Monster und Missbildungen durch Dreck?

Führt Luftverunreinigung auch beim Menschen zu Genmutationen?

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Luftverschmutzung erzeugt bei männlichen Mäusen Genmutationen, die sich zum Nachteil der Nachkommen auswirken.

Um den genetischen Schaden durch die Umweltverschmutzung zu ermitteln, haben die Wissenschaftler Christopher Somers und Kollegen begonnen, Labormäuse den heutigen Umweltgiften auszusetzen: Sie ließen die Tiere die Luft von der Autobahn und dem benachbarten Industriegebiet mit zwei Stahlwerken in Hamilton, Ontario einatmen. Während eine Gruppe die verunreinigte Luft direkt aufnahm, erhielt die zweite Gruppe die Luft, nachdem sie mit einem HEPA- (High Efficiency Particulate Air)-Filter gereinigt war. Ferner wurden dieselben Untersuchungen mit und ohne HEPA-Filter ebenso in einer weniger belastenden Umgebung, etwa 30 km entfernt, vorgenommen. In Science berichten die Forscher nun über die Ergebnisse einer zehnwöchigen Exposition und den Einfluss auf verschiedene Markergene.

Die Wissenschaftler entdeckten, dass die ersten Nachkommen der Mäuse, die an der Autobahn und dem Industriegebiet aufwuchsen, bis zu zweimal mehr Genmutationen aufwiesen als die Tiere der anderen drei Gruppen. Denn nach Reinigung der Luft durch das kommerzielle HEPA-Filtersystem werden Partikel, die größer sind als 0,3 mm, bis zu 99,9 Prozent abgefangen. Damit ist die genetische Belastung, ob im Industriegebiet oder auf dem Land, nicht mehr zu unterscheiden. Dieses Ergebnis zeigt, dass es tatsächlich Ruß- und Staubpartikel sind, die zu den Genmutationen führen.

Das Industriegebiet mit den beiden Stahlwerken in Hamilton, Ontario (Bild: Science)

Normale Stadtluft ist bereits gefährlich und die Luft nahe der Stahlindustrie enthält natürlich noch mehr Partikel und gasförmige Bestandteile, die nur durch HEPA- beziehungsweise Aktivkohlefilter abgeschottet werden können. Die Analyse von Partikeln ergab ungefiltert zunächst zwei- bis zehnmal höhere Werte als in der ländlichen Zone. Ferner wurden 26 polyzyklische aromatische Kohlenwasseratome untersucht. Auch sie zeigen Anstiege, vom vier- bis zum 171-fachen der Konzentrationen in Abhängigkeit vom Wind.

Das wichtigste aber ist der Beweis, dass in Hamilton die Gene der Mäuse tatsächlich mutieren und dabei bevorzugt die männlichen Nachkommen treffen. Obwohl die weiblichen Tiere nicht unbelastet bleiben, interpretieren die Forscher diesen Befund im Sinne einer verstärkten Belastung der männlichen Arbeiter im Stahlwerk. "Das ist der am meisten durch Umweltgifte verunreinigte Ort", sagt Christopher Somers, "und macht zugleich die Auswirkungen auf die Arbeiter deutlich." Eine Erklärung für den Grund, dass die männlichen Mäuse stärker betroffen sind, bleibt der Autor jedoch schuldig.

Männliche Mäuse werden stärker geschädigt

Dennoch ergänzen diese Untersuchungen jene von James Quinn, der bei Möven in Hamilton Harbor mehr deformierte DNS fand als in der ländlichen Gegend und bei Mäusen ebenfalls eine stärkere DNS-Veränderung nachwies als bei den Tieren, die in nicht belasteter Umgebung lebten.

Beim Menschen ist nachgewiesen, dass verschiedene Chemikalien, etwa die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasseratome, ihren Schaden in Begleitung der Russpartikel anrichten. So führt das tiefe Einatmen von Kohlenstaub oder Zigarettenrauch zu Lungenkrebs. Ein wichtiges Kriterium, um Arbeiter nicht ungeschützt in der Kohlengrube zu beschäftigen oder das Tabakrauchen zu verbieten.

Die möglichen Auswirkungen auf den Menschen müssen noch weiter untersucht werden (Bild: Science)

Wenn, wie am Beispiel der Mäuse offenkundig, die ersten Nachkommen verstärkte Genmutationen aufweisen, kommt noch etwas hinzu: Die Partikel müssen aufgenommen, im Blut verteilt und in die spermatogene Stammzelle der Eltern übertragen werden. Und dann, bei den Kindern, müssen die spermatogenen Stammzellen besonders empfindlich reagieren. Diese Erkenntnis ist neu.

Beim Menschen wurde zwar beobachtet, dass die polyzyklischen aromatischen Kohlenstoffatome bei Frauen in der Schwangerschaft das Geburtsgewicht herabsetzen und, wenn die Belastung – beispielsweise durch Zigaretten – bereits innerhalb des ersten Monats besteht, sich die Zahl der untergewichtigen Kinder verdoppelt. Ferner haben Studien, ebenfalls beim Menschen, unter starker Umweltbelastung den Schaden der männlichen DNS in den spermatogenen Stammzellen nachgewiesen. Und auch hier ist es das Rauchen, das selbst zu Spermienzellmutationen führt.

Menschen sind (meist) keine Mäuse

Dennoch können solche Untersuchungen nur als erster und nicht verbindlicher Hinweis auf den Einfluss der Umweltverschmutzung gewertet werden. Zum einen ist die Bedeutung der gewählten Maus-DNA und ihrer Genmutationen nicht hinreichend bekannt. Die maus-spezifischen Veränderungen finden am Menschen leider keinen Bezug, weil sie lediglich die Labormaus betreffen, und bleiben daher in ihrer Aussage ungewiss.

Zum anderen sind die Auswirkungen nur an der ersten Generation der Nachkommen geprüft worden. Damit stellt sich die Frage nach der Antwort in den weiteren Generationen. So wäre denkbar, dass die Mutation im Umfeld von Autobahn und Stahlwerk einer Anpassung unterliegt. Ein Phänomen, das die Auswirkungen des Tschernobyl-Unfalls bei Pflanzen und Tieren deutlich vermindert hat und damit ionisierende Strahlen weniger schädlich erscheinen lässt als bisher vermutet.

Schadet Passivrauchen ungeborenen Kindern?

Von solcher Kritik unabhängig bleibt die Erkenntnis von der Schädigung der spermatogenen Stammzelle. Diese Erfahrung macht weitere Untersuchungen notwendig. Wenn das Rauchen nicht nur den "Mitraucher" schädigt – was inzwischen als bewiesen gilt –, sondern auch die Kinder in Mitleidenschaft zieht, wird der Widerstand gegen das Rauchen erheblich zunehmen.