Mutmaßliche Kriegsverbrechen: EU-Parlament fordert Sondertribunal für Putin

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Für Gräueltaten in Butscha und Irpin sollen führende Politiker und Militärs aus Russland und Weißrussland vor Gericht. Was die Pläne sind und warum längst nicht alle Fragen geklärt sind.

Mit großer Mehrheit hat das Europäische Parlament am Donnerstag ein Sondertribunal zum Krieg in der Ukraine gefordert. In der nicht bindenden Resolution heißt es, die EU-Staaten sollte gemeinsam mit der ukrainischen Regierung um internationale Unterstützung für das Sondertribunal werben.

Die zu schaffende Institution solle Russlands mutmaßliche Verbrechen im Krieg gegen das Nachbarland untersuchen – und zwar parallel zu den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs. Ziel solle es sein, die politische und militärische Führung der Russischen Föderation und ihrer Verbündeten strafrechtlich zu verfolgen.

Mit 472 Stimmen wurde Resolution angenommen, 19 EU-Parlamentarier votierten dagegen und 33 enthielten sich der Stimme.

Kritisiert wurde der Beschluss unter anderem von dem irischen Linken Mick Wallace. Er hält den Vorstoß des Parlaments für scheinheilig. Russland müsse zwar für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, erklärte er laut tagesschau.de. Allerdings seien NATO-Staaten mit ihren Angriffskriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan, Syrien oder den Jemen ungestraft davongekommen.

Die Mehrheit des EU-Parlaments glaubt jedoch, ein Sondergerichtshof würde die "große Lücke im derzeitigen institutionellen Gefüge der internationalen Strafjustiz" schließen und die Bemühungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ergänzen.

Die "große Lücke" besteht, weil der IStGH bislang nur von 123 Staaten unterstützt wird, die wiederum nur 30 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren. Länder wie die Vereinigten Staaten, China, Indien und Russland haben die Statuten entweder nicht unterzeichnet, die Unterschrift wieder zurückgezogen oder das Abkommen nicht ratifiziert.

Russland und die USA gehören zu den Staaten, die ihre Unterschrift wieder zurückgezogen haben. In den Vereinigten Staaten wurde sogar im Jahr 2002 ein Gesetz erlassen, das die Ablehnung des IStGH noch einmal unterstreicht. Es ermächtigt US-Präsidenten, US-Bürger, die sich in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten sollen, auch mit militärischen Mitteln zu befreien.

Die Ukraine gehört wiederum zu den Ländern, die zwar die Statuten unterzeichnet, aber das Abkommen bis heute nicht ratifiziert haben.

Woraus das Sondertribunal seine juristische Legitimation schöpfen soll, wurde in der Resolution nicht näher benannt. Wie es sich zusammensetzen und wie es arbeiten wird, soll zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Dabei solle seine Arbeitsweise "den höchsten Anforderungen in Bezug auf Transparenz und Unparteilichkeit genügen".

Im nächsten Atemzug widerspricht die Resolution allerdings dem Ruf nach Unparteilichkeit. Denn in dem Papier wird die Europäische Union aufgefordert, unverzüglich mit den Vorbereitungen zu beginnen. Und "in Zusammenarbeit mit der Ukraine" sollen "die Regelungen für den Sondergerichtshof festgelegt" werden.

Zu den Politikern in Deutschland, welche die Idee des Sondertribunals befürworten, gehört Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Am Montag hatte sie ein "Sondertribunal für das Aggressionsverbrechen gegen die Ukraine" angeregt. Grundlage solle das ukrainische Strafrecht sein, das um einige "internationale Elemente" ergänzt werden solle.

Die EU-Kommission hatte zurückhalten auf Baerbocks Vorstoß reagiert. EU-Justizkommissar Didier Reynders warf am Dienstag die Frage nach der Legitimität eines solchen Gremiums auf. In seiner Rede im Europaparlament sagte er laut Nachrichtenagentur AFP: Ein solches Tribunal müsse "einen hinreichend internationalen Charakter haben, um die Immunität (der Verantwortlichen) rechtmäßig aufheben zu können und im Namen der internationalen Gemeinschaft zu handeln".

Statt eines neuen Gerichts erwäge die EU-Kommission, so Reynders, die Einrichtung einer internationalen Strafverfolgungsbehörde. Sie soll Ermittlungen zum Verbrechen der Aggression einleiten und Beweise für mögliche künftige Gerichtsverfahren sichern und aufbewahren. Darüber liefen bereits Gespräche mit Kiew, der EU-Justizagentur Eurojust und dem IStGH.

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