NPD könnte an der Alternative für Deutschland scheitern

In Thüringen drängelt sich die politische Konkurrenz in der (mehr oder weniger bürgerlichen) Mitte

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Wenn sie wollten, könnten sie die Große Koalition in Thüringen wohl noch einige Jahre fortsetzen. Doch bei CDU und SPD scheinen die Abnutzungserscheinungen nach fünf Jahren die politischen Gemeinsamkeiten zu überwiegen. Glaubt man den letzten Umfragen und dem Wahlkampf-Slogan der Liberalen ("Wir sind dann mal weg!"), wird die FDP nicht mehr im Erfurter Landtag vertreten sein. Bündnis 90/Die Grünen kämpfen noch mit der 5-Prozent-Hürde. Die Linke will aus der Schwäche der ehemals etablierten (West-)Parteien weiter Kapital schlagen und erstmals den Ministerpräsidenten stellen. Aber auch AfD und NPD rechnen sich Chancen aus.

Auch ein politisches Ziel. Stand derzeit (Mittwoch, 15:29): 4080

Zweckbündnis vor dem Aus?

Zugegeben, Schwarz-Rot hat in Thüringen mehr vorzuweisen als "Pleiten, Pech und NSU". Doch die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage, der Beginn des Schuldenabbaus und der Versuch einer Polizei- und Bildungsreform prägen nur sehr bedingt das Image der Großen Koalition. Vieler ihrer Protagonisten wollen das ungeliebte Bündnis schnellstmöglich aufkündigen, auch um endlich einen Schlussstrich unter diverse politische Affären ziehen zu können.

In die endende Legislaturperiode fiel schließlich der Rücktritt von Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD), der sein Ruhegeld als Staatssekretär und das Ministergehalt nicht miteinander verrechnet hatte, ein inzwischen eingestelltes Verfahren gegen Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) wegen des Verdachts der Untreue oder ein monatelanges Gezerre um Staatskanzlei-Chef Jürgen Gnauck, der ebenfalls die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief und seinen Hut nehmen musste.

Aber auch innerhalb der Regierungsparteien gab es Querelen, die für öffentliches Aufsehen sorgten, so etwa die Differenzen zwischen der gern liberal auftretenden Lieberknecht und dem konservativen CDU-Fraktionsvorsitzenden Mike Mohring, dem weitreichende Ambitionen nachgesagt werden. Im Gegensatz zu Lieberknecht kann sich Mohring eine Koalition mit der AfD durchaus vorstellen.

Die Wahlkampfzeitung der Union, die am vergangenen Wochenende an alle Thüringer Haushalte verteilt wurde, bevorzugt andere Themen - etwa das Lieblingsessen der Ministerpräsidentin - und schließt mit einer aus Zeitungsschlagzeilen montierten Warnung vor der "kommunistischen Einheitsfront", die in Waldgebieten Windräder aufstellen und alle möglichen Drogen freigeben wird. Die Wähler sollen nun entscheiden, ob Thüringen den "Erfolgsweg mit einer Regierung der Mitte" fortsetzen kann - "oder ob unser Land massiv nach links rückt".

Wie links ist die Linkspartei?

"Massiv links" - das wäre aus CDU-Sicht ein rot-rotes Bündnis, in dem nach Lage der Dinge nur Bodo Ramelow Ministerpräsident werden könnte. Doch der gebürtige Niedersachse, der lange Jahre als Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen tätig war, taugt kaum zum Schreckgespenst. Denn Ramelow versteht unter "links" zwar einen alternativen Politikansatz, in den verstärkt soziale Aspekte einfließen, sieht seine Partei aber ebenfalls in der Mitte der Gesellschaft.

Wenn die Linke über das Ideal "guter" (will sagen: fairer) Arbeit philosophiert und in ihrem Programm Rahmenbedingungen fordert, "um vorhandene Arbeitsplätze erfolgreich zu erhalten und neue, existenzsichernde und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen", denkt niemand an sozialistische Planwirtschaft - sondern eher an die SPD. Die Sozialdemokraten haben denn auch alle Mühe, sich vom einnehmenden Wahlkampf der Linken zu distanzieren und vor einer Woche noch einmal "Koalitionsprüfsteine" für "etwaige" Partner vorgestellt. Ob das reicht, um für die Sozialdemokraten deutlich mehr als 15 Prozent einzufahren, darf bezweifelt werden, denn die Linke macht sich in der Mitte breit. Mit dem zentralen Slogan "Es muss nicht alles anders werden, aber wir können vieles besser machen" hatte in ähnlicher Form schon Gerhard Schröder Erfolg. Die 27.500 Plakate positionieren sich zu klassischen Themen wie "Wirtschaft", "Bildung" oder "Sicherheit" und unterstützt wird die Linke laut eigener Homepage nicht nur von Studenten und Schauspielern, Rentnern und Betriebsräten, sondern auch von Salesmanagern, Fachkräften, Liedermacher Konstantin Wecker oder Radsport-Ikone "Täve" Schur.

Da wäre, wenn es denn so kommt, wie es die letzten Umfragen andeuten, sogar noch Platz für einen grünen Koalitionspartner, denn ökologische Themen stehen selbstredend auch auf der Agenda der Linken. Ohnehin ist man sich mit Sozialdemokraten und Grünen schon "zu 80 Prozent einig", glaubt der linke Spitzenkandidat.

Folgerichtig wirkt der eloquente West-Import bei seinen zahlreichen Auftritten nicht wie ein Vertreter der kommunistischen Einheitsfront, sondern eher wie ein Bankangestellter oder Versicherungsvertreter. Einer von der netten, souveränen, vertrauenerweckenden Art. Mitunter gibt sich der 58-Jährige, der die Unzulässigkeit seiner Beobachtung durch den Verfassungsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten musste, bereits staatstragend und im Bedarfsfall auch pastoral.

In der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" interpretierte der bekennende Schutzengel-Besitzer Bodo Ramelow Jesus schon vor drei Jahren als historische Figur, "die Verteilungsgerechtigkeit und soziales Leid thematisiert" habe. Eine seiner vielen kleinen Charmeoffensiven an neue Wählerschichten.

Alternative für was?

Die AfD - wenn man sich anschaut, von wo sie Wähler gewinnt, dann ist die AfD ein Problem aller Parteien. In Sachsen zum Beispiel haben wir uns die Wählerwanderung angeguckt. Nur 23 Prozent der AfD-Wähler kommen von der CDU. Das heißt, andere müssen sich genauso Gedanken machen wie wir.

Angela Merkel, 9. September 2014

Rund 85 Prozent der Wählerstimmen dürften sich am Sonntag zwischen CDU, SPD, Grünen, Linkspartei und möglicherweise auch der FDP verteilen - innerhalb eines Programmangebots, in dem christlich-konservative, sozialdemokratische, vermeintlich oder tatsächlich liberale, betont linke oder explizit bürgerliche Positionen, anders als in den Lager-Wahlkämpfen früherer Jahre, kaum noch voneinander abgegrenzt sind.

Die Alternative für Deutschland sieht deshalb gute Chancen, nach den Erfolgen bei der Europa- und Sachsenwahl auch in den Erfurter Landtag einzuziehen. Sie vertritt nach eigener Einschätzung "mündige Staatsbürger aus allen Teilen unseres Volkes" und würde sich deshalb ebenfalls gern in der Mitte platzieren. Als Prozent-Erbe der FDP und Programm-Erbe der einst konservativeren Union oder eben als Anwalt einer schweigenden Mehrheit, die "dem zunehmend politikverdrossenen Souverän eine authentische Stimme in den Parlamenten" gibt.

Tatsächlich aber fischt die Thüringer AfD, die in den letzten Monaten mit zahlreichen parteiinternen Querelen und widerspenstigen Kreisverbänden wie dem in Greiz-Altenburg beschäftigt war, am rechten Rand. Spitzenkandidat Björn Höcke gibt freimütig zu, dass der "konservativ-patriotische Flügel" in seinem Landesverband ein Übergewicht hat. Daran ist er selbst wesentlich beteiligt, denn Höckes Ausfälle gegen "Wirtschaftsflüchtlinge" und "Hartz-IV-Empfänger aus EU-Ländern" oder die "Vernichtung" deutschen Sparvermögens durch die EZB sind ebenso als gezielte Provokationen angelegt wie seine Ausführungen zur "identitären Kraft" der AfD, der Höcke nicht nur eine historische Mission, sondern auch ein Potenzial von 25 Prozent der Wählerstimmen zugedacht hat.

Mein Parteifreund Alexander Gauland sprach erst kürzlich davon, daß der Islam kein Teil Deutschlands ist. Ob das in hundert Jahren der Fall sein werde, wisse er nicht. Ich persönlich hoffe das nicht. Der Islam ist mir wesensfremd. (...) Thilo Sarrazin sagte einmal, daß er, wenn er den Muezzin rufen hören möchte, ins Morgenland fahren würde. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Björn Höcke, 14. August 2014

Selbsterklärend sind auch Höckes familienpolitische Vorstellungen, die er im Juli der Thüringischen Landeszeitung präsentierte:

Die Politik hat eine Vorbildfunktion. Politiker müssen eine wertsetzende Elite sein. Sie dürfen sich nicht nur - wie Frau Lieberknecht - als Politikverwalter verstehen. Ich würde die Drei-Kinder-Familie zum politischen und gesellschaftlichen Leitbild machen. (...) Es geht darum, dem Werterelativismus Paroli zu bieten.

Björn Höcke

Wiebke Muhsal, die den AfD-Listenplatz 4 belegt, ist in dieser Hinsicht offenbar ein leuchtendes Vorbild. "Ich bin Juristin, derzeit widme ich mich jedoch hauptsächlich der Erziehung meiner drei Kinder", heißt es im Selbstporträt der Kandidatin. Fragt sich nur, wie sie ein Landtagsmandat im Terminkalender unterbringen will ...

Entsprechungen zu Höckes Polemiken finden sich selbstverständlich auch auf den Plakaten der AfD und in dem vom Spitzenkandidaten verantworteten Wahlprogramm, das gut 30 Seiten umfasst - sicher auch, um dem Vorwurf entgegenzutreten, man sei immer noch eine Ein-Thema-Partei. Alternative Lebensentwürfe tauchen hier als "Gender Mainstreaming" auf. Dabei handele es sich um "gesellschaftspolitische Umerziehungsmaßnahmen".

Auf dem Weg ins Abseits?

Auf den ersten acht Listenplätzen der NPD bewerben sich ein Tischler, drei "Unternehmer", ein Geschäftsführer, ein Zahntechniker, ein Ingenieur und ein Tiefbohrfacharbeiter um Mandate für den neuen Landtag. Ein Querschnitt durch die bürgerliche Mitte wird daraus freilich nicht, auch wenn Spitzenkandidat Patrick Wieschke das üble Image der letzten Jahre loswerden möchte ("Man nennt uns 'Nazis' oder 'Extremisten'. Doch das sind wir nicht."), die Eröffnung der neuen Landesgeschäftsstelle als freundliches Familien-Event filmen lässt und gerne als argloser "Kümmerer" auftritt, der sich um die Probleme der einfachen Leute sorgt.

Wieschke, über den seit kurzem eine geleakte Polizeiakte kursiert, ist ebenso mehrfach und einschlägig vorbestraft wie Thorsten Heise, der auf Listenplatz 2 rangiert und von der NPD als Mitglied des Kreistages im Eichsfeld vorgestellt wird, wo er "als Einzelkämpfer die Interessen des Volkes wahrnimmt". Heises Vorstrafen wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruch, Nötigung oder Volksverhetzung sind aus NPD-Sicht offenbar weniger präsentabel.

Ein Wahlerfolg in Thüringen scheitert, wenn er denn scheitert, aber offensichtlich nicht an der kriminellen Vergangenheit des Spitzenpersonals oder den vielfältigen Kontakten zur Neonazi-Szene, auch nicht am Streit mit Helene Fischer, Wir sind Helden oder den Höhnern um die musikalische Umrahmung von Wahlkampfveranstaltungen - sondern an der neuen Konkurrenz.

Dem Versuch, den Parteiwechsel ehemaliger AfD-Mitglieder in Stimmen umzumünzen, dürfte kaum Erfolg beschieden sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die AfD der NPD einen beträchtlichen Teil der Protestwähler kostet, weil sie die krude Mischung aus rechtspopulistischen Inhalten und bürgerlichem Erscheinungsbild sehr viel überzeugender in Szene setzt. Dass 87 (mehr oder minder schlecht besuchte) Kundgebungen der Nationaldemokraten sowie Konzerte, Flugblätter, Plakate und Programme das Blatt wenden können, ist nicht unbedingt wahrscheinlich.

Wenn die NPD - wie vor kurzem in Sachsen und wie vor fünf Jahren in Thüringen - erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie trotz ihrer kommunalen Verankerung auf absehbare Zeit in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Was bringt das digitale Zeitalter?

Die Landtagswahl in Thüringen wird sicher noch nicht im Internet entschieden, aber die Parteien stellen sich nach und nach auf die Möglichkeiten neuer Techniken und Medien ein.

Die CDU geht mit dem "Club 2014" ins Rennen, einer App, die den Hausbesuch von 100.000 Thüringern koordinieren soll. Die Kandidaten sehen hier, an welchen Türen bereits geklingelt wurde und wie die potenziellen Unions-Wähler reagiert haben.

Bei allen Parteien spielen Videos und vor allem die sozialen Netzwerke eine wichtige Rolle. Sie nutzen Facebook, Twitter & Co. allerdings mit sehr unterschiedlichem Erfolg. So haben NDP (7.339) und AfD (4.080) mehr "Gefällt mir"-Angaben gesammelt als CDU (5.226), Linke (1.738), SPD (1.215), Grüne (568) und FDP (403) zusammen (Stand: 10. September 2014, 15.00 Uhr).