtet, eben ergeben zu haben, dass es sich um „Terroristen der neuen Generation“ handelt, die sich „kurzfristig zu kleinen Zellen zusammenfinden“.