NSU-Aufklärung und Zensurversuche

Seite 2: Weitere mysteriöse, vom Ausschuss nicht untersuchte Todesfälle

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wiederholt hat der Ausschussvorsitzende Drexler im Laufe der letzten zwei Jahre die Öffentlichkeit mit unwahren Angaben getäuscht. Auch in seinem aktuellen Schreiben über die Kiesewetter-Doku tut er das wieder. Dabei geht es um verschiedene Todesfälle im weiteren Zusammenhang mit dem NSU-Komplex seit 2013, verbunden mit den Namen Florian H., Melisa M. und Sascha W. Sie seien "mit größtmöglichem Aufwand aufgeklärt" worden, so dass "der Verdacht von Fremdverschulden jeweils plausibel ausgeräumt werden konnte", behauptet Drexler, wissend, dass das nicht stimmt.

Die Untersuchung des Todesfalles Florian H. hat der Ausschuss mittendrin abgebrochen und nicht zu Ende geführt. Anlass war die Weigerung der Familie H., dem Ausschuss verschiedene Geräte zu übergeben, weil sie das Vertrauen in die Abgeordneten verloren hatte. Drexler ließ eine Hausdurchsuchung bei den H.s durchführen, die erfolglos blieb, um anschließend die Nachforschungen zum Tod von Florian demonstrativ einzustellen. Ob Suizid oder Mord ist nicht restlos geklärt. Die Staatsanwaltschaft spricht von Suizid, doch ein Gutachter stellte fest, dass der Tote einen tödlichen Medikamentenmix intus hatte und handlungsunfähig war, als der Wagen explodierte, in dem er verbrannte.

Dann kam Florians Ex-Freundin Melisa M. ums Leben. Sie starb an einer Lungenembolie. Wie aber das Blutgerinnsel zustande kam, das die Lungenembolie ausgelöst hat, können die Gerichtsmediziner nicht sagen. Der Ausschuss hat sich mit diesem Todesfall überhaupt nicht beschäftigt. Drexler hat das damit begründet, dass das nicht durch den Untersuchungsauftrag gedeckt sei. Nach seiner Logik hätte man bei der Beschlussfassung des U-Auftrages ja geradezu davon ausgehen müssen, dass eine Zeugin stirbt, um ihren Tod untersuchen zu können.

Als drittes starb der neue Freund von Melisa, Sascha W. Er soll sich erhängt haben. Aber er war in einer neuen Beziehung und seine Frau erwartete ein Kind. Auch diesen Todesfall hat der Ausschuss nicht untersucht.

Jetzt hat ein Nachbar, der beide - Melisa und Sascha - gut kannte, berichtet, dass Melisa nach ihrer Vernehmung im Ausschuss Bedrohungen per SMS erhalten habe. Und wieder: Statt sich für diesen Zeugen zu interessieren, werden die Todesfälle einfach als "aufgeklärt" und ausgeräumt" bezeichnet. Tatsächlich will dieser Ausschuss nicht aufklären, sondern lediglich so tun als ob.

"Merkwürdige Auffassung von Medien und der Rolle von Journalisten"

Drexler will, dass die TV-Dokumentation nicht mehr gezeigt wird. So wie es vor zwei Jahren schon einmal einer anderen 45-Minuten-Dokumentation über den NSU erging, ebenfalls von Clemens und Katja Riha, Titel: "NSU - Kampf um die Wahrheit". Auch damals kam Drexler in dem Film vor. Nach der Ausstrahlung beschwerte er sich beim Intendanten des ZDF. Kurz danach hat der Sender den Film aus dem Programm genommen. Er wurde nie wieder ausgestrahlt.

Und Drexler scheint stolz darauf zu sein. Der Intendant (Thomas Bellut) habe ihm mitgeteilt, schreibt Drexler den Rihas, dass "der Beitrag für weitere Ausstrahlungen und bei "youtube" gesperrt und aus den Mediatheken herausgenommen wurde". Nun, auf YouTube ist er freilich zu sehen (z.B. hier).

Wie damals wandte sich Drexler auch jetzt mit seiner Kritik nicht etwa an die zuständigen Redaktionen, sondern er ging direkt in der Hierarchie nach ganz oben.

Eigentlich könnte man dankbar sein, wenn jemand, der Zensur einfordert, sich dazu bekennt. Dann weiß man, woran man ist und kann Konsequenzen ziehen - oder verlangen. Nicht so hier. Keine sehr ruhmvolle Rolle spielt zum Beispiel der SWR, der die Dokumentation mit produziert hat. Kurz vor Ausstrahlung im Dritten am 26. April um 20.15 Uhr hat sie der Sender selber aus dem Programm genommen und sich davon distanziert.

Nachfragende Journalisten und Zuschauer bekamen ungefähr so viele verschiedene Antworten, wie es der Zahl der Fragesteller entsprach. Weil wenige Tage vor Ausstrahlung Berichte über die Entdeckung eines "NSU"-Schriftzuges am Tatort in Heilbronn kursierten, habe man vermeiden wollen, dass der Film als überholt erschien und ihn deshalb abgesetzt, hieß es einmal. Ein anderer Zuschauer erhielt die Antwort: "Wir waren froh, dass wir es mit dem Film in die ARD geschafft haben, wo er auch ein größeres Publikum erreicht hat. Und das mit Erfolg." Einer Zuschauerin wurde geschrieben: "Nach Fertigstellung der Produktion haben sich neuen Erkenntnisse ergeben und deshalb haben wir uns entschieden, die Sendung nicht auszustrahlen."

Jetzt wird sie es doch. Sie wurde für Mittwoch, 17. Mai, 23.30 Uhr, kurzfristig ins Programm des SWR-Dritten genommen. Zur Zeit bekommen Journalisten die Antwort, "einige Wochen vor dem geplanten Termin" sei deutlich geworden, dass der Film "nicht ins Formatschema von 'betrifft' um 20.15 Uhr passen" würde, so dass erst ein "neuer Sendetermin gesucht werden musste". Der RBB zeigt den Film übrigens am 23. Mai um 22.45 Uhr.

Wie es aussieht, war Zensor Drexler mit seiner Initiative doch nicht erfolgreich. Dennoch ist der gesamte Vorgang höchst bedenklich. Er stellt auch ein Misstrauensvotum gegenüber Redaktionen dar, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, kritischen Journalismus zu verantworten.

Wer aber meint, das Publikum spüre nicht, wenn mit Spielchen und Tricksereien operiert wird, unterschätzt es gewaltig. Politiker vom Schlage Drexlers und manche ARD-Verantwortliche liefern so die Munition für diejenigen, die die öffentlich-rechtlichen Medien lieber heute als morgen abschaffen würden. Das schreibe ich auch als jemand, der seit fast 30 Jahren als Autor und freier Mitarbeiter mit den verschiedenen ARD-Anstalten verbunden ist, deren öffentlich-rechtliche Verfasstheit verteidigt und zum zehnten Jahrestag des Kiesewetter-Mordes selber zwei Radio-Dokumentationen beim WDR und RBB veröffentlicht hat.

Die Filmemacher Clemens und Katja Riha empfinden es als "skandalös", wie Wolfgang Drexler gegen Journalisten vorgehe. Das offenbare eine "merkwürdige Auffassung von Medien und der Rolle von Journalisten". "Pikant" sei zudem, dass Drexler als Verwaltungsrat selbst Mitglied des SWR sei, der den Film mit produziert hat. Das zeige, dass es eine "Vermischung von Interessen gibt, auch politischen".

Anscheinend gibt es akzeptierte Lügen und nicht akzeptierte. Als ein Grüner Landtagsabgeordneter in der kurzzeitigen Enquêtekommission von Baden-Württemberg erwischt wurde, die Unwahrheit gesagt zu haben, nutzte das die CDU-Fraktion, um die Zusammenarbeit mit dem kritischen und NSU-kundigen MdL aufzukündigen und die Enquête platzen zu lassen. Dass in der Folge der Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, konnte diese Fraktion damals nicht überschauen. Es war eine Ironie der Geschichte, denn auch die CDU hatte kein Interesse an einem solchen Ausschuss.

Die fortgesetzten Unwahrheiten selbst eines Ausschuss-Vorsitzenden aber bleiben bis heute folgenlos. Sie werden akzeptiert, weil sonst auch dieses Gremium platzen müsste. Damit ginge aber ein noch größeres politisches Desaster einher, weil der Verlust der Kontrolle über die NSU-Aufklärung drohen würde.

3