Münchner Sicherheitskonferenz: "Aus unserer Sicht ist das Peacewashing"

Christoph von Lieven gehört zum Peace Team der Umweltschutzorganisation Greenpeace und ist deren Sprecher für atomare Abrüstung. Foto: Lucas Wahl / Greenpeace

Ein Gespräch mit Greenpeace-Campaigner Christoph von Lieven über den militärischen Sicherheitsbegriff, über zweierlei Gefahren des Wettrüstens und die Entwicklung der Grünen

Vom 18. bis zum 20. Februar findet in der bayerischen Landeshauptstadt die 58. Münchner Sicherheitskonferenz im Luxushotel Bayerischer Hof statt. Im Alten Rathaussaal setzen zeitgleich Nichtregierungsorganisationen mit der Internationalen Münchner Friedenskonferenz andere Akzente.

Greenpeace-Campaigner Christoph von Lieven, bei der Umweltorganisation zuständig für Friedenspolitik und Sprecher für atomare Abrüstung, ist einer der Referenten. Mit Telepolis sprach er über die unterschiedlichen Prioritäten und Sichtweisen beider Konferenzen sowie über die beiden Gefahren, die von der symbolischen "Weltuntergangsuhr" des Bulletin of the Atomic Scientists abgebildet werden: die Atomkriegsgefahr und die Klimakrise.

Auf der Gästeliste der Münchner Sicherheitskonferenz standen in den letzten Jahren auch Vertreter von Nichtregierungsorganisation, wie 2020 die damalige Greenpeace-International-Chefin Jennifer Morgan. Inwieweit werden sie dort nach Ihrer Einschätzung tatsächlich eingebunden und ernst genommen?

Christoph von Lieven: Grundsätzlich wurde Greenpeace schon mehrfach eingeladen. Wenn jedoch lediglich ein militärisches Verständnis von Sicherheit zugrunde liegt, ist das aus unserer Sicht Peacewashing, ein Pendant zum Greenwashing. Wir gehen auf die Konferenz, um uns für Abrüstung und Umweltschutz zur Friedenssicherung einzusetzen.

"Gemeint ist die militärische Absicherung des Globalen Nordens"

Die Münchner Sicherheitskonferenz wurde allerdings 1963 unter dem Namen "Wehrkundetagung" ins Leben gerufen. Der Sicherheitsbegriff, der dort benutzt wird, beruht auf militärischem Denken. Gemeint ist die militärische Absicherung des Globalen Nordens, also die Sicherheit derer, die schon in Wohlstand leben.

Das ist es, was auf dieser Sicherheitskonferenz auch mit Potentaten und Diktatoren verhandelt wird. Gemäß der UN-Charta kann es aber keine echte Sicherheit ohne Frieden geben. Deshalb brauchen wir die Unterscheidung zwischen dem militärischen Sicherheitsbegriff und Frieden, den wir alle dringend brauchen.

Als Gegenveranstaltung zur "Siko" findet seit einigen Jahren die Internationale Münchner Friedenskonferenz statt. Sie referieren dort zum Thema nukleare Teilhabe, Rüstungskontrolle und Abrüstung. Gehen Sie davon aus, dass das Wettrüsten tatsächlich zum "großen Knall" führen kann, oder ist die Ressourcenverschwendung zum Aufrechterhalten der Drohkulisse schlimm genug, weil diese Mittel dann zum Beispiel im Kampf gegen die Klimakrise fehlen?

Christoph von Lieven: Ehrlich gesagt sehen wir beide Gefahren. Wir sehen einerseits, dass extrem viele Ressourcen da hineinfließen, die wir eigentlich für humanitäre Zwecke brauchen, einerseits für die Bewältigung der Klimakrise und der Biodiversitätskrise, aber auch, um die soziale Ungerechtigkeit weltweit zu beenden. Gleichzeitig ist aber die Gefahr eines Atomkriegs nicht gebannt, da zum Beispiel die Nato immer noch nicht sagt: Wir verzichten auf einen Erstschlag.

Außerdem wird angesichts der Aufrüstung und neuer Waffensysteme, die immer genauer werden, auch die Möglichkeit von begrenzten Atomkriegen diskutiert – mit kleineren und angeblich präziseren Atomwaffen, die auch bei uns in Deutschland stationiert werden sollen. Daher schätzen wir die Gefahr schon sehr, sehr hoch ein. Damit sind wir auch nicht allein. Der Chef der US-Atomstreitkräfte, des United States Strategic Command, Admiral Charles Richard, hat Anfang letzten Jahres gesagt, die Gefahr eines Atomkrieges sei jetzt real – und nicht mehr nur eventuell möglich.

Offiziell geht die Aggression ja immer von der anderen Seite aus – das allerdings sagt jede Seite. Inwieweit würden Sie für westliche Staaten die Hand ins Feuer legen?

Christoph von Lieven: Dazu fällt mir der Spruch ein: Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst. Auch der Westen hat gezeigt, dass man Kriege mit Lügen beginnen kann, im Fall des Vietnam-Krieges mit dem sogenannten Tonkin-Zwischenfall, oder in der jüngeren Vergangenheit im Fall des Irak-Krieges. Und auch im Osten fangen Kriege nicht einfach so an. Hier kann man für niemanden die Hand ins Feuer legen.

Wichtig ist, dass wir alle rational bleiben. Die Erklärung der fünf Atommächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien im UN-Sicherheitsrat, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann, und deshalb auch nicht geführt werden darf, ist ein extrem wichtiger Punkt.

Was aber ganz, ganz schlecht ist: Gerade die Atommächte – und übrigens auch Deutschland – verweigern sich dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen, den eine übergroße Mehrheit von 122 Staaten beschlossen hat. Diese Verweigerungshaltung ist eine echte Gefahr, denn sie führt letztendlich zu Überlegungen, wie man vielleicht doch einen Atomkrieg führen könnte.

"Nato-Mitgliedschaft ist nicht zwingend an nukleare Teilhabe geknüpft"

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht, dass Deutschland nur als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen soll, bei Fortsetzung der nuklearen Teilhabe. Begründet wurde das unter anderem von der SPD mit Nato-Bündnisverpflichtungen. Müsste dann nicht die Nato-Mitgliedschaft als solche in Frage gestellt werden?

Christoph von Lieven: Das ist eine schwierige Frage, aber die Nato-Mitgliedschaft Deutschlands ist nicht zwingend an die nukleare Teilhabe geknüpft. Die nukleare Teilhabe umfasst nur eine absolute Minderheit der Nato-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Belgien, die Niederlande und Italien. In einigen Nato-Staaten ist sogar die Lagerung von US-Atomwaffen verboten.

Es gibt Staaten wir Griechenland und Kanada, die aus der nuklearen Teilhabe ausgetreten und trotzdem an allen Planungsgruppen der Nato weiterhin beteiligt sind. Die Art und Weise, wie die Frage der Nato-Mitgliedschaft in der deutschen Öffentlichkeit mit nuklearer Teilhabe verknüpft wird, ist irreführend.

Wahnsinn ist meiner Meinung nach, dass eine "rot-grün-gelbe" Regierung beschlossen hat, für mindestens acht bis neun Milliarden Euro neue Kampfjets als mögliche Träger für Atomwaffen zu kaufen. Auch das steht im Koalitionsvertrag – und dass diese Bundesregierung mit grüner Beteiligung und SPD-Führung auch die in Büchel gelagerten US-Atomwaffen austauschen lassen will, das widerspricht nach unseren Umfragen absolut dem Willen der Bevölkerung. Und eigentlich auch der Beschlusslage der Grünen und ihrem Grundsatzprogramm.

In Frankreich wird der Ausbau der zivilen Atomkraft unter anderem mit Klimaschutz begründet. Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach militärische Hintergedanken?

Christoph von Lieven: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat ja sogar ganz offen gesagt, dass es militärische Atomkraft ohne zivile Atomkraft in Frankreich nicht geben kann. Letztere wird gebraucht, um das Know-How zu halten und das Material zu beschaffen. Beides hängt eng miteinander zusammen. Atomenergie ist die teuerste und ineffizienteste Form von Energieerzeugung, wenn wir den kompletten Lebenszyklus betrachten.

In Frankreich sind mehr als ein Drittel der Meiler stillgelegt, weil sie auch nach dortigen Maßstäben nicht sicher sind. Frankreich ist momentan Netto-Stromimporteur, weil die Atomkraft eben keine Möglichkeit bietet, die Energieversorgung sicherzustellen. Und beispielsweise am Atomkraftwerk Flamanville wird seit 13 Jahren gebaut, sehr viel länger als ursprünglich geplant; und es sollte einmal drei Milliarden kosten, jetzt sind es 19 Milliarden.

Die Technik ist nicht beherrschbar; und für den Klimaschutz bringen die Reaktor-Bauvorhaben von Herrn Macron überhaupt nichts, denn selbst wenn sie klimafreundlich wären, sind sie erst in zehn, 20, 30 Jahren fertig. Wir müssen aber jetzt handeln, um den menschengemachten Klimawandel auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Wir müssen jetzt Erneuerbare Energien massiv ausbauen und aufhören, fossile Energieträger zu verbrennen.

Sowohl die französische als auch die deutsche Regierung haben das in den letzten 20 Jahren wirklich verpennt, zum Teil aber auch absichtlich. Und das muss jetzt dringend nachgeholt werden.

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