Staatsanwaltschaft versus Provider

Faustrecht im Netz?

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Laufende Verfahren, Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Anzeigen machen sowohl Access- als auch Content-Providern das Leben seit geraumer Zeit schwer. Ermittelt wird gegen Inhalteanbieter aus dem links- aber vor allem aus dem rechtsradikalen Spektrum. Im gleichen Zuge wird ein Gesetz beraten, das Provider zur Sperrung von Inhalten verpflichtet, sobald ihnen der rechtswidrige Inhalt bekannt ist. Die Ermittlungen ehrgeiziger Staatsanwälte forcieren hier nicht nur eine höchstrichterliche Klärung, sondern beeinflussen auch die Gesetzgebung. Eine Firewall-Software soll jetzt die gezielte Sperrung einzelner Web-Sites und nicht nur ganzer Server ermöglichen. Alles Zufall?

Seit über einem Jahr dauern die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden gegen Zugangs- und Inhalteanbieter in Deutschland wegen Pornographie sowie rechts- und linksradikaler Veröffentlichungen an. Teilweise finden die Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Ermittlungen und Gerichtsverfahren stehen dabei unter großem politischen Druck. Ihre Konsequenzen reichen bis in die Entwurfsfassung des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes hinein.

Nach einem Jahr Ermittlungsarbeit erhob die Münchener Staatsanwaltschaft im April gegen CompuServe-Chef Felix Somm Anklage wegen "Zulassung" der Verbreitung von pornographischen Bilddateien aus Internet-Newsgroups und wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz. Bereits Ende 1995 hatte die Kriminalpolizei auf Grund einer Anzeige wegen der Verbreitung von Kinderpornographie die Geschäftsräume der Firma durchsucht. Als im Frühjahr 1996 die Kriminalpolizei CompuServe eine Liste von über 200 bedenklichen Nachrichtengruppen übergab, um diese auf rechtswidrige Inhalte zu überprüfen, sperrte CompuServe kurzerhand alle angeführten Addressen. Da von der Sperrung auch nichtpornografische Gruppen wie "Rüstungsexporte" betroffen waren, allein aufgrund des vom Suchprogramm herausgefilterten Wortteils "sex", kam es zu weltweiten Protesten. Dabei hatte die Kripo nach eigenen Aussagen CompuServe nicht zur Sperrung, sondern lediglich zur Überprüfung aufgefordert.

Nach geltendem Verfassungsrecht ist den staatlichen Behörden jedoch die Ausübung von Zensur nachdrücklich untersagt. Eine Sperrung war daher nie gefordert worden. CompuServe kam der Fall aber gelegen. Zur gleichen Zeit wurde in den USA der "Communications Decency Act" heftig diskutiert. Ein Zensurfall im Ausland konnte daher den Providern aus innenpolitischen Gründen nur als willkommenes Exempel dienen. Da die pauschale Sperrung direkt das Menschenrecht auf freie Information und Meinungsäußerung betraf, erhielt der Fall große Relevanz. Im Januar dieses Jahres erhielt Somm ein Schreiben der Staatsanwälte des Münchner Landgerichts. Sie erklärten darin, daß der Online-Dienst strafrechtlich nicht verantwortlich sei und das Verfahren zurückgezogen werde. Doch der Brief war CompuServe lediglich aufgrund eines "Kanzleifehlers" zugestellt worden, wie sich wenig später herausstellte.

Mit dem "Fall CompuServe" setzte eine regelrechte Ermittlungswelle gegen die Provider ein. Der zweite große Fall im letzten Jahr war die Sperrung des niederländischen Providers XS4ALL, da über ihn die Zeitschrift "radikal" Nr. 154 erreichbar war. Die in der Providerlobby ECO zusammengeschlossenen Provider sperrten auf Empfehlung von ECO-Rechtsanwalt Michael Schneider im Herbst 96 den Zugang zu XS4ALL. Ein Schreiben des Generalbundestaatsanwalts hatte die ECO-Mitglieder darauf hingewiesen, daß sie sich "möglicherweise einer Beihilfe" schuldig machen, "soweit Sie auch weiterhin den Abruf dieser Seiten über Ihre Zugangs- und Netzknoten ermöglichen sollten". (siehe Gespräch mit Felipe Rodriquez)

Eine exakte Sperrung der angemahnten URL war damals noch nicht möglich. Mit der Sperrung der IP-Nummer des gesamten Servers durch die deutschen Provider wurden über 5000 Adressen gesperrt. Eine unverhältnismäßige Maßnahme, die zu weltweiten Protesten führte. Doch die Niederländer sorgten durch das Verfahren der rotierenden IP-Nummern dafür, daß die Sperrung immer wieder umgangen werden konnte. Zudem hatte XS4ALL-Geschäftsführer Felipe Rodriquez in einem Protestschreiben "Germany censors XS4ALL" die Sperrungen bekannt gemacht. Zeitweise spiegelten über 50 Websites die Zeitschrift "radikal" wieder.

Einige Online-Dienste und Netzbetreiber hatten sich damals der Argumentation der Generalbundesstaatsanwaltschaft nicht angeschlossen. T-Online sperrte "radikal" nicht, weil eine gezielte Sperrung nicht möglich und zudem die Spiegelungen die Sperrung zu einer "Sperrung ohne Effizienz" machten, so ein Unternehmenssprecher. Ebenso AOL, CompuServe und das DFN. Die Staatsanwaltschaft leitete in der Folge gegen alle, die dem Blockadeaufruf nicht gefolgt waren, Ermittlungen ein. Im Moment "schwebt" das Verfahren.

Zur Anklage hingegen kam es bereits im Fall Marquardt. Die Ex-Vize-PDS-Parteivorsitzende Angela Marquardt hatte auf ihrer Homepage zusammen mit einer distanzierenden Erklärung einen Link auf "radikal" gesetzt. CompuServe hatte darauf ihre Homepage gelöscht, doch ein englischer Provider gewährte ihr ein neues virtuelles Heim. Anfang 1997 erhob die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage, nachdem ihr die Generalbundestaatsanwaltschaft den Fall übertragen hatte. Im Juni ist Verhandlung. Für die Staatsanwälte ist die Argumentation Marquardts reine "Seiltänzerei". Die Distanzierungen seien nichts wert, denn der Link ist bereits "die Möglichkeit an sich", zu dem inkriminierten Schriftstück zu gelangen. Wieviele Links dahinter noch angeklickt werden müssen, um direkt zu den rechtswidrigen Inhalten zu kommen, sei irrevelant. (siehe Hyperlink ins Gefängnis)

In das öffentliche Gedächtnis wurden die Verfahren gegen die großen Online-Dienste erst wieder mit der umstrittenen DFN-Sperrung gerufen. In zwei Schreiben hatte die Generalbundestaatsanwaltschaft den DFN-Verein zur "radikal"-Blockade aufgefordert. Im Laufe des Ermittlungsverfahren hatte sie Anfang April einen Anhörungsbogen an den DFN geschickt. Im gleichen Zug hatte das Bundeskriminalamt am 2. April den DFN erneut darauf hingewiesen. Am 11. April hatte sich der DFN e.V. (Deutsches Forschungsnetz e.V.) entschieden, den Zugriff auf den Webserver des niederländischen Providers Xs4All zu sperren. In einer Stellungnahme des DFN hieß es, der Verein habe die Überzeugung gewonnen, daß der Inhalt der "radikal" deutschem Recht zuwiderläuft, und eine Sperre technisch möglich ist.

Erneut trat XS4ALL in Aktion. Felipe Rodriquez, Geschäftsführer des niederländischen Providers, erklärte, er sei über die Blockade nicht informiert worden. In einem Schreiben an den DFN und die Bundesstaatsanwaltschaft listete er 42 weitere Rechner auf, die, weil sie "radikal" spiegelten, konsequenterweise ebenfalls gesperrt werden sollten. Am 21. April beendete der DFN die Sperre.

DFN-Geschäftsführer Klaus-Eckart Maas begründete dies laut AP damit, "daß eine wirksame Serrung des rechtswidrigen Inhalts nicht möglich war."
(siehe Kontrollgesellschaft im Nacken)

Für die Generalbundestaatsanwaltschaft in Karlsruhe sind die zahlreichen Mirrors "kein Argument". "Jeder nimmt sich die Begründung, die er für sinnvoll erachtet", so der ermittelnde Staatsanwalt. Die Mirrors ebenso wie die öffentliche Aufmerksamkeit seien allein das Ergebnis der Bemühungen von XS4ALL.

Die Generalbundestaatsanwaltschaft ermittelt in Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften vor Ort auch gegen rechtsradikale Äußerungen im Netz. Zur Zeit läuft ein Verfahren gegen das Thule-Netz. Ein Kernpunkt ist die dort veröffentlichte Liste der "Gegner Deuschlands". Hier werden linke Organisationen und Personen mit Name, Anschrift und Telefonnummer aufgeführt. Das Verfahren sei jedoch "sehr sensibel" und gehe weit über das Internet hinaus. Wegen der damit verbundenen Telefonüberwachungen sei man auch um die mangelnde Publizität des Falls froh.

"Zufällig" fiel die Sperrung mit der ersten Lesung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG) im Bundestag zusammen. Zu Beginn der Verfahren gegen die Online-Provider wegen der Nicht-Sperrung hatte ein entsprechender Paragraph in den Entwurfsfassungen noch nicht existiert. Nachdem die ersten Ermittlungen aufgenommen waren, wurde noch im Oktober ein entsprechender Passus eingefügt. Erst in der Fassung vom 8.11. wurde im Paragraphen 5,4 die Providerverantwortlichkeit neu geregelt. Damit reagierte die Gesetzgebung direkt auf die Bedürfnisse der Strafverfolgung, die sich "mit der Situation sehr unzufrieden" zeigte. Die bestehende Rechtsunsicherheit sollte daher "höchstrichterlich" geklärt werden. Daß die Juristenlobby sich hier auch in den Gesetzesberatungen durchsetzen konnte, zeigt die aktuelle Fassung des IuKDG:

"Verpflichtungen zur Sperrung der Nutzung rechtswidriger Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen bleiben unberührt, wenn der Diensteanbieter unter Wahrung des Fernmeldegeheimnisses gemäß §85 des Telekommunikationsgesetzes von diesen Inhalten Kenntnis erlangt und eine Sperrung technisch möglich und zumutbar ist."

Eine entsprechende Regelung findet sich im Mediendienstestaatsvertrag der Länder nicht. Aufgrund der mangelnden Abgrenzung zwischen dem Begriff der "Mediendienste"- und "Teledienste"-Anbieter erzeugt dies erneut Rechtsunsicherheit! (sie Rechtsunsicherheit als Programm). Interessanterweise bezog sich der DFN zur Rechtfertigung seiner Maßnahme auf den aktuellen Entwurf, der ja keineswegs rechtskräftig und damit zitierfähig ist, indem er die Sperrung zunächst für "technisch möglich und zumutbar" erklärt hatte.

In der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des IuKDG heißt es, der Begriff "technisch möglich und zumutbar" biete "in erheblichem Umfang Auslegungsspielraum". Er geht jedoch davon aus, daß es in der Regel "technisch möglich und zumutbar" ist, die Nutzung strafbarer Inhalte zu verhindern. Die Bertelsmann AG stellt sich die Frage, ob jeder Anbieter nun verpflichtet sei, sich am allerneuesten Stand der Technik zu orientieren und diese neuen technischen Möglichkeiten auch sofort einzusetzen. Da dies erhebliche Investitionen notwendig machen würde, lehnt die Bertelsmann AG diese Regelung ab.

Von halbstaatlicher Stelle aus wird jedoch schon an einer Software gebastelt, die die gezielte Sperrung von URLs ermöglichen soll. Auch das Volumenproblem soll mit dieser Software, die in wenigen Wochen auf den Markt kommen soll, gelöst sein. Damit wäre es nicht nur "technisch möglich und zumutbar", sondern auch verhältnismäßig, bestimmte, von den Strafverfolgungsbehörden angemahnte Adressen zu sperren. Denn anders als bei einer kompletten Sperrung von IP-Nummern wären keine anderen Anbieter von der Blockademaßnahme betroffen. Eine Art Firewall um Deutschland, um deutschen Gesetzen zu genügen, wäre dann möglich.

Das Internet würde in nationale Intranets zerfallen, kaum daß es sich international als neues Medium etabliert hat.

Doch bleiben im Punkt der Providerverantwortlichkeit für die Anbieter noch einige Punkte ungeklärt. Für CompuServe stellt sich die Frage, ob mit einem Link, der auf einen "fremden Inhalt" verweist, damit die andere Homepage "zur Nutzung bereit gehalten" wird, wie die Staatsanwaltschaft im Fall Marquardt argumentiert. Auch hält es CompuServe für "unerträglich", "wenn jeder Surfer im Internet z.B. eine e-Mail an den Provider schicken könnte, in der auf einen nach Ansicht des Schreibers rechtswidrigen fremden Inhalt verwiesen wird und damit der Diensteanbieter bereits "Kenntnis" hätte, und somit zur Sperrung verpflichtet sei." CompuServe weiter: "Hier muß klargestellt werden, daß "Kenntnis" nur dann vorliegt, wenn der Diensteanbieter von einer nach den allgemeinen Gesetzen zuständigen Person oder Institution in Kenntnis gesetzt wird". Auch IBM Deutschland fordert mehr Klarheit in der Formulierung des Absatzes.

Grundsätzlich bleibt fraglich, ob das Gesetz in diesem Punkt verfassungskonform ist. Da Strafverfolgungsbehörden vorrichterliche Zensurmaßnahmen nicht gestattet sind, ist der Begriff des "in Kenntnis erlangen" eindeutig zu klären. Merkwürdig ist das offensichtliche Zusammenspiel von Gesetzgebungs- und Strafverfolgungsorganen sowie "halbstaatlicher Stellen", die für die technische Umsetzbarkeit der Gesetzesvorgaben sorgen. Weniger merkwürdig ist jedoch die fehlende öffentliche Diskussion. Die Politikverdrossenheit ermöglicht ja erst das reibungslose Zusammenspiel der Beteiligten.