Mudschahedin gegen Muscharraf
Die Krise um die Rote Moschee
Der Konflikt zwischen pakistanischen Regierungstruppen und den Islamisten, die sich in der Roten Moschee in Islamabad verschanzt haben, ist zu einem zermürbenden Belagerungskrieg geworden, bei dem es immer wieder zu Feuergefechten kommt. Nun soll ein von der Regierung zusammengestelltes Verhandlungsteam die Krise lösen.
Die Regierung hatte am Wochenende den Tod eines Special-Forces-Offiziers zu beklagen; die Gegenseite spricht von 300 toten Koranschülern, die am Sonntag ums Leben gekommen sein sollen. Dem widersprechen Vertreter der Regierung: Offiziell sollen bislang 21 Menschen bei der gesamten „Operation Silence“ (vgl. Dschihad in der Roten Moschee) seit Dienstag vergangener Woche getötet worden sein. Pakistans Präsident Muscharraf gab zu verstehen, dass er mit seiner Geduld am Ende sei und drohte damit, dass alle getötet würden, die die Moschee nicht rechtzeitig verlassen. Der stellvertretende Leiter der Moschee, Abdul Raschid Ghazi, der sich mit einer unbekannten Zahl von „Militanten“ und Koranschülern im Moscheegebäude verschanzt hat, erklärte dagegen, dass man eher Selbstmord verüben würde, als zu kapitulieren; Waffen und Munition würden noch für einen Monat reichen.
Die wahrscheinlich entscheidendere Frage ist jedoch, wie lange die Lebensmittel für die Insassen der Moschee noch reichen. Denn schon Mitte der vergangenen Woche deutete der festgenommene Leiter der Moschee, Abdul Aziz Ghazi, an, dass die Essensvorräte nicht mehr lange reichen würden.
Nach Meinung mancher Beobachter hat der Konflikt in der Hauptstadt das Potential, sich auf das Land auszudehnen, insbesondere in die North West Frontier Province (NWFP), wo es zu ersten größeren Sympathie-Demonstrationen für die Insassen der Moschee kam, zu Rachedrohungen und zu Anschlägen, die in Zusammenhang mit dem Konflikt in Islamabad gebracht werden. Viele der Studenten der Madrassa der Roten Moschee sind Paschtunen und kommen aus der North West Frontier Province (NWFP) und den Stammesgebieten.
Religiöser Widerstand oder Terrorismus
Vieles ist noch unklar im gegenwärtigen Machtkampf zwischen den pakistanischen Sicherheitskräften, welche die Rote Moschee und das angegliederte Schulgebäude, die Jamia Hafsa, umstellt haben, und denen, die ihnen Widerstand leisten. Die Presse ist wegen des Sicherheitskordons auf die Aussagen der Regierungsvertreter draussen und drinnen auf Aussagen von Abdul Raschid Ghazi, der SMS-Botschaften versendet und Kontakt zum pakistanischen Fernsehen hält, angewiesen. Da der jüngere der beiden Ghazi-Brüder sich als religiöser Gegenspieler zu Präsident Muscharraf versteht, fallen die Statements der unterschiedlichen Seiten entsprechend kontrovers aus.
Am deutlichsten ist dies nicht nur typischerweise an den Zahlenangaben abzulesen, sondern bei der Frage, ob die Studenten und Schüler, die sich noch in der Moschee aufhalten, dies freiwillig oder unter Zwang tun. In der Schilderung der Regierung haben „50-60 gut bewaffnete Militante“ die Kontrolle über die Moschee - und eventuell auch über Abdul Raschid Ghazi – und „hindern Hunderte von Frauen und Kindern am Entkommen“. Um die Flucht zu erleichtern, haben die Spezialtruppen Löcher in die Wände des Gebäudes gesprengt – mit bislang wenig Erfolg: Nach Angaben des Sprechers der Insassen, Abdul Raschid Ghazi, sind diejenigen, die noch in der Moschee sind, aus Solidarität geblieben.
Was hier als religiöser Widerstand gegen den Staat und besonders gegen Muscharraf verstanden wird, wird auf der staatlichen Seite in Richtung Terrorismus interpretiert. Dazu passt, dass am Wochenende der pakistanische Minister für religiöse Angelegenheiten, Ejaz-ul-Haq, der Öffentlichkeit bekannt gab, dass bekannte „hartgesottene Terroristen“ die Kontrolle über die Moschee hätten. Ul-Haq schätzt, dass zwei bis fünf der Militanten in der Moschee gesuchte Terroristen seien. Als Grund für diese Annahme bezog sich der Religionsminister auf einen toten Mann, der am ersten Tag der Militäroperation gefunden wurde und als Mitglied der Jaish-e-Mohammad identifiziert wurde, einer Organisation, die mit al-Qaida in Verbindung gebracht wird.
Held Muscharraf
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieses Verdachts: Der Link zur Qaida kommt Muscharraf sehr gelegen. Der Präsident und Noch-Oberbefehlshaber der Armee, dessen Reputation vor der Krise um die Rote Moschee aus vielen Gründen ziemlich am Boden war, profitiert mächtig von der Krise. Seine „Operation Silence“, die weltweit für Schlagzeilen sorgt, führt ihn als Held im Kampf gegen den Terrorismus vor: Einer, der vorsichtig aber bestimmt vorgeht, der menschlicher ist als die in der Moschee, die bereit sind, Kinder zu opfern, während draussen verzweifelte Eltern warten. Die Mehrheit der Pakistanis, 80 Prozent begrüßen Muscharrafs Krisenmanagement. Darüber kann man schon mal vergessen, dass es der Putsch-Präsident mit demokratischen Grundregeln überhaupt nicht genau nimmt.
Vielleicht ist die gute PR für den Präsidenten auch nur ein trügerisches „Zwischenhoch“; vieles hängt jetzt davon ab, ob es der Regierung gelingt, die gegenwärtige Krise möglichst unblutig zu lösen. Muscharraf hat in den Provinzen, aus denen die Mehrheit der Studenten und Schüler der Roten Moschee kommt, ohnehin keinen guten Stand. Unter den Paschtunen wird „Busharraf“ vorgehalten, dass er sich auf die falsche Seite gestellt hat, gegen die Brüder in Afghanistan („Land der Paschtunen“), gegen die Mudschahedin. So wundert es auch nicht, dass die Krise um die Rote Moschee von einigen als Konflikt zwischen den Mudschahedin und dem pakistanischen Staat dargestellt wird, mit dem entsprechenden Potential zur Eskalation.
Gute Kontakte zu den Mudschahedin
Als sicher gilt, dass die Leiter der Roten Moschee, die Brüder Ghazi, über gute Kontakte in Stammesgebiete zwischen Pakistan und Afghanistan verfügen, nach Quetta in Belutschistan und in die Wasiristan-Stammesgebiete, die nicht nur Muscharraf seit längerer Zeit Schwierigkeiten bereiten – sie gelten als pakistanisches Nachschubreservoir für Taliban-Kämpfer in Afghanistan. Für einige Kommentatoren lag der Grund für die lange Passivität der pakistanischen Regierung in der Angst vor solchen Verbindungen der Ghazi-Brüder.
In einer vor kurzem erschienenen Reportage berichtet der amerikanische Experte für „al-Qaida und Terror“ Peter Bergen von einem Besuch in der Roten Moschee. Auf seine Frage, ob Selbstmordattentate, die sich in Afghanistan auffällig häufen würden, im Islam legitim seien, antwortete einer der Brüder Ghazi mit „ja, wenn sie gegen die Besatzer gerichtet sind.“
Insofern sind die Leiter der Roten Moschee Dschihadisten, in der Tradition vieler Religionsschulen, die in dieser Gegend in den achtziger Jahren aufgebaut wurden, als Reaktion auf die Invasion Afghanistans durch Sowjettruppen. Die Rote Moschee und die Brüder Ghazi haben viel der Hilfe des pakistanischen Putsch-Präsidenten Zia al Haq in den 80ern zu verdanken, der die Ausbreitung von Koranschulen vorantrieb - wie auch die CIA, welche die Schulen mit Unterrichtsmaterial unterstützte, das jetzt gegen die USA und ihre Verbündeten verwendet wird.