Mr. und Mrs. Iraqi
Modell Falludscha: Überwachung, Rassismus, Tollwut und Bomben
Rechtzeitig zum christlichen Fest der Liebe am 24.Dezember sollen die ersten von schätzungsweise 250.000 geflüchteten Einwohner nach Falludscha zurückkehren können. Zuerst die Männer, Heads of households, Frauen und Kinder später, wenn die "vollkommene Sicherheit" der Stadt garantiert ist.
97 Prozent der Stadt seien jetzt sicher, gab US-General John Sattler vorgestern bekannt. Über die Kampfhandlungen, die an einzelnen Orten im Süden der Stadt andauern, wurde nichts verlautet. Noch vergangenen Donnerstag wusste die türkische Zeitung al-Zaman von Luftangriffen auf die südlichen Stadtviertel Dschulan und Dschubail, Augenzeugen sollen von Explosionen und Feuergefechten berichtet haben.
Solide Informationen über die letzten Gefechte in der Stadt gibt es nicht - vom Kampf gegen die Tollwut abgesehen. Wie am Tag nach dem ersten Besuch eines kleinen Teams des Roten Kreuzes deutlich wurde, hat man Angst, dass im medizinisch völlig unterversorgten Falludscha Krankheiten ausbrechen könnten; Problem sind u.a. das Abwasser und Tollwut.
Der Grund, weshalb zunächst nur Männer nach Falludscha zurückkehren dürfen, wird offiziell mit der Gefahr von Bomben, die in den Häusern zurück gelassen wurden, begründet:
Es wäre ein Horror für uns, wenn Mr. und Mrs. Iraqi in die Stadt zurückkommen, ins Haus gehen und Bumm! geht eine Bombe hoch.
Admiral Raymond Alexander
Es gibt jedoch auch andere Gründe, weshalb man zuerst die geflüchteten Männer in die Stadt lassen will. Wie vor einigen Tagen bekannt wurde, sollen die Einwohner der Stadt und vornehmlich Männer einer genauen Identifizierung - inklusive DNA-Proben und Iris-Scanning- unterzogen werden, bevor man ihnen ein Identity-Badge anheftet. Diese Maßnahme, die offiziell pro Mann nur zehn Minuten dauern soll, soll verhindern, dass sich Aufständische unter die Rückkehrer mischen. Da sie im Zusammenhang mit einem Post-War-Plan steht, der unter anderem auch eine Art oktroiierten Arbeitsdienst für die Bewohner Falludschas vorsieht, ist das "Modell Falludscha" heftig kritisiert worden.
Vergleiche mit dem Warschauer Getto der Nazis wurden herangezogen und natürlich Orwells Big Brother; fraglich, ob das gängige Verdammungsrepertoire zur Erhellung der irakischen Realitäten beiträgt. Auffallend ist jedoch in diesem Zusammenhang schon, dass von manchem amerikanischen Offizier Aussagen zu lesen sind, die eine merkwürdige Realitätssicht, bzw. ein gerütteltes Maß an Überheblichkeit verraten.
Schon dass die ersten Rückkehrer am Weihnachtstag in die Stadt gelassen werden sollen, ein Fest, das die Muslime nicht feiern, zeigt, dass dieser Akt eher an die westliche Öffentlichkeit gerichtet ist. Auch ansonsten lassen sich Beispiele dafür finden, dass man sich die irakische Perspektive passend zurechtlegt. Als ob man Berichte bestätigen wollte, die vor geraumer Zeit kursierten und behaupteten, dass die Iraker von vielen US-Militärs im Insiderjargon als "Untermenschen" gehandelt wurden. Man wolle auf keinen Fall Schwäche signalisieren, machte z.B. Colonel Dave Bellon deutlich, bestimmte Fragen bräuchte man nicht mehr zu stellen :
"Was sind Ihre Bedürfnisse?" "Was sind Ihre emotionalen Bedürfnisse?". All das Oprah (Talkshow, Anm.d.V.) Zeug. Sie wollen wissen, wer der herrschende Stamm ist und sagen "Ich bin auf deiner Seite". Wir müssen der wohlmeinende beherrschende Stamm sein."
Tatsächlich stehen die Amerikaner vor einem Dilemma, die Gefahr, dass Aufständische nach Falludscha zurückkehren, kann nicht ausgeschlossen werden. Dass sie mit solchen harschen Methoden, die finstere Assoziationen wecken, der Bevölkerung nicht sympathischer werden, ist offensichtlich. Ebenso wie die Tatsache, dass die Großoffensive kein entscheidender Feldzug gegen die Aufständischen war, die ihre Macht nicht nur mit zahlreichen weiteren Anschlägen ungehindert demonstrieren, sondern auch mit unverminderter Einschüchterung der einheimischen Bevölkerung: Fast alle Schulen im sunnitischen Dreieck sind geschlossen worden, weil auch Lehrer von Aufständischen davor gewarnt worden sind, sich nicht als Kollaborateure zu beteiligen. Ganz offensichtlich darf in den Augen des Widerstands nichts im Land funktionieren.