Moskauer Manöverkritik
Die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine haben in Russland zur Kritik an der einseitigen Parteinahme der Regierung für Janukovitsch geführt
Die Ereignisse in der Ukraine haben auch in Moskau heftige Diskussionen ausgelöst. Russische Kommentatoren sind der Ansicht, dass Präsident Putins Parteinahme für den umstrittenen Kandidaten Janukovitsch in eine politische Sackgasse führte. Besonders hart werden die "Spin doctors" des Kreml kritisiert.
Stanislav Belkovskij wurde deutlich: "Wir hätten niemals Viktor Janukovitsch unterstützen dürfen." Denn es gibt, so der Leiter des Moskauer Nationalen Strategie-Instituts, "in der Ukraine fünf oder sechs Politiker, die Viktor Juschtschenko bei den Präsidentschaftswahlen geschlagen hätten". Allerdings bleibt der Politologe die Antwort auf die Frage schuldig, warum der ukrainische Staatschef Leonid Kutschma ausgerechnet Janukovitsch als seinen Traumnachfolger auserkoren und warum die Moskauer Führung ihn dabei offensichtlich unterstützt hat.
Die Konsequenzen dieses Engagements in der Ukraine werden in den russischen Medien derzeit offen diskutiert. Als Niederlage für den Kreml und den russischen Staatschef persönlich beschreibt Nikolaj Petrov vom Carnegie Moscow Center das Ergebnis: "Vielleicht hat niemand so viel für den Wahlsieg von Juschtschenko getan wie Putin." Darüber hinaus, so Petrov, haben die Ereignisse beim slawischen Nachbarn weitreichende Auswirkungen auf die demokratische Entwicklung in Russland und in der gesamten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Putins offene Parteinahme hätte dazu geführt, dass Russlands Politik der Re-Integration des postsowjetischen Raumes einen schweren Dämpfer bekommen hat.
Warum also hat Putin auf Janukovitsch gesetzt? Petrov spekuliert, dass dieser vielleicht schon deswegen die bessere personelle Alternative für Moskau sei, weil er in der Europäischen Union und in den USA kaum Ansehen genieße. Seine einzige ernstzunehmende Unterstützung wäre künftig aus dem Kreml gekommen - der damit auch die Politik in Kiew wesentlich bestimmen könne.
Anders als Putin und einige seiner außenpolitischen Berater sieht Nikolaj Petrov den ukrainischen Oppositionsführer Juschtschenko durchaus als einen personellen Gewinn für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Moskau und Kiew. Die russischen Unternehmen wären besser bedient mit einer Juschtschenko-Regierung, die die ukrainische Wirtschaft ausländischen Investoren öffnen und die Rolle des Staates zurücknehmen würde. Auch die russische Gesellschaft würde "mehr von einem demokratischen Nachbarn profitieren als von dem bürokratischen und Clan-gestützten Regime eines Leonid Kutschma oder Janukovitsch".
"Wer sagt denn, dass Juschtschenko schlecht ist für Russland?"
Diese Frage soll dem Vernehmen nach auch schon Russlands Botschafter in Kiew, Viktor Tschernomyrdin, gestellt haben, einst Premier unter Boris Jelzin und mächtiger Chef des Erdgasmonopolisten Gazprom. Vladimir Simonov, Kommentator der Nachrichtenagentur RIA-Novosti argumentiert ebenfalls in dieser Richtung. Er erinnert daran, dass zu Juschtschenkos Zeit als ukrainischer Ministerpräsident 1999 bis 2001 der bilaterale Handel deutlich zugenommen habe und ein Dauerstreitpunkt, nämlich der Diebstahl russischen Transit-Gases, weitgehend entschärft werden konnte.
Der ukrainische Regierungschef habe, so Simonov, den ukrainischen Markt russischen Unternehmen geöffnet und auf eine transparente Privatisierung der heimischen Wirtschaft gedrängt. Dem stehe ein Premier Janukovitsch gegenüber, der beispielsweise bei der Privatisierung des Stahlwerks Kryvorizhstal die russischen Interessenten de facto ausgeschlossen habe. Für den größten ukrainischen Stahlproduzenten hatte das russische Unternehmen Severstal 1,2 Milliarden Dollar geboten. Den Zuschlag indes erhielt - für 800 Millionen Dollar - die "Investment und Stahl Union", die unter anderem dem Schwiegersohn von Präsident Kutschma gehört.
Simonov geht auch auf den Vorwurf ein, Juschtschenko sei ein Mann des Westens und damit anti-russisch: "Er hat während des Wahlkampfes Russland den ewigen strategischen Partner der Ukraine genannt und den russischen Bürgern seines Landes seine volle Unterstützung bei der Wahrung ihrer sprachlichen und kulturellen Identität zugesagt."
Russische Spin Doctors unter Beschuss
Derlei Attacken gegen Juschtschenko, zum Teil unter die politische und persönliche Gürtellinie, kamen nicht von ungefähr. Sie waren Bestandteil eines Wahlkampfes, der nur teilweise in der Ukraine konzipiert wurde. Denn bereits im Sommer 2004 hatten sich Moskauer "Polit-Technologen" wie Sergej Markov, Gleb Pavlovskij oder Vjatscheslav Nikonov aufgemacht, den ukrainischen Premier Janukovitsch auf den Präsidentensessel zu hieven. Markov erklärte, sie würden von russischen Unternehmen mit Geschäftsinteressen in der Ukraine bezahlt. Details über die Finanziers und Finanzmittel wollte er aber nicht nennen.
Die Moskauer "Spin doctors", die sich gerne ihrer Nähe vom Kreml rühmen, stehen derzeit zuhause unter schwerem Beschuss. Deshalb gehen sie in die mediale Offensive - mit Schuldzuweisungen und Götterdämmerungsvisionen.
Georgij Markov macht die Umgebung von Kutschma selbst für das schlechte Abschneiden von Janukovitsch verantwortlich: "Wie ist es möglich, dass man einen Kandidaten aussucht, der mehrfach verurteilt worden ist?" Darüber hinaus sei Janukovitsch ein schlechter Redner, der weder ordentliches Ukrainisch noch ordentliches Russisch spräche. Anstatt mit einer sozialen Idee vor die Bevölkerung zu treten, habe er lediglich die Renten erhöht. Außerdem wäre die anti-amerikanische Propaganda in der Ukraine kaum auf fruchtbaren Boden gefallen: "Ich habe ihnen zu anti-polnischer Rhetorik geraten."
Auch Markovs erfolgsgewohnter Mitstreiter Gleb Pavlovskij weiß mit gewandten Worten sein Scheitern zu erläutern. Der Leiter der Moskauer Stiftung für Effektive Politik hatte bereits Ende 1999 bei den Wahlen zur russischen Staats-Duma ganze Arbeit geleistet. Damals wurde eine neue Pro-Putin-Partei aus dem Boden gestampft, die politische Konkurrenz mit "schwarzer PR" niedergebügelt sowie die Ernennung und nachfolgende Wahl Putins zum Präsidenten vorbereitet.
Auch in der Ukraine fuhr Pavlovskij, einst zu Sowjetzeiten als Dissident in Haft, schweres propagandistisches Geschütz auf. Er stellte Juschtschenko in eine Kategorie mit Hitler, nannte dessen Mitstreiterin Julija Tymoschenko eine "unverschämte Frau" und verglich das Orange der Opposition mit der Farbe von Durchfall. Die westliche Politik gegenüber der Ukraine bezeichnete er als "politische Invasion" und empfahl dem Kreml eine Revision seiner Beziehungen zu den USA und der Europäischen Union. Die Tätigkeit westlicher Strippenzieher sei, neben der kriminellen Vergangenheit Janukovitschs, der Hauptgrund dafür, dass seine Tätigkeit in der Ukraine nicht die gewünschten und eindeutigen Erfolge erbracht hätte.
Auch Vjatscheslav Nikonov, Präsident der Politika-Stiftung, sieht den Westen, vor allem die Vereinigten Staaten, in der Ukraine am Werk: "Die USA haben zigmillionen Dollar direkt für Juschtschenkos Wahlkampf zur Verfügung gestellt", so der Enkel des einstigen UdSSR-Außenministers Vjatscheslav Molotov. Noch mehr sei in oppositionsnahe Medien und Organisationen geflossen. Darüber hinaus wären Dutzende von westlichen "Spin doctors" in den Hauptquartieren der Opposition tätig gewesen.
Er warnte die Ukrainer vor einem Erfolg Juschtschenkos. Dies würde einerseits die Wirtschaft des Landes hart treffen; andererseits sei dann damit zu rechnen, dass bald die 6. Flotte der USA in den Häfen von Odessa und Sevastopol stationiert werde. "In diesem Fall würden wir unsere Freundschaft zur Ukraine vergessen, während die Ukrainer ihre Souveränität vergessen könnten", so Nikonov.
Volodymyr Polochalo von der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften und Hryhory Nemyria vom Kiewer Zentrum für Europäische und Internationale Studien halten den Moskauer Polittechnologen entgegen, dass bereits ihre schiere Anwesenheit in Janukovitschs Umfeld viele Menschen dazu gebracht habe, für Juschtschenko zu stimmen. Die Denunziationen des Oppositionsführers als Amerika-Knecht, als Nationalist und Faschist führten zu einem Bumerang-Effekt, weil die Wähler von derlei Negativ-Werbung nichts wissen und glauben wollten. Polochalo sprach den Moskauer Polit-Technologen ironisch seinen Dank aus: "Ihre PR-Kampagne hat die ukrainische Bürgergesellschaft stärker gemacht."
Ob das offizielle Moskau eine Lehre aus den Wahlen in der Ukraine gezogen hat, darf derzeit noch bezweifelt werden. So unterstützten der Duma-Vorsitzende (und Chef der Putin-Partei "Einiges Russland") Boris Gryslov und der Moskauer Oberbürgermeister Jurij Luschkov jüngst noch jene Gouverneure aus der Ostukraine, die im Falle eines Juschtschenko-Erfolges mit einer Abspaltung ihrer Provinzen drohten. Dass diese Drohung selbst bei den Menschen im dortigen "Janukovitsch-Country" kaum populär ist und im Rest der Ukraine auf Empörung stößt, scheint die beiden Politiker nicht zu stören.