Moskauer Gerichts-Anhörung zur Gewalt auf dem Maidan

Abtransport eines von Scharfschützen erschossenen Maidan-Aktivisten. 20. Februar 2014. Bild: Mykola Vasylechko/CC BY-SA-4.0

Ein ehemaliger Abgeordneter der Werchowna Rada will vor einem Moskauer Gericht feststellen lassen, dass in der Ukraine 2014 ein Staatsstreich stattfand

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Vor einem Verhandlungssaal des Moskauer Dorogomilowski-Gericht gaben sich letzte Woche ehemalige hohe ukrainische Spitzenbeamte die Klinke in die Hand. Bisher sechs ehemalige Spitzenbeamte sagten im Rahmen einer Anhörung zu den Kiewer Ereignissen im Winter 2013/14 aus, Viktor Janukowitsch (Ex-Präsident), Aleksandr Jakimenko (Ex-Geheimdienstchef), Nikolai Asarow (Ex-Ministerpräsident), Andrej Kljujew (Ex-Leiter der Präsidialverwaltung), Vitali Sachartschenko (Ex-Innenminister) und Viktor Pschonka (Ex-Generalstaatsanwalt). Alle sechs Zeugen erklärten, in der Ukraine sei mit Hilfe der USA und anderer westlicher Staaten ein Staatsstreich durchgeführt worden. Die Anhörung der Zeugen wird Live im Internet übertragen.

Anlass der Anhörung war die Klage von Wladimir Olejnik, einem 2014 aus Kiew geflüchteten ehemaligen Abgeordneten der Werchowna Rada. Der Polit-Emigrant will vor dem Moskauer Gericht feststellen lassen, dass in der Ukraine im Februar 2014 ein Staatsstreich durchgeführt wurde. Der Kläger verweist darauf, dass er in der Ukraine verfolgt wird. Sein Recht könne er auch vor einem russischen Gericht einklagen, da Russland, wie die Ukraine, die Deklaration der Menschenrechte ratifiziert habe.

Wie Juri Kot, Pressesekretär des Klägers, erklärte, wurden nicht nur den ehemaligen ukrainischen Spitzenbeamten, sondern auch den damaligen Außenministern von Deutschland, Frankreich und Polen, Steinmeier, Fabius und Sikorski, eine Aufforderung zugeschickt, zu der Anhörung zu erscheinen.

Der Leiter des ukrainischen Sicherheitsrates, Aleksandr Turtschinow, teilte via Facebook mit, es sei "juristisch wertlos", mit Hilfe eines russischen Gerichtes einen Staatsstreich in der Ukraine nachzuweisen. Turtschinow erklärte, bei der Gerichtsverhandlung handele es sich um "Altersschwachsinn von Tyrannen". Die Klage könne man "professioneller in einer Moskauer Psychiatrie behandeln".

Schüsse aus Gebäuden

Der Gerichtssaal wird während der Verhandlung streng bewacht. Die Journalisten verfolgen die Verhandlung über Bildschirme in einem anderen Saal. Ex-Präsident Viktor Janukowitsch erklärte, "es gab die Information, dass Scharfschützen aus anderen Ländern in die Ukraine gekommen waren". Sie hätten "aus Gebäuden geschossen, welche der Maidan kontrollierte. Versuche, in diese Gebäude zu gelangen, wurden von Seiten des Maidan verhindert."

Der ehemalige Präsident der Ukraine hatte bereits am 28. November bei einer per Skype geführten Vernehmung durch ein Kiewer Gericht erklärt, Scharfschützen hätten von Gebäuden geschossen, die der Maidan kontrollierte. Er sagte, dass er sich auf die umfangreichen Untersuchungen von Ivan Katchanovski stützt, einem aus der Westukraine stammenden Professor, der an der Universität von Toronto (Kanada) lehrt (Friendly Fire aus Kiew).

Vor dem Moskauer Dorogomilowski-Gericht erklärte Ex-Präsident Janukowitsch nun am Donnerstag, in der Botschaft der Vereinigten Staaten in Kiew habe es einen "Koordinations-Stab für den Aufstand" gegeben. Die USA und andere westliche Staaten hätten den Maidan "allseitig unterstützt". Westliche Staaten hätten ihn "gedrängt", das Assoziations-Abkommen mit der EU, welches nach Meinung von Janukowitsch "den nationalen Interessen der Ukraine wiedersprach", zu unterzeichnen.

Der ehemalige Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Aleksandr Jakimenko, erklärte vor dem Moskauer Gericht, dass am 18. Februar 2014 auf dem Maidan Scharfschützen und Sprengstoffexperten aus den baltischen Ländern, Polen und Georgien eingetroffen seien. Die zehn Scharfschützen hätten sich im Konservatorium versteckt. Später habe sich die Gruppe geteilt. Ein Teil sei in das Hotel Ukraina gegangen. Man habe nicht genug Ermittler gehabt, sie zu verfolgen. Der Geheimdienst SBU habe sich dann mit der Aufforderung an die Führung des Rechten Sektors gewandt, die Scharfschützen gemeinsam zu festzunehmen. Man sei deshalb in das Hotel Ukraine gegangen, sei dort aber von Andrej Parubi, dem damaligen Kommandanten des Maidan, 2014 Ex-Chef des ukrainischen Sicherheitsrates und jetzigem Parlamentspräsidenten der Werchowna Rada, aufgehalten worden.

Vermintes Waffenlager

In den Maidan-Hundertschaften - so der ehemalige Geheimdienstchef - habe es Instrukteure aus Deutschland, Polen und Georgien gegeben. Der Maidan sei lange vorbereitet worden. In "Trainingslagern" habe man unter Leitung von Instrukteuren aus Polen, Georgien und den baltischen Staaten Teilnehmer ausgebildet. Die USA hätten über die Diplomaten-Post Geld und Ausrüstung nach Kiew geschickt. Außerdem seien "Spezialisten zweifelhaften Charakters", "Scharfschützen und Sprengstoffexperten" nach Kiew gereist. Es habe Franzosen und Deutsche gegeben, die sich an den "sogenannten friedlichen Aktionen" beteiligten. In Wirklicht seien sie "Instrukteure" gewesen.

Am 18. Februar habe man Waffen auf den Maidan gebracht. Auf dem Platz habe es ein Waffenlager gegeben, welches vermint war. Ein Teil der Minen sei im Gewerkschaftshaus (das am Maidan liegt) hergestellt worden. Man habe den US-Botschafter auf die Waffenschmiede aufmerksam gemacht, dieser habe gesagt, man habe den Hinweis geprüft, dann sei aber angeblich nichts gefunden worden. Allerdings sei es in der Werkstatt zu einer Explosion gekommen. Zwei Personen seien verletzt worden.

Was im Jahr 2014 passierte sei eine "gut geplante, militärische Operation gewesen", erklärte der ehemalige Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrej Kljujew. Es könne nicht angehen, "dass einfache Demonstranten gleichzeitig im ganzen Land Verwaltungen und Gebäude der Innenbehörde, des Geheimdienstes und Lager des Militärs besetzen, die Leute auf dem Maidan bewaffnen, Militäreinrichtungen besetzen und blockieren". Sowohl die "Ereignisse von 2004" (gemeint ist die Orangene Revolution) als auch die "Ereignisse von 2014" (gemeint ist die sogenannte "Revolution der Würde"), wurden "nach einer Schablone vorbereitet", "vielleicht sogar von ein und denselben Spezialisten und den gleich Vertretern des Geheimdienstes der USA", meinte Kljujew.

"Nach Kiew gekommen, um Geld zu verdienen"

Der ehemalige Leiter der Präsidialverwaltung erklärte, die Scharfschützen seien von Sergej Paschinski, dem jetzigen Leiter des Rada-Komitees für Sicherheit und Verteidigung nach Kiew geholt worden. "Es wurde zwei Gruppen von Scharfschützen geholt, eine aus Georgien, eine andere aus den baltischen Ländern". Kljujew erklärte, Wladimir Dachnadse, ein Mitglied der georgischen Scharfschützen-Gruppe, sei vom Rechten Sektor verhört worden. Er habe zugegeben, dass er nach Kiew gekommen sei, "um Geld zu verdienen". Dann jedoch sei Paschinski gekommen und habe Dachnadse "mitgenommen".

Der ehemalige Innenminister Vitali Sachartschenko erklärte vor dem Moskauer Gericht, der "Stoßtrupp" des Maidan habe sich "hinter dem Rücken der Demonstranten" aus Mitgliedern der ultrarechten Organisationen "Dreizack Stepan Bandera" und Rechter Sektor gebildet. Am kommenden Donnerstag wird die Anhörung der Zeugen fortgesetzt.