Musik im Internet
Der Richtwert des vorläufigen Gebührensatzes der Gema für Musik im Netz spielt der Musikindustrie in die Hände. Ist diese Bestimmung die Zukunft des Urheberrechts? Ein Interview mit zwei Rechtsanwälten für Musikrecht
Die "lose Koppelung", die der Philosoph Niklas Luhmann zwischen Medium und Form attestierte, ist lockerer denn je. Besitz bedeutet in der digitalen Welt nicht mehr, über etwas materiell zu verfügen, sondern bestimmen zu können, wer worauf zugreifen darf. Verwertungsgesellschaften, die Zugriffe auf "geistiges Eigentum" kontrollieren und sich (stellvertretend) bezahlen lassen, spielen deshalb für die Zukunft eine zentrale Rolle. Und Musik ist hier - wie immer in der digitalen Kultur - ein Vorreiter für alle anderen kulturellen Formate wie Film, Bild oder Software. In keinem anderen Format war die Vervielfältigung "geistigen Eigentums" so populär. Schon seit über hundert Jahren kontrolliert die Gema deshalb Lizenzen und fordert Tantiemen für die Urheber. Die Probleme von Musik im Netz zwischen dem Urheberrecht und den Verwertungsrechten der Gema erklären die Rechtsanwälte Barbara und Gunnar Berndorff, die ihre besonderen Kompetenzen in diesem Gebiet - zusammen mit Knut Eigel - bereits in ihrem Buch "Musikrecht" unter Beweis stellten.
Um das Spezielle am Urheberrecht zu verstehen, ist es vielleicht zu Beginn am einfachsten, es vom Patentrecht abzugrenzen. Worin liegt, grob gesagt, der Unterschied zwischen Urheberrecht und Patentrecht?
Gunnar Berndorff: Das Patentrecht ist ein technisches Schutzrecht, das Urheberrecht ein geistiges. Um ein Patentrecht zu bekommen, muss man ein bestimmtes technisches Verfahren entwickelt haben, das neuartig ist. Das Patent wird darauf geprüft und erteilt.
Barbara Berndorff: Das Besondere ist, dass beim Urheberrecht die geistige Leistung noch nicht einmal schriftlich festgehalten werden muss. Wenn ich etwas pfeife, ist das bereits mein 'Werk', ohne dass ich es aufgeschrieben habe. Es reicht, dass es wahrnehmbar gewesen ist, es muss nicht manifestiert sein. Das Patent muss dagegen manifestiert und gemeldet sein.
Gunnar Berndorff: Der Vorteil ist, dass ökonomische Verfahren dadurch gerichtlich leichter zu klären sind. Für die jetzige Diskussion um die Einführung des Patentrechts auf Software ist es jedoch wichtig zu bedenken, dass auch ein Softwareprogramm, auf das kein Patent besteht, geschützt ist - durch das Urheberrecht.
Barbara Berndorff: Es ist in Deutschland jedoch offensichtlich so - und das merkt man ja auch an dem Ruf nach einem Patentrecht auf Software -, dass es einen starken Drang gibt, etwas anzumelden und registrieren zu lassen. Dass das Urheberrecht automatisch existiert, macht es offensichtlich suspekt. Ein Grund, warum viele Musiker zur Gema gehen. Dort können sie ihre Musik schriftlich anmelden und meinen, dadurch einen besonderen Schutz zu haben. - Eingetragen unter Nummer 20 045, mir kann nichts mehr passieren. - Aber die Gema ist kein Urheberrechtsschutz.
Wie wird derzeit die Verwertungsabgabe im Internet behandelt? Was muss ich dafür zahlen, um Musik auf meiner Webpage zu haben?
Gunnar Berndorff: Noch trifft die Gema Individualvereinbahrungen. Aber: Zwar hat die Gema noch keinen Tarif, aber zumindest einen vorläufigen Gebührensatz entwickelt, den sie zur Zeit dafür nimmt. Und der ist unanständig hoch. Möchte ein Label beispielsweise ein Album, also 60 Minuten Musik, auf ihre Website stellen, müssen sie monatlich an die Gema 3 520 DM zahlen. Das betrifft jedoch nur die Komposition, nicht die Aufnahme. Wenn ich Musik, deren Verwertung von der Gema vertreten wird, auf meiner Page verwenden will, muss ich einerseits die Gema anfragen, die die Urheber und Musikverlage vertritt, und denjenigen, der das Recht an der Aufnahme hat, also den Interpreten oder die Plattenfirma, die die Aufnahme finanziert hat. Bei elektronischer Musik fällt das zumeist in eine Person, aber es sind trotzdem zwei getrennte Rechte.
60 Minuten Musik auf einer gewerblichen Website zu publizieren, kostet für ein Label monatlich (!) 3 520.49 DM (1800 Euro), zuzüglich 7% Mehrwertsteuer. In der Juristensprache heißt das: Die Vergütung für gewerbliche Websites beträgt z.Z. monatlich 30 Euro (zzgl 7%Mwst) pro Werk pro Minute. Für jede weitere Minute wird ebenfalls 30 Euro berechnet. (Wiederum 7% Mwst nicht zu vergessen.) [Quelle: Berndorff, Berndorff & Eigler: Musikrecht.]
Für Musik gibt es den Modus des Autorenlabels, d.h. wenn der Verleger und der Urheber dieselbe Person sind, kann man sich von der Gema freistellen lassen. Gibt es so etwas auch für das Netz?
Gunnar Berndorff: Im Internet soll es diese Möglichkeit nicht geben. Auch bezüglich der Autorenlabels möchte man das ändern, weil Missbrauch befürchtet wird.
Ist man sich bei der Gema nicht darüber im klaren, dass man mit einer Politik, die die Zahl der Downloads nicht miteinbezieht, forciert, dass große Firmen und Leute mit viel Geld sich Musik auf ihrer Webpage leisten können? Und ausgerechnet jene Leute, deren Veröffentlichungen nicht auf einen gewinnbringenden Verkauf ausgerichtet sind und die vielleicht eher in einem kulturell orientierten Sektor arbeiten, ausgeschlossen werden?
Gunnar Berndorff: Ich glaube, solche Gedanken macht man sich bei der Gema nicht. Nach vorne wird anstelle dessen mit dem Schutz der Urheber argumentiert, und das lässt sich natürlich auch immer ganz leicht machen. Teilweise ist es ja bei einigen Internetlabeln in der Tat der Fall, dass Autoren unter wirtschaftlichen Druck gesetzt werden und ihre Musik umsonst zur Verfügung stellen sollen. B-Sonic oder Peoplesounds und einige andere Internetlabel haben oder hatten beispielsweise Verträge, bei denen man als Künstler erklären sollte, die Gemagebühren selbst zu zahlen. Wenn sich ein Autor dann mit dieser Begründung eine Freistellung von der Gema holt, dann ist natürlich genau das passiert, was die Gema verhindern will. Im Plattenvertrag werden solche Klauseln automatisch unwirksam. In einem neuen Medium wird es eben erneut versucht, und die Gema will das verhindern. Das ist ja nicht schlecht. Andererseits ist die Hürde mit dem jetzigen Tarif so hoch gehängt, dass ein Agieren im Internet ohne finanzstarken Partner faktisch verhindert wird. Sich selbst im Internet zu vermarkten, wird so natürlich schwierig, weil der Autor auf Grund der fehlenden Freistellung erstmal richtig viel Geld an die Gema zahlen muss. Das hat ein junger Urheber natürlich im Zweifelsfall nicht. Und wenn er es vorfinanzieren könnte, wäre das Geld zwei Jahre lang weg. Er bekäme es über den Umweg der Gema wieder - abzüglich der 10 Prozent Gemaprovision.
Für eine private Website kostet ein Album (mit 20 Stücken à drei Minuten) 2288,32 DM (1170 Euro) pro Jahr. Im Juristendeutsch: Die Vergütung für private Websites beträgt z.Z. ebenfalls 30 Euro (plus 7% Mwst), aber für ein Werk mit einer Spieldauer bis zu fünf Minuten und für die Nutzungsdauer von bis zu einem Jahr. Für jede weiteren fünf Minuten sind weitere 30 Euro zu bezahlen. Und für jedes zusätzliche Werk aus dem Gemarepertoire beträgt die Vergütung 5 Euro im Monat bei fünf Minuten, für jede weiteren fünf sind ebenfalls 5 Euro zu bezahlen. [Quelle: Berndorff, Berndorff & Eigler: Musikrecht.]
Im Prinzip kann man mit dem Begriff der Kopie in einer digitalen Welt nicht mehr arbeiten. Es gibt bei digitalisierten Daten kein Original mehr, es kann also von Kopien nicht die Rede sein. Geht es deshalb rechtlich gesehen mehr und mehr dahin, Entscheidungen daran zu koppeln, wer worauf zugreifen darf? Denn man steht ja vor einer neuen Situation. Früher war es bei einer Platte ja klar, dass das Tauschen von Musik bedeutet, dass die Musik danach weg war. Heute kann man Musikstücke tauschen, und sie bleiben danach bei einem. Man kann jedoch den Vorgang des Tauschens nicht einfach verbieten?
Gunnar Berndorff: Früher oder später wird die Gema wahrscheinlich für das digitale Tauschen Verwertungsgebühren nehmen. Das Problem ist, dass wahrscheinlich wie bei Radiosendungen die Gemaausschüttungen nicht konkret daran gekoppelt sein werden, welche Stücke wieviel genutzt werden, sondern es wird über einen Schlüssel pauschal abgerechnet. Und der ist bei der Gema im Moment das Problem. Er ist sehr kompliziert und übervorteilt bestimmte Autoren.
Man hat derzeit aber doch allgemein das Gefühl, dass das Urheberrecht weniger für den Autor als vielmehr für bestimmte wirtschaftliche Interessen in Stellung gebracht wird. Es ging bei dem Fall 'Napster' ja beispielsweise selten darum, zu diskutieren, wie man den Urheber im Internet zu seinem Recht kommen lassen kann, sondern viel eher darum, das ökonomische Interesse der Musikindustrie durchzusetzen, und zwar gegen kleinere Firmen wie Napster, die sich intelligent auf eine Nische setzten, die mit einem Mal im Zentrum einer zukünftigen Ökonomie stand.
Gunnar Berndorff: Das ist in gewisser Weise richtig. Das Urheberrecht schützt zur Zeit ein bisschen die falschen Leute. Aber auch ohne das Urheberrecht würden diese Konzerne Mittel und Wege finden, solche Firmen wie Napster wirtschaftlich platt zu machen. Und, das darf man nicht vergessen, sie würden auch Geld verdienen, wenn wir kein Urheberrecht hätten. Wenn jemand wie Shawn Fenning bei Napster mit beispielsweise einer 10 Millionen-Klage überzogen wird, dann wird er sich überlegen, ob er den Prozess durchstehen kann, auch wenn er meint, er hat eigentlich recht. Man kann sich das als normaler Bürger oder normale Firma einfach gar nicht leisten. Wenn BMG schließlich - wie jetzt geschehen - kommt und sagt: Wir bieten dir einen zweistelligen Millionenbetrag im mittleren Bereich und nächste Woche bist du Global Player, dann nimmt man das Geld. Ob der Hintergrund der Klage das Urheberrecht gewesen ist oder die Klage völlig unbegründet war, fällt vor allem vor der Tatsache, dass das einfach knallharte wirtschaftliche Maßnahmen sind, wenig ins Gewicht. Das Urheberrecht schützt zwar eigentlich die Künstler, derzeit wird es von der Industrie allerdings zweckentfremdet. Die Künstler werden vor den Karren gespannt und lassen das auch teilweise mit sich machen, weil sie natürlich ohne die Plattenfirmen wenig Geld verdienen.
Ich möchte noch einmal auf das Urheberrecht im Internet zurückkommen. Welche Paragraphen bieten sich an, wenn man beispielsweise so etwas beurteilen will, wie die Problematik des "Tauschens" bei Programmen wie Napster oder Gnutella. Denn einerseits wird ja gesagt, das Urheberrecht wird verletzt, da kopiert jemand illegal Musik. Andererseits ist die Gegenposition von Napster & Co ja ebenfalls durchaus nachvollziehbar, dagegen zu stellen, nur eine Musiksuchmaschine zu sein. Was die Leute mit dem Programm tauschen, kann Napster ja ebenso wenig verantworten, wie wenn jemand über die Suchmaschine Google Kinderpornographie sucht und sich runterlädt.
Gunnar Berndorff: Im Moment behandelt man das vor allem vor der Problematik des privaten Gebrauchs. In unserer und in anderen Rechtsordnungen ist ja schon lange anerkannt, dass Kopien zum privaten Gebrauch nicht rechtswidrig sind. Der Begriff "privater Gebrauch" steht im Gesetz, er wird aber nicht definiert und ist ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff. Er wird ausgestaltet durch die Rechtskultur, wie man so schön sagt, durch die Rechtsprechung und darüber, was die Allgemeinheit darunter versteht.
Kurze Zwischenfrage: Die Zahl von sieben erlaubten Kopien, die in meinem Kopf immer herumspukt, die kommt jedoch nicht aus dem deutschen, sondern aus dem amerikanischen Copyright?
Gunnar Berndorff: Bei uns geht die Rechtsprechung ebenfalls meistens von sieben erlaubten Kopien aus. Das steht zwar nirgendwo, wird aber so praktiziert. Jetzt gibt es aber die Frage: Was ist privater Gebrauch? Bis jetzt war entscheidend, ob das Kopieren im häuslichen Rahmen oder unter Freunden vollzogen wurde. Eine Stufe weiter, etwa in Clubs, in denen 20-30 Leute Musik tauschen, kann man auch noch davon sprechen, dass die Leute eine gewisse private Beziehung zueinander haben, auch wenn sie sich vielleicht nicht mehr so gut kennen. Bei Napster habe wir natürlich hier einen Nutzerkreis von weltweit 32 Millionen Menschen. Sie verfolgen zwar alle den gleichen Zweck, nämlich privat Kopien zu tauschen, aber sie haben keine persönliche Beziehung mehr zueinander.
Barbara Berndorff: Nach deutschem Recht kommt es immer darauf an, ob das "Private" bestimmbar ist.
Gunnar Berndorff: Der unbestimmte Rechtsbegriff wird - zumindest im Moment - so ausgelegt, dass Musiktauschprogramme nicht mehr unter den privaten Gebrauch fallen. Man könnte sich das natürlich auch anders vorstellen. Denn durch das Neue Medium Internet hat sich eine nichtkommerzielle Kultur herausgebildet. Es kann durchaus sein, dass in zwei, drei Jahren ein Gericht zu der Entscheidung kommt: Gut, wir fassen das ebenfalls unter "privatem Gebrauch".
Keine klare rechtliche Regelung zu haben, unterstützt allerdings derzeit Initiativen wie "Copy Kills Music", die versuchen, die rechtliche Grauzone zu kriminalisieren. Gerade eben hat die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag eine Anfrage gestellt, in wie weit Musiksuchprogramme der deutschen Rock- und Popmusik - und damit dem deutschen Bruttosozialprodukt - schaden. Unter Rückgriff auf die Kampagne 'Copy kills Music' kann so die Kontrolle solchen "Missbrauchs" im Internet gefordert werden. Die rechtliche Grauzone schützt also die Bestrebungen, das Internet national zu kontrollieren.
Barbara Berndorff: Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seite führt der Umgang mit unbestimmten Begriffen jedoch immer zu neuen Freiräumen. Wenn man starke Vorschriften macht, dann erfasst man auch immer nur einen Fall.
Inwieweit ist das nationale Urheberrecht überhaupt noch in einem transnationalen Rahmen wie dem Internet praktikabel? Der Rahmen ist ja nicht mehr national, das Recht jedoch schon.
Gunnar Berndorff: Die unterschiedlichen Rechtsordnungen haben sich heutzutage sehr weit angeglichen, d.h. bestimmte Rechtsstandards sind Usus. Es gibt natürlich gewisse Abweichungen, beim Urheberrecht besonders in der Frage, wie lange etwas geschützt wird. Aber es gibt keinen Staat, der bei dieser Frage völlig ausschert. Dazu gibt es internationale Abkommen, um das Ganze zu vereinheitlichen. Generell gibt es außerdem im Urheberrecht das Prinzip der Inländerbehandlung, d.h. jeder Ausländer wird hierzulande in Bezug auf das Urheberrecht so behandelt, als wenn er Inländer wäre. Wenn der Server jetzt in den Philippinen steht und der Abruf in Malaysia stattfindet, muss der deutsche Künstler, dessen Urheberrecht verletzt wird, sich natürlich dort sein Recht suchen. Wenn eine der beiden Handlungen hier passiert, d.h. der Abruf, bzw. der Server hier steht oder - als dritten Fall, das Unternehmen, das den Server beliefert und ihn gemietet hat, kann man das hier verfolgen, denn die unerlaubte Handlung geht von hier aus. Das ist allerdings ein Thema, das noch nicht bis ins Letzte geklärt ist.
Barbara Berndorff: Der Vorstandschef von der International Federation of the Phonographic Industrie (IFPI), der erklärte neulich, dass man hier auch deshalb so aktiv ist, weil man es eben in Asien oder Afrika noch nicht geschafft hat, Raubkopien in den Griff zu kriegen. Das Unrechtsbewusstsein fehlt dort. In Asien sind beispielsweise einige Länder nicht Mitglieder. Es wird also deshalb viel Wert darauf gelegt, dass das Thema in den Medien ständig präsent ist, um die Rechtskultur hier zu beeinflussen.
In Zusammenarbeit mit de:bug magazine