Moldau: Demonstranten stellen Ultimatum an die Regierung
Bei -10 Grad forderten ca. 40.000 Demonstranten in der moldauischen Hauptstadt Chisinau den Regierungsrücktritt, Neuwahlen und Strafverfolgung aller am Milliardenraub teilnehmenden Personen
Dieser Sonntag ist einer der kältesten des Monats. Seit Anfang der Woche protestieren in Chisinau tausende Menschen gegen den neuen Premierminister Pavel Filip und den reichsten Oligarch hinter dieser Ernennung - Vladimir Plahotniuc.
Vor anderthalb Jahren verschwanden über eine Milliarde US-Dollar aus dem moldauischen Staatsbudget. Die Summe entspricht einem Sechstel des Sozialproduktes der kleinen Republik. Trotz eines ausführlichen Berichts der Wirtschaftsprüfer (Kroll) und unzähligen Publikationen in der Presse hat sich außer einer einzigen Person niemand bereit erklärt, die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Diese Person ist der ehemalige Premierminister und ein Superreicher - Vlad Filat. Ihm wurden mehrere Gerichtsprozesse angehängt, dennoch streitet er die meisten ab. Filat sitzt seit Monaten im Gefängnis. Einer der Beteiligten am Milliardenraub, Ilan Shor, ist nun Bürgermeister von der Stadt Orhei. Er "kauft" seine Freiheit, indem er die kleine Stadt gründlich saniert und demzufolge bei den Einwohnern sehr beliebt ist.
Der allergrößte "Räuber" ist aber Vladimir Plahotniuk - der reichste und mächtigste Mensch Moldaus. Ihm gehört fast alles im Land, unter anderem vier Sender, einige Hotels, Moldtelekom, dutzende Fabriken und Läden. Seine engen Kontakte zu Politik und Staatsanwaltschaft ermöglichen ihm viel. Oft wird er der "moldauische Putin" genannt.
Plahotniuc schlug seine Kandidatur als Premierminister vor. Sie wurde von Präsident Timofti abgelehnt - kurz darauf gab es Meldungen über den Drogenkonsum des Sohnes von Timofti. Ihm wurden mehrere Straftaten vorgeworfen. Seitdem ist der Präsident gefügig und wartet auf Anweisungen von oben. So wurde über die Kandidatur von Pavel Filip binnen 30 Minuten von 56 Abgeordneten abgestimmt - trotz massiver Proteste vor dem Parlament.
Die kommunistische Partei nahm an der Abstimmung nicht teil, die Sozialisten stürmten sogar die Tribüne. Am gleichen Tag gegen Mitternacht ist die neue Regierung vereidigt worden. Der Ort wurde bis zuletzt geheim gehalten, die Presse war nicht anwesend. Irina Vlah, der Bashkan von Gagausien, ein autonomes Gebiet innerhalb Moldaus, wurde nicht eingeladen. Ohne alle Vertreter der Republik gilt allerdings das ganze politische Spektakel als nicht legitim. Die Demonstranten stürmten das Parlament, die Regierung aber ignorierte alle Forderungen: Regierungsrücktritt, Neuwahlen und Strafverfolgung aller am Milliardenraub teilnehmenden Personen.
Sonntagsprotest mit Ikonen und Blumen
Am Sonntag versammelten sich bei minus 10 Grad ca. 40.000 Demonstranten im Stadtzentrum. Einige Menschen kamen mit Ikonen, einige mit Chrysanthemen. Auf die Frage, welchem Zweck die Ikonen dienten, sagte eine ältere Frau, diese sollten den Teufel (Plahotniuc) aus dem Land jagen. Wofür aber die Blumen? Ein Mädchen schenkte diese den Polizisten, ein anderes meinte, die Demonstration sei friedlich und dies wäre nur ein pazifistisches Symbol. Parteisymbolik wurde für die Proteste verboten.
Die Demonstranten hatten ausschließlich moldauische Flaggen bei sich, man konnte weder die EU-Flagge noch russische Fahnen sichten. "Unsere Partei", Sozialisten und die Bürgerplattform "Demnitate si Adevar" (Würde und Gerechtigkeit), kurz DA, vereinten sich im Kampf gegen ein "korruptes Regime" und "Räuber an der Macht". Die Medien, bezahlt von Plahotniuc, sowie einige internationale Pressevertreter beschrieben die Demonstranten als "prorussisch".
Der Sozialistenchef Igor Dodon ist ein gern gesehener Gast in Moskau und streitet seine Sympathien für die Zollunion mit Russland nicht ab. Renato Usatii, Vorsitzender der "Unsere Partei", arbeitete 10 Jahre in Moskau und ist nun Bürgermeister der Stadt Balti im Norden Moldaus. Er nennt sich "moldauischer Gastarbeiter". Über seine berufliche Laufbahn ist wenig bekannt und über seine Nähe zur russischen Regierung wird oft spekuliert. Die Bürgerplattform "Demnitate si Adevar" (DA) stellt sich als proeuropäisch und wertpositioniert dar. Dessen Vertreter ist ein bekannter Jurist, Andrei Nastase.
"Wir stehen für Moldawien und nicht für Rumänien oder Russland"
Auf der Bühne haben an diesem Sonntag neben drei Oppositionskräften auch Schriftsteller, ein ehemaliger General, ein Student und andere Freiwillige ihre Reden gehalten. Darunter wurde auch der Brief einer im Ausland tätigen Moldauerin vorgelesen. Sie sympathisiert mit den Protestierenden und bereut es sehr, nicht dabei gewesen zu sein. Wegen Armut hätte sie ihre Kinder verlassen und als Gastarbeiterin in ein EU-Land auswandern müssen.
Fast ein Viertel der Moldauer ist im Ausland tätig. Die häufigsten Gründe sind Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven im Heimatland. Die Bühnenredner versprachen jedoch, Moldawien in ein prosperierendes Land zu verwandeln. Sie betonten immer wieder, sie würden keine ausländischen Interessen verteidigen, sondern stünden für eine wohlhabende Zukunft der Republik.
Es wurde angedeutet, die Provokateure würden Menschen nur in "Rumänen" und "Russen" einordnen und so die Demonstranten spalten wollen. Die Oppositionskräfte hielten ihre Reden in rumänischer und russischer Sprache. Abgesehen von ethnischer, religiöser oder linguistischer Herkunft forderten sie die Moldauer auf, sich gegen das korrupte Regime zu vereinen und die "geopolitische Polemik beiseite zu lassen". Gegen Mittag fand ein verbaler Schlagabtausch zwischen Demonstranten und zwei Dutzend Unionisten statt, welche für die Vereinigung mit Rumänien plädierten.
Forderungen der Opposition
Die Oppositionskräfte lasen ihre Forderungen auf der Bühne vor: Regierungsrücktritt, Neuwahlen bis April 2016, direkte Präsidentenwahlen durch Volksabstimmung, Freilassung von Grigorij Petrenko (fabrizierter Gerichtsfall), Registrierung der Bürgerplattform "DA" als Partei, sofortiger Rücktritt des Innenministers. Für eine erfolgreiche Implementierung wurde der sogenannte "Rat der Nationalrettung" gegründet.
Nachdem die Forderungen vorgelesen wurden, liefen tausende Menschen durch die Stadt. Fast fünf Stunden dauerte dieser Rundgang. Über 20 km gingen sie durch die drei größten Straßen Chisinaus, bis die Demonstranten sich die Frage stellten: Wohin nun? Es gab Vorschläge, nach Condrita zu gehen - dort ist eine der Villen von Vladimir Plahotniuc. Bis dahin sind es dennoch 50 km und zu Fuß wäre dieser Weg fast unmöglich.
Trotz Kälte und Ungewissheit war die Stimmung in der Menschenmenge gut und ausgelassen. "Wieso nicht nach Condrita? Moses führte sein Volk 40 Jahre durch die Wüste und unser Plahotniuc ist nicht mal so schlimm wie der ägyptische Pharao", sagte ein Rentner und bat mir eine Zigarette an. "Rauchen ist gar nicht so schlecht", erzählte er weiter. "Ich habe mit 14 angefangen und bin nun 75. Hoffentlich wird Plahotniuc seine Rente im Gefängnis begrüßen."
Kurz darauf hörte man die Schreie: "Plahotniuc, dein Zuhause ist im Gefängnis." An diesem Tag waren viele Parolen zu hören: "Weg mit der Mafia", "Weg mit der Diktatur", "Plahotniuc, vergiss nicht, wir wissen wo du und deine Frau wohnen", "Moldauer, verlasst eure Häuser und protestiert mit uns", etc. Eine Frau verglich das Ganze mit der Französischen Revolution und wünschte sich das "Blut der Räuber". Die anderen waren dagegen und versicherten, die Proteste hätten friedliche Intentionen, nur "Trolle wünschen sich Blut".
Danach kehrten tausende Menschen ins Stadtzentrum zurück und marschierten zur Bühne. Die Opposition bedankte sich für den Eifer der Protestierenden und versprach, weiter zu kämpfen. Gegen 19 Uhr wurde das Ultimatum vorgestellt. Bis Donnerstagabend soll die Regierung nun auf die Forderungen der Demonstranten reagieren. Sonst droht die Opposition mit 100.000 Demonstranten am kommenden Sonntag und sozialem Ungehorsam.
Unter anderem wurde die Hoffnung ausgedrückt, europäische und russische Staatschefs würden sich zur politischen Krise in Moldau äußern. Der rumänische Präsident Klaus Johannis wurde ausgebuht, da er die neue Regierung Moldaus guthieß. Am 26. Januar fährt der neue Premierminister Pavel Filip mit einem Staatsbesuch nach Rumänien.
Der Bürgermeister von Chisinau, Dorin Chirtoaca, ist dieser Tage in Iasi (Rumänien). Das erzeugte große Empörung in sozialen Netzwerken. Der Onkel des Bürgermeisters und der ehemalige Parlamentspräsident, Mihai Ghimpu, erhielt diesen Mittwoch mehrere Schläge ins Gesicht. Nun äußerte er sich öffentlich, er verzeihe den Demonstranten; dennoch ist er der Meinung, beim Geschehen wäre die "Hand des Kreml" im Spiel. Tausende Demonstranten riefen "Judas", nachdem Ghimpu für den neuen Premierminister stimmte.
Irreführende Berichte internationaler Presse
Leider werden die aktuellen Proteste von einigen Kollegen ins falsche Licht gestellt. Am 21. Januar veröffentlichte die Zeit einen Artikel mit dem Titel "Proteste gegen proeuropäische Regierung" und sorgte damit für Missverständnisse. Wie kann diese Regierung "proeuropäisch" genannt werden, wenn sie europäische Werte mit Füßen tritt? Was ist es für eine Demokratie, in der der Presse der Zugang ins Parlament verboten wird und die Machtspitze den eigenen Staat beklaut?
Die Dachzeile ist ebenso irreführend: "Die Demonstranten forderten unter anderem engere Beziehungen zu Russland." Wann? Ich war jeden Tag dabei und habe diese Aussage nicht einmal gehört. Eine Stellungnahme der Zeit-Redaktion wäre in diesem Kontext nicht nur willkommen, sondern notwendig.
Ein anderes Beispiel ist BBC. In dem Bericht vom Sonntag heißt es: "Laut Berichten organisieren zurzeit Anhänger des neuen Premierministers eine Gegendemo." Das stimmt. Die Gegendemo war geplant, aber zum Zeitpunkt der BBC-Veröffentlichung schon abgesagt worden. Es gab nur ein paar Omnibusse mit den Gegendemonstranten, die öffentlich zugegeben haben, für diese Demo bezahlt zu seien. Zwischen 9 und 15 Euro wurden jedem versprochen. Die BBC-Seite machte jedoch kein Update und so bleibt die Falschinformation im Netz "hängen".
Solche Beispiele gibt es genügend im Internet. Ein hingegen ausgewogener Bericht gibt es von Udo Lielischkies (ARD).