NS-Vergleiche in Zeiten von Corona

Dem Sänger Michael Wendler bescherte ein KZ-Vergleich einen Karriereknick. Auch die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz ist mit ihren Texten in die Kritik geraten. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied

Der Sänger Michael Wendler wird ab sofort nicht mehr als Juror in der RTL-Serie "Deutschland sucht den Superstar" mitwirken. Das gab der RTL-Programmchef Jörg Graf am Donnerstag bekannt. Das Zerwürfnis zwischen Sender und Sänger ist schon älter und entzündete sich vor Monaten daran, dass Wendler sich gegen die Corona-Maßnahmen aussprach und dabei teilweise Argumentationsmuster der irrationalen Querdenken-Bewegung übernahm.

So war bereits geklärt, dass Wendler in den aktuellen Folgen der Serie "Deutschland sucht den Superstar" keine Jurorenrolle mehr übernehmen werde. Doch RTL wolle die schon abgedrehten Serien mit Wendler senden und erklärte zunächst, dass die Kosten für eine Änderung zu groß seien. Doch innerhalb weniger Stunden entschied Graf, dass Wendler aus den schon gedrehten Folgen geschnitten werde, auch wenn dadurch Lücken entstehen. Ab 9. Januar sollen sie auf RTL zu sehen sein. In der Begründung heißt es:

Wir verurteilen jegliche Form von Antisemitismus, Rassismus sowie Diskriminierung auf das Schärfste. In Zeiten, in denen es darum geht, durch gesellschaftlichen Zusammenhalt, gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt gemeinsam eine schwere Krise zu bewältigen, wird RTL mit einer Unterhaltungsshow nicht die Bühne für Menschen sein, die ihrerseits Spaltung und Verharmlosung propagieren.

Jörg Graf, RTL

Viele Worthülsen, keine Erklärung

Hier sind in wenigen Sätzen so viele Worthülsen komprimiert zu finden, ohne dass auch nur einmal ausgeführt wird, was die denn mit dem Sänger zu tun haben. Der Grund der neuen Aufregung waren Telegram-Einträge von Michael Wendler, in denen er die Verschärfung der Lockdown-Maßnahmen als Einsperren von unschuldigen Menschen bezeichnete und das Ganze mit der rhetorischen Fragestellung "KZ Deutschland???" auf die Spitze trieb.

Der hessische CDU-Politiker und Antisemitismusbeauftragte des Landes Uwe Becker forderte daraufhin den Abbruch der Show:

Wer die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deutschland mit einem KZ gleichsetzt und damit die Schoah relativiert, der sollte nicht von Woche zu Woche einem Millionenpublikum als Juror vorgesetzt werden.

Hessens Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker

Tatsächlich ist Wendlers KZ-Vergleich dumm und absurd. Er gehört damit wie Attila Hildmann und andere zu wildgewordenen Kleinbürgern, die sich gleich im KZ wähnen, wenn sie mal staatliche Beschränkungen erfahren. Doch wäre es schon erklärungsbedürftig, warum mit dem KZ-Vergleich die Shoah relativiert wird. Richtig wäre die Kritik, dass Wendler mit dem Vergleich den NS-Terror relativiert.

In Konzentrationslagern wurden im NS-Regime Gegner jeglicher Couleur, von Zeugen-Jehova-Anhängern bis zu Kommunisten, deportiert. Davon zu unterscheiden sind die Vernichtungslager, in denen Jüdinnen und Juden gequält und ermordet wurden. Hier ist Becker vorzuwerfen, dass er diese Unterscheidung zwischen Konzentrations- und Vernichtungslager nivelliert. Doch der Unterschied ist gravierend. Konzentrationslager waren oft Orte der Qual und Tortur, aber die meisten Opfer überleben.

Anders ist es bei den Vernichtungslagern, die wie der Name schon deutlich macht, für die Jüdinnen und Juden die Ermordung bedeuteten. Es ist daher bemerkenswert, dass Becker den Vorwurf der Shoah-Relativierung erhebt. Eigentlich wurde bisher immer die Verunglimpfung der BRD angeführt, wenn die aktuelle Politik mit dem NS verglichen wurde. Daran haben sich in der Vergangenheit auch und vor allem Linke beteiligt, die damit deutlich machen wollten, dass sie in der BRD den Nachfolgestaat des Nationalsozialismus sahen.

So sprachen die Gegner der Notstandsgesetze in den 1960er Jahren von NS-Gesetzen. Das als Kritik an den Berufsverboten 1976 von dem linken Schriftsteller Alfred Andersch verfasste Gedicht Artikel 3(3) würde heute unter die Rubrik "Verharmlosung der Shoah" fallen, schreibt doch Andersch:

dreißig jahre später
gibt es wieder
sagen wir
zehntausend
die verhören
die neue gestapo

wehrt euch

In einer weiteren Strophe kommt er zu den Judensternen:

warum legen
der scheel
der schmidt
der willy brandt der genscher
der maihofer
nicht den judenstern an
wenn sie
beim frühstück lesen
daß man schon wieder
eine lehrerin
gefoltert hat
ah ich vergesse
daß sie eine solche meldung
mit der lupe
suchen müßte

und endet beim Gas:
die gesellschaft
ist wieder geteilt
in wächter
und bewachte

wie gehabt
ein geruch breitet sich aus
der geruch einer maschine
die gas erzeugt"

aus: artikel 3 (3) von Alfred Andersch

Doch der in den 1970er Jahre nicht unbekannte linkspolitisch engagierte Schriftsteller wurde von den unterschiedlichen Fraktionen der Linken vor 45 Jahren massiv verteidigt, als er von konservativen Politikern und Medien wegen der NS-Vergleiche in dem Gedicht massiv angegriffen wurde. Allerdings wurde ihm damals nicht vorgeworfen, die Shoah zu relativieren, sondern die BRD zu verunglimpfen.

Nun könnte man Wendlers irrationale Einträge durchaus mit den politisch fragwürdigen Strophen von Andersch' Gedicht vergleichen. Ist man heute schlauer? Wendler wird vorgeworfen, das größte deutsche Verbrechen relativiert zu haben. Das war 1976 noch nicht möglich, weil sich damals Deutschland noch nicht als Weltmeister der Aufarbeitung gerierte.

Das passierte erst, als die Tätergeneration nicht mehr im Berufsleben war, und bringt Deutschland heute den Mehrwert ein, als Relativierung der Shoah bezeichnen zu können, was damals Verunglimpfung des Staates hieß. Die gar nicht subtile Botschaft lautet, wer das wiedergutgemachte Deutschland angreift, relativiert die Shoah. Bei Wendler, der sich in den letzten Tagen auf Twitter auch für Trump und die US-Patrioten einsetzte, kann man nicht ausschließen, dass der Vorwurf tatsächlich stimmt.

Ist Marlene Steeruwitz Querdenkerin?

Doch wie schnell Künstlerinnen und Künstler, die sich künstlerisch mit dem Lockdown befassen, in Problemzonen der Kritik geraten, bekam in diesen Tagen auch die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz zu spüren. Sie hatte sich in den letzten Jahren einen Namen als engagierte Literatin gemacht, die sich für feministische Belange einsetzte und immer wieder ihre Stimme gegen die Regierungsbeteiligung der rechten FPÖ erhoben hat.

Trotzdem fragte Martin Zeyn in einem Kulturbeitrag des Bayerischen Rundfunks, ob Steeruwitz jetzt zur Querdenkerin geworden ist. Der Anlass für den Verdacht ist neben ihren neuesten Roman "So ist die Welt geworden", der sich mit dem Überleben in Corona-Zeiten befasst, ein Kommentar von Steeruwitz in der Wiener Zeitung Der Standard mit der Überschrift "Werden wir politisch".

"Massentest." Was für ein schreckliches Wort. Was für ein schreckliches, in die Geschichte zurückversetzendes Wort. Worte sind das, die die Personen voneinander trennen und dadurch entrechtet, in die Masse zurückwerfen können. Freitesten. Einschleppen. Impfzwang. Die uns Nächsten werden zu unseren größten Feinden erklärt, und militärische Metaphern invadieren unsere privatesten Räume. Die Terminologie des Hygienestaats führt zum Verlust der Grundrechte. Vorübergehend, heißt es. Aber das war genau das, was die Nürnberger Rassengesetze erzielten: der Entzug der Bürgerrechte.

Jetzt einmal werden hinter den Hygienemaßnahmen der österreichischen Regierung nur die Verschärfung der Studienbedingungen oder die Abschaffung der Autonomie der Universitäten herbei regiert. Eine neoliberale Regierung rechnet ja mit der Selbstzurichtung ihrer Regierten. Aber was haben wir noch zu erwarten. Die staatliche Übernahme unserer Körper im Impfzwang?

Marlene Streeruwitz, Der Standard

Nachdem sie ausführlich einen Corona-Test beschrieben und die Freiwilligkeit betont hat, kommt die Literatin auf die Notwendigkeit der Politisierung zunächst sehr allgemein zu sprechen. Die Impfsituation habe sie bestärkt, das Jahr nicht in Düsternis verbringen zu wollen und wacher zu werden. Im nächsten Abschnitt werden die Vorsätze explizit politisch. Streeruwitz bekundet, dass "Wir" den Staat in die Hand nehmen müssen.

Dabei wird das "Wir" allerdings nicht weiter ausgeführt, so dass es sich um die Forderung nach Räten ebenso handelt kann wie um eine Verfassungsgebende Versammlung oder irgendwelche Mitmachmodelle, wie sie aktuell auch in einigen Ländern wie Frankreich praktiziert werden. Am Schluss des Absatzes redet Streeruwitz dann von einer Revolution, die daran bestehe, jede Handlung politisch zu sehen und das zu vermitteln.

Eine Querrevolution 2020 - wer denkt da nicht an die Querdenker, fragt sich Martin Zeyn in seiner Kolumne. Dann beruhigt er sich allerdings mit dem Einwand, dass Streeruwitz ihre Querrevolutionäre ja Abstand halten lässt. Doch am Ende bleiben doch noch Zweifel.

Eher Verweis auf Queerfeminismus als auf Querdenker

Dabei wäre es doch bei einer Autorin mit der Vita von Streeruwitz zu fragen, ob sie mit ihren Verweisen auf die Querrevolution nicht eher an Queerfeminismus anknüpft, der damit gegen die binäre Geschlechterkonstruktion ankämpfte. Zumal sich auch die politischen Visionen der Literatin in diesen Kontext einordnen lässt.

Streeruwitz moniert, dass die Krise deutlich gemacht hat, wie viel "Autoritäres in unserem Land möglich ist", womit sie sich auf Österreich bezieht. Dieser Satz ist angesichts zweier Regierungen unter Beteiligung der FPÖ in den letzten 20 Jahren etwas irritierend. Zumindest Geflüchtete haben das Autoritäre im Land nicht erst in Corona-Zeiten mitbekommen. Das scheint die Autorin aber so zu sehen und wollte wohl ausdrücken, dass in Corona-Zeiten autoritäre Politik eben nicht mehr nur Minderheiten, sondern auch große Teile der Bevölkerung, die sonst vielleicht nicht so viel mitbekommen will, betrifft.

Daher bekundet Streeruwitz, Freundinnen in Flüchtlingsinitiativen unterstützen zu wollen und gegen die Asylgesetze, die Kindern Hilfe verweigert, ebenso aktiv werden zu wollen wie für den Erhalt der Hochschulautonomie und eine sozial gerechtere Bildungspolitik. Das klingt tatsächlich eher nach Queerfeminismus als nach Querdenken. Denn dabei handelt es sich eindeutig um linke sozial- und gesellschaftspolitische Vorstellungen, die die Beteiligung der vielen zum Ziel hat. Trotzdem bleiben nicht nur Martin Zeyn Zweifel, ob Streeruwitz etwa Querdenken-Vorstellungen verbreitet.

In einem Interview mit der Zeitschrift Profil hat die Schriftstellerin ihre Kritik an der technokratischen Virologen-Sprache noch einmal ohne NS-Verweise formuliert:

Massentests! Wenn ich das schon höre! Wir werden zu Vieh gemacht. Die Vorstellung vom Volk als Herde resultiert aus einem undemokratisch-katholischen Hirtengefühl, das mit heimtückischem Sendungsbewusstsein auf die Herde als formloses Wir schaut. Es gibt nur noch Militärisches, eine Kaskade von Befehlen, sonst nichts.

"Das Volk" ist aber ganz woanders. Wir sind alle hochindividualistisch. Wir leiten Yoga- und Fotostudios, pflegen Hobbys und Spezialinteressen. Wir sind alle umtriebig, in gewisser Weise mittelschichtig, gemütlich, demokratisch. Dem wird aber nicht Rechnung getragen, indem man die Vorstellung von der Herde einfach weiter über uns stülpt. Das ist paternalistisch und bevormundend.

Marlene Streeruwitz, Profil

Corona und die LTI-Sprache

Tatsächlich zeigt sich selbst bei einer profilierten Literatin wie Steeruwitz, wie schnell es geht, in das Lager der "Coronaleugner" einsortiert zu werden, nur wenn man kritische Fragen auch an die Begrifflichkeiten stellt, die eben durchaus im und vor dem Nationalsozialismus schon gebraucht werden. Dabei gibt es bereits seit Langem die Beschäftigung mit der LTI-Sprache, benannt nach den philologischen Beobachtungen von Viktor Klemperer.

Er befasste sich mit der Sprache des Nationalsozialismus, die oft nicht dort erfunden und auch nicht mit ihm verschwunden ist. Das macht der Autor Hans Otto Rößer am Beispiel der Diskussion über die "Triage" deutlich. In einem Beitrag für die Tageszeitung junge Welt zeigt er auf, wie dieser Begriff aus der Militärmedizin Einzug in die Alltagssprache hielt. Bis zum Beginn des Jahrtausends sei "Triage" kein Begriff der Alltagssprache und für die meisten Nichtmediziner unverständlich gewesen.

Das habe sich in den letzten Jahren, bereits vor Corona geändert, weil er nunmehr auch verstärkt in populären Alltagssendungen verwendet wurde. 2020 wurde "Triage" schließlich auf Platz 7 der Liste des Jahres 2020 durch die Gesellschaft für Deutsche Sprache gewählt. Rößer kritisiert, dass in Medien der Triage-Begriff auf die Priorisierung um die Festlegung von Behandlungsreihenfolgen verkürzt wurde.

Dabei trete gerade in den Hintergrund, dass es um Leben und Tod gehe, moniert Rößer. Natürlich ist die Sprache auch in Zeiten von Corona nicht losgelöst von Ort und Zeit. Marlene Streeruwitz hat in ihrem Roman und Kommentar darauf verwiesen. Das ist natürlich keine Entschuldigung dafür, dass sich radikalisierte Kleinbürger wie Hildmann und Wendler im KZ wähnen.