Moskau: Schauprozess mit Schauprotest
Verfahren gegen Oppositionellen Nawalny wird zu Polit-Event. Behörden fordern reguläre Haft. Westliche Diplomaten bei Verhandlung. Parallelen zu Fall Assange
Bei einem heute in Moskau begonnenen Prozess gegen den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny haben die Strafvollzugsbehörden eine reguläre Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gefordert. Zur Begründung gaben sie an, der 44-Jährige habe nach einem früheren Verfahren gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Nawalny habe sieben Mal die Meldepflicht bei den russischen Behörden ignoriert. Daher müsse seine zunächst für 30 Tage erlassene Untersuchungshaft in eine reguläre Haftstrafe umgewandelt werden. Zudem forderten die Strafvollzugsbehörde FSIN die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe einer halben Million Rubel (etwa 5.400 Euro).
Die FSIN hatte sich mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft zuvor bereits dafür ausgesprochen, die Bewährungsstrafe aus einem Prozess im Jahr 2014 angesichts der Verletzung der Bewährungsauflagen in eine reguläre Haftstrafe umzuwandeln. In diesem Fall drohen dem Kritiker der Regierung von Präsident Wladimir Putin noch zweieinhalb Jahre Haft, sagte sein Anwalt. Einen Teil der Haftzeit habe Nawalny schon in Hausarrest verbüßt.
Nawalny konnte die Meldepflichten bei Behörden nicht erfüllen, weil er nach einem Giftanschlag nach Deutschland ausgeflogen und in der Berliner Universitätsklinik Charité behandelt wurde. Unklar ist, ob er sich in dieser Zeit bei der Botschaft hätte melden können oder sollen. Die russischen Behörden jedenfalls hatten seine Ausreise genehmigt. Nun warfen sie ihm vor Gericht vor, in Berlin Sport getrieben und sich erholt zu haben, statt seinem gerichtlichen Meldeauflagen nachzukommen.
ovdinfo.org – ein "unabhängiges Portal"?
Nach landesweiten Demonstrationen am Sonntag, an denen nach einem Bericht von Telepolis-Autor Ulrich Heyden aus Moskau weniger Nawalny-Anhänger teilnahmen als beim letzten Aktionstag Mitte Januar, kam es auch heute wieder zu Protesten vor dem Moskauer Gerichtsgebäude (Russland: Nawalny-Bewegung verliert an Kraft). Nach Angaben westlicher Nachrichtenagenturen war das Gebiet um das Gerichtsgebäude von einem großen Polizeiaufgebot abgeriegelt.
Westliche Medien bezogen sich bei den Angaben von Festgenommenen erneut auf die Seite ovdinfo.org, die dpa schrieb von einem "unabhängigen Portal". Tatsächlich handelt es sich bei der Seite ovdinfo.org um ein politisches Projekt, das sich explizit die Begleitung regierungskritischer Aktionen zum Ziel gesetzt hat.
Das Team von ovdinfo.org arbeitet mit der oppositionellen Organisation Memorial zusammen. Bis die russischen Behörden Aktivitäten des Open Society Institute (Soros Foundation) und der US-Behörde National Endowment for Democracy (NED) im Land untersagten, wurde ovdinfo.org von beiden Organisationen finanziert.
Klare Positionierung von EU-Diplomaten
Der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow lehnte indes eine Stellungnahme über ein mögliches Treffen zwischen Nawalny und dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrel ab. Die Entscheidung über eine solche Zusammenkunft obliege den zuständigen Gerichten und Ermittlungsbehörden, so Peskow.
Borrel will während eines bevorstehenden Besuchs in Moskau am Donnerstag und Freitag dieser Woche den gemeinsamen Standpunkt der EU zu Nawalny darlegen. Nach Angaben des Europäischen Auswärtigen Dienstes steht Borrel auch in Kontakt zu Mitstreitern Nawalnys. Bislang ist aber noch nicht klar, ob er mit dem inhaftierten Oppositionspolitiker oder Vertretern seines Lagers zusammenkommen wird.
Für Unmut in der russischen Politik sorgt die offenen Unterstützung Nawalnys durch EU-Diplomaten. So kritisierte der stellvertretende Sprecher der Staatsduma, Piotr Tolstoi, die massive Präsenz westlicher Diplomaten bei dem Prozess. "Die Tatsache, dass westliche Diplomaten heute zum Moskauer Stadtgericht gefahren sind, belegt, dass sie Navalny als einen der Ihren unterstützen. Sie kamen dorthin, um ihm ihre Solidarität zu zeigen", so Tolstoi gegenüber dem staatlichen Fernsehsender Kanal Eins.
Tatsächlich wirft die deutliche Positionierung von EU-Vertretern und hiesigen Medien Fragen auf. Für weit weniger Aufsehen sorgt hier nämlich die Inhaftierung des Journalisten Julian Assange in London. Auch Assange wird seit nunmehr zwei Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsch festgehalten – weitgehend in Isolationshaft und trotz massiver Proteste des UN-Sonderberichterstatters für das Thema Folter, Nils Melzer. Die Begründung der britischen Behörden: Assange habe gegen Bewährungsauflagen verstoßen ("Präzedenzfall für ein repressives Vorgehen gegen investigative Journalisten").
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