Müller und der Einschlag der Panzergranate

Bild: Olaf Simons/CC BY-SA-3.0

Wie der papierene Groschenroman das Internet und den Nerd im Keller überlebte

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Alle Welt weiß: Die gedruckte Zeitung auf Papier ist ein Auslaufmodell und der Journalismus irgendwie im Eimer. Das ist ja auch kein Wunder, unterdrückt doch die Systempresse wichtige Nachrichten. Zum Beispiel über die intergalaktischen Räume und dass sich dort Tausende von Welten zur "Liga Freier Galaktiker" zusammengeschlossen haben, zur Zeit machen dort vor allem die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris von sich reden. Oder über die Ostfront. Aber nein, das stimmt nicht ganz. Seitdem Putins Russland wieder die hergebrachte Funktion des Bösewichts (Krim, Syrien, Giftanschläge, Wahlmanipulation, Fußpilz und schlechtes Wetter) erfüllt, rollen die Panzer wieder gen Osten zum Manöver.

Aber um was geht es jetzt genau? Es geht um einen publizistischen Bereich, den es so angesichts des Internets und den Kassandrarufen von selbsternannten Trend- und Zukunftsforschern eigentlich gar nicht mehr geben dürfte: den Heftroman, vulgo Groschenroman. Wo die gedruckte Tageszeitung (18-Jährige: "Tote Bäume") immer mehr an Auflage verliert und etwa ein Drittel der Menschheit täglich mindestens drei Stunden fest an das Smartphone getackert ist, twittert, simst, mailed, das Facebook-Profil aktualisiert oder löscht und in WhatsApp reinguckt, lebt die Branche der Heftromane einfach weiter, so als ob es nie eine digitale Revolution gegeben hätte. Warum?

Der Heftroman bildet quasi den Fels der Beständigkeit in der tosenden Brandung einer sich immer schneller wandelnden Welt und während auf dem Bildschirm die allerneueste Neuigkeit nach sieben Sekunden schon wieder alter Schnee von gestern ist, bleibt auf den 64 Seiten der Heftchen, die Welt, wie sie schon immer war.

Da heißt es etwa "Flieg nach Sektor X!", hatte Alverdh befohlen.1 "Sie werden früher oder später erneut versuchen, ins Sperrgebiet einzudringen". Oder: "Alverdhs Gesichtspalt weitete sich. Die vier hörnerartigen Aufsätze auf dem helmartigen Kopf schienen zu zittern." Richtig, wir sind hier bei Perry Rhodan, der langlebigsten und erfolgreichsten deutschsprachigen Science-Fiction-Serie der Welt und es ist schon bemerkenswert, wie hier Generationen von Autoren an der Weltraum-Saga arbeiten, ohne angesichts der Zeiträume (Band 2966 spielt 3000 Jahre in der Zukunft) den Überblick und den Mut zu verlieren.

Wo die Science-Fiction-Serie sich intergalaktisch respektive interstellar gibt, ist man bei einem anderen Heftchen-Produkt eher traditionell-bodenständig: "Wrach! Der Einschlag einer Panzergranate lag nur wenige Meter neben ihrer notdürftig aufgeworfenen Deckung. Steine und Erde fielen auf sie herab. Hinter ihnen brummte ein Panzer III heran, hielt und schoß … Rrrrrrt - Rrrrrrt! Weiter Feuerstöße aus Müllers Waffe flogen den Russen entgegen".2 Richtig, hier sind wir - nein, nicht mehr bei "Der Landser", sondern seinem Nachfolger "Weltkrieg". Wir sind im Heft 117 und gerade ist die Kradschützenabteilung der 13. Panzer-Division im Vormarsch auf den Putin - hoppala, Verzeihung! - den Bug natürlich.

Dann hätten wir da noch den Heimatroman, der aus irgendwelchen geheimen Gründen immer in den Bergen - sprich: Alpen - angesiedelt ist. Mittelgebirge tun's nicht. Und der Heimat/Bergroman kommt in etlichen Varianten daher: Von "Toni - Der Hüttenwirt" bis zum "Bergpfarrer". Da heißen die Dörfer "Wurzlach" und Pfarrer Trenker weiß nicht, "daß Hertha am frühen Nachmittag aus allen Wolken gefallen war".3 In "Die Erbin vom Pachnerhof" treibt sich auch ein "Graf Friedrich von und zu Herding" herum, der aber eigentlich in eine andere Kategorie der Groschenromane gehört, den Fürsten- oder Adelsroman ("Liebe, Luxus, Leidenschaft im Hochadel"). Hier heißen die Menschen "Ingmar Graf von Strack", seufzt ein "Sebastian von Oppen" und es geht um "Tamara" - natürlich "Prinzessin Tamara"4, soviel Zeit muss sein.

Und schließlich gibt es noch ihn: "Chefarzt Dr. Norden",5 der auch als "Dr. Laurin", der "Landdoktor", "Kinderärztin Dr. Marten" oder als "Kurfürstenklinik" angeboten wird - er ist scheinbar nicht totzukriegen, der Arztroman.

Pro Jahr um die 50 Millionen Hefte

Bevor wir allen, die jetzt schon angesichts des Trivialen bildungsbürgerlich die Nase rümpfen beziehungsweise sich erhaben fühlen und schon fahrig auf dem Tablet herumfingern, nicht einfach so recht geben wollen, erst einmal die harten Fakten.

Den Hefte-Kuchen im deutschsprachigen Raum teilen sich ein paar Verlage weitgehend unter sich auf. Da ist zunächst die Bastei-Lübbe AG in Köln, sie ist seit 1953 im Groschenheft-Bereich vertreten. Die fast 600 Mitarbeiter bringen neben Büchern auch Woche für Woche an die 40 Titel an den Kiosk, darunter die Klassiker wie "Jerry Cotton" oder "Geisterjäger John Sinclair", die "erfolgreichste Horrorserie der Welt". Zehn Millionen Hefte beträgt die verkaufte Heftauflage pro Jahr.

Perry Rhodan erscheint im Pabel-Moewig-Verlag in Raststatt, der bis 2013 auch "Der Landser" herausbrachte. Die Druckauflage soll wöchentlich an die 80.000 Exemplare betragen.

Dann gibt es die beiden Hamburger Verlage Kelterer und Cora. Ersterer bringt vor allem Frauenromane auf den Markt, darunter "Dr. Norden" mit einer Auflage von 25.000 und "Der Bergpfarrer" mit einer Auflage von 22.000 Heften. Insgesamt soll die ausgelieferte Auflage pro Jahr sich bei mehr als 40 Millionen Hefte belaufen. Cora wiederum hat sich auf Romane im Kleinformat spezialisiert und bringt mit Titeln wie "Bianca" oder "Julia" an die 550 Titel pro Jahr heraus, mit einer Auflage von 15 Millionen.

Allein mit seinen Frauenromanen hat Bastei also eine monatliche Druckauflage von 715.000 Exemplaren. Pro Jahr werden von allen Verlagen zusammen mindestens 50 Millionen Hefte unter die Leute gebracht. Ein immer noch lukratives Geschäft. Doch warum lebt der Groschenroman auch im Zeitalter des Internets, während die Tageszeitung mächtig schwächelt?

Die Antwort in Teil II: Es war ein strahlend schöner, sonniger Herbsttag über der Eifel. Kulturkritik und Trivialkultur des Groschenromans.