Multimediagesetze im Regulierungschaos

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Anläßlich der Anhörung vor dem Technologieausschuß am 14. Mai in Bonn geriet das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) unter starken Beschuß. Wirtschaftsexperten, Wissenschaftler, Gewerkschaften sowie Daten- und Jugendschützer bemängelten vor allem die unklare Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, die zahlreiche Rechtsunsicherheiten nach sich zögen. Damit wird die Konzeption des Bund-Länder-Konstrukts von IuKDG und Mediendienstestaatsvertrag als solche in Frage gestellt. Bereits im Juni soll im Bundestag über das IuKDG abgestimmt werden.

Vor allem in Wirtschaftskreisen regt sich der Widerstand gegen das Gesetzeskonstrukt. Anbieter von Online-Diensten drohten bereits den Rückzug ins Ausland an. Die bislang nicht beseitigten Rechtsunsicherheiten zögen zahlreiche Gerichtsverfahren und damit das Aus für die aufstrebende Multimedia-Industrie in Deutschland nach sich. Zwar wurde mit einer künstlichen Trennlinie entlang Individual- und Massenkommunikation versucht, die neuen Multimediadienste zwischen Bund und Ländern aufzuteilen, doch in der Praxis gibt es zahlreiche Überschneidungen. Allein E-Mail kann individuell adressiert werden, jedoch schon in Mailing-Lists, den E-Mail-Rundbriefen, werden die Inhalte an eine Allgemeinheit gerichtet. Je nachdem wären nun der Bund oder die Länder zuständig, mit zum Teil unterschiedlichen Rechtsfolgen. Vor allem im Bereich von Daten- und Jugendschutz ergäben sich Unschärfen für die zuständigen Kontrollinstanzen, befürchtet die WDR-Justiziarin Antje Karin Pieper.

Das Ansinnnen des Bundes, mit dem IuKDG auch die firmeninternen Netzwerke zu regeln, stieß auf herbe Kritik. Hermann Neus von IBM erklärte, daß die "Organisationsfreiheit für die interne Postverteilung" nicht durch ein Bundesgesetz geregelt werden könne, nur weil der Netzwerkbetreiber ein Dritter sei. Halte der Bund an diesem Vorhaben fest, so wäre die Verlagerung des Services ins Ausland die zwingende Konsequenz.

Auch das im Teledienstedatenschutzgesetz (TDDG) vorgesehene Verbot zur Erstellung von Nutzerprofilen stelle einen Wettbewerbsnachteil dar, beklagte Benedikt Kind vom Fachverband Informationstechnik im VDMA und ZVEI. Dadurch werde nicht nur die Marktforschung behindert, kundenfreundliche Anwendungen könnten so nicht realisiert werden. Dies sei ein eindeutiger Wettbewerbsnachteil auf dem internationalen Parkett. CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn forderte hingegen auch die anonyme Nutzung von Anwendungen zu ermöglichen. Bei pseudonymisierten Daten sei die Zusammenführbarkeit der Daten immer gegeben. Auch müsse geklärt werden, wie der Datenschutz bei internationaler Datenübertragung wie im Fall CompuServe zu regeln sei. CompuServe entzieht sich im Moment mit dem Argument, sein Sitz sei im US-Bundesstaat Ohio, der deutschen Gesetzgebung. Fehlende Bußgeldvorschriften machten zudem das Datenschutzgesetz zu einem "frommen Wunsch des Gesetzgebers", so Müller-Maguhn weiter.

Das Thema der in §5 TDG geregelten Providerverantwortlichkeit erregte ebenfalls die Gemüter. Zwar behauptete der Vertreter der Telekom, Müller-Using, die Telekom AG könne damit "gut leben". Da sich in der Vergangenheit die Länderaufsicht bei Auseinandersetzungen mit Sexanbietern immer schnell zurückgezogen habe, seien bei der anvisierten Regelung keine Probleme zu erwarten. Dem Rechtsanwalt der Provider-Lobby ECO, Michael Schneider, bot der Paragraph 5 hingegen zu wenig Rechtssicherheit. Er beklagte, daß hier nicht die richtigen Definitionen gefunden wurden. Allein die Begriffe der "Kenntnis", "Zumutbarkeit" und "technisch möglich" bedürften der Ausführung der Gerichte, so Benedikt Kind. Damit werde der Job eines Geschäftsführer von Online-Diensten "wirklich gefährlich". (siehe "Staatsanwaltschaft versus Provider")

AOL-Sprecherin Ingrid Haas plädierte im Bereich des Jugendschutzes für eine freiwillige Selbstkontrolle. Das System der AOL-Lotsen, die auf Verstöße aufmerksam machen oder gemacht werden, funktioniere sehr gut. Nutzer mit entsprechendem Fehlverhalten werden abgemahnt oder aus dem Netz genommen. Zudem arbeite AOL an einer differenzierten Rating-Software, die unterschiedliche Rating-Systeme zulasse. So könnten Eltern beispielsweise ein Rating nach den Richtlinien des Kinderschutzbundes, aber auch der Deutschen Bischofskonferenz anwenden. Ähnlich wie der effektive Datenschutz sei das Rating für AOL vor allem ein wichtiges Marketinginstrument. Von anderer Seite wurde hingegen angemahnt, daß die Jugendschutzgesetzregelung für Online-Dienste schwerwiegendere Rechtsfolgen als im analogen Bereich vorsehe. So könnten bei schwer gefährdenden Inhalten Anbieter nicht zugelassen werden.

Heftig umstritten ist ebenfalls das zunächst als "Jahrhundertwerk" gepriesene Gesetz für digitale Signaturen (SigG). "Digitale Signaturen" als Authentizitätsnachweise von Dokumenten könnten sich als trojanisches Pferd für eine innovationsfeindliche Kryptographie-Regulierung herausstellen, befürchten Informatiker.

Der von Seiten der SPD vorgetragene Vorschlag, eine gemeinsame Bund-Länder-Lösung zu erarbeiten, stieß bislang auf taube Ohren. Auf eine dann notwendige verfassungsrechtliche Ergänzung möchte man sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einlassen.