NSU-Aufklärung: BfV-Präsidenten als Scheinriesen
- NSU-Aufklärung: BfV-Präsidenten als Scheinriesen
- Braucht der Geheimdienst-Apparat Scheinriesen?
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Im Bundestagsuntersuchungsausschuss erlebt man Geheimdienstchefs ohne Wissen und Führungskraft - Soll das vielleicht sogar so sein?
Ganz oben und ziemlich unten. Zwei Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sowie ein V-Mann standen auf der Zeugenliste des NSU-Bundestagsausschusses bei der jüngsten Sitzung. Während Hans-Georg Maaßen und sein Vorgänger Heinz Fromm in öffentlicher Sitzung befragt wurden und sich dabei als Figuren ohne wirkliche Macht präsentierten, konnte man sich von ihrem früheren Zuträger Michael See alias "Tarif" keine eigenes Bild machen. Seine Vernehmung lief hinter verschlossenen Türen ab.
Immerhin war es eine Premiere: See ist der erste V-Mann überhaupt, den dieser Ausschuss vorgeladen hat. In den U-Ausschüssen von Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen dagegen sind mehrere V-Leute vernommen worden.
Michael See stand von 1994/1995 bis 2001 in Diensten des BfV. Er bewegte sich in der rechtsextremen Szene Thüringens und hatte Kontakt zum Thüringer Heimatschutz (THS). Unter Kontrolle des BfV gab er das Neonazi-Magazin "Sonnenbanner" heraus. Ob er das Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe persönlich kannte, ist unklar.
Von Bedeutung, aber umstritten, ist folgender Vorgang: Nach dem Untertauchen des Trios will See von dem Jenaer THS-Aktivisten André Kapke gefragt worden sein, ob er die drei verstecken könne. Das will er seinem V-Mann-Führer mitgeteilt haben, der ihn davon abgehalten haben soll. Das BfV bestreitet das. Kapke selber sagte vor dem Oberlandesgericht in München als Zeuge im Zschäpe-Prozess, er kenne See gar nicht.
Nach dem Auffliegen des NSU-Kerntrios im November 2011 war die "Tarif"-Akte eine derjenigen, die im BfV vernichtet wurden. Sie soll später in weiten Teilen rekonstruiert worden sein, aber eben nicht vollständig. Verdächtig ist vor allem, dass sich in den wiederhergestellten Aktenstücken so gut wie kein NSU-Bezug findet.
Auseinandersetzungen um den Auftritt
Jetzt kam See, der seit Jahren in Schweden lebt, nach Berlin. Um seinen Auftritt gab es im Vorfeld, wie am Sitzungstag, Auseinandersetzungen. Der frühere V-Mann hatte erklärt, in öffentlicher Sitzung befragt werden zu wollen. Das wollte der Ausschuss nicht. Dann hat See sein Interesse bekundet, nach seiner Vernehmung die Auftritte der beiden BfV-Präsidenten Fromm und Maaßen auf der Zuschauertribüne verfolgen zu dürfen.
Das wurde ihm mit der Begründung untersagt, er sei als Zeuge noch nicht entlassen. Da es sein könne, dass er noch einmal geladen werde, könne er an anderen Zeugenvernehmungen noch nicht teilnehmen. Für See bedeutete das eine Chancenungleichheit, denn das BfV konnte seinerseits anwesend sein, als er befragt wurde. Die Vertreter der Regierung und der Exekutive sitzen auch in den nicht-öffentlichen Sitzungen des Ausschusses.
Die Befragung von Michael See dauerte drei Stunden. Gegenüber Presse und Öffentlichkeit fassten die Obleute sie einheitlich so zusammen: Bei der Frage "Unterbringung der drei Untergetauchten" stehe Aussage gegen Aussage, Aussage See gegen Aussage BfV. Was stimme und was nicht, lasse sich nicht überprüfen, weil entscheidende Akten eben fehlten. Ausschussmitglied Irene Mihalic (Bündnisgrüne) sprach von einem "Großteil" der Akten, der nicht rekonstruierbar sei. Petra Pau (Linke) machte darauf aufmerksam, dass die wichtigen Deckblatt-Meldungen in den "Tarif"-Akten für die fraglichen Jahre 1998/99 komplett fehlten.
Zur Frage "NSU-Bezug" soll See selber erklärt haben, mit dem Trio nie befasst gewesen zu ein. Das passt jedoch nicht ganz damit zusammen, dass Kapke ihn nach einem Versteck für die drei gefragt haben soll. Möglicherweise sagt See hier nicht die volle Wahrheit, schließlich könnte er sich auch belasten. Und vielleicht muss man den Kreis um den Komplex, der sich hinter der Chiffre "NSU" verbirgt sowieso weiter ziehen, als nur um das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe.
Die Abgeordneten bescheinigten See jedenfalls, "glaubhaft", "authentisch" und "konstruktiv" gewesen zu sein.
Nicht gefunden, weil nicht gesucht
Für die Antworten auf die vielen Fragen zuständig sind Heinz Fromm, BfV-Chef von 2000 bis 2012 sowie sein Nachfolger Hans-Georg Maaßen, der seit August 2012 dem Amt vorsteht. Der erste steht für die erfolglose Suche nach dem Trio - der zweite für die fortgesetzte Vertuschung der Gründe, warum das Trio nicht gefunden wurde. Doch beide wollten oder/und konnten die Antworten in weitem Maße nicht geben.
Ob er heute eine Erklärung habe, wollte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) von Fromm wissen, warum es trotz der vielen V-Leute nicht gelungen sei, nicht einmal den Aufenthaltsort von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe herauszufinden. Er habe keine Erklärung, antwortete Fromm. Dem Ausschuss sei unklar, fuhr Binninger fort, wie die V-Leute eingesetzt wurden.
In den Akten hätten sie nichts darüber gefunden, dass die Quellen überhaupt nach dem Trio befragt worden seien und auch nichts, dass Meldungen ausgewertet wurden. "Ich habe ja keine V-Leute geführt und auch keine gekannt", versuchte Fromm zunächst auszuweichen.
Doch dann gab er eine Auskunft, die man in dieser Deutlichkeit bisher nicht kannte. Da man nicht gewusst habe, dass die Ceska-Morde aus dem Rechtsextremismus heraus geschahen, so der ehemalige Geheimdienstchef, habe man die Quellen im Bereich Rechtsextremismus auch nicht befragt.
Im Klartext: Nicht gefunden, weil nicht gesucht. Doch der Widerspruch setzte sich nach 2011 fort: Warum wurden im Bundesamt nun ausgerechnet Akten von Quellen im Bereich Rechtsextremismus gelöscht? Und zwar, wie man inzwischen weiß: vorsätzlich. Dem BfV sollten unangenehme Nachfragen erspart werden, warum der Dienst trotz seiner vielen V-Leute dem Terrortrio nicht auf die Fährte gekommen sein will. Wieder gab sich der damalige Präsident des Amtes ahnungslos: Das habe er auch nur der Presse entnommen, er wisse nicht, ob es so war. Und auf die Frage, ob er ausschließen könne, dass Vorgesetzte in die Aktenvernichtung einbezogen waren, antwortete er: Ausschließen könne er gar nichts.