NSU-Prozess: Gericht will zweiter Waffenspur nicht nachgehen

Eine Česká CZ 83, Kaliber 7,65 mm Browning. Bild: Jan Hrdonka/gemeinfrei

Anträge der Verteidigung des Angeklagten Wohlleben abgelehnt - Plädoyers verzögern sich erneut

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Eigentlich sah der Fahrplan des Gerichtes vor, dass am 13. März die Verteidigung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe mit ihren Plädoyers beginnt. Daraus wurde zunächst nichts. Stattdessen beschäftigte die Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht (OLG) München erneut die Waffenfrage des NSU-Trios, beeinflusst auch durch die jüngste Sitzung des Untersuchungsausschusses von Baden-Württemberg. Doch der Staatsschutzsenat unter Vorsitz Manfred Götzls machte deutlich, dass er für geklärt hält, auf welchem Wege die Mordwaffe Ceska 83 in die Hände der mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gelangte. Alles andere ist für das Gericht ohne Relevanz. Es demonstrierte, dass es entschlossen zur Anklage der Bundesanwaltschaft steht.

Die Wohlleben-Verteidigung kündigte daraufhin an, am Mittwoch den gesamten Senat ablehnen zu wollen. Die Sitzung wurde unterbrochen. Die Plädoyers der Zschäpe-Verteidigung werden frühestens kommende Woche beginnen.

So einfach, wie es sich das Gericht mit der Verwerfung der zweiten Waffenspur macht, ist es möglicherweise nicht. Schwachpunkt ist vor allem die ungeklärte Herkunft von insgesamt 17 der 20 beim NSU-Trio aufgefundenen Schusswaffen. Das könnte die exklusive Drei-Täter-Theorie der Bundesanwaltschaft erschüttern und erklären, warum die Waffenfrage eben nicht abschließend ermittelt wird.

Mit der Ceska 83 samt Schalldämpfer wurden zwischen September 2000 und April 2006 neun türkisch- und griechischstämmige Männer erschossen. Laut Anklage durch Böhnhardt und Mundlos. Zusätzlich wird dem Duo der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und der Mordversuch an ihrem Kollegen Martin Arnold angelastet. Auf die beiden Beamten wurde mit einer polnischen Radom- und einer russischen Tokarev-Pistole gefeuert. Wo diese beiden Waffen herstammten, weiß man nicht. Für Anklage und Gericht haben sie keine Relevanz, da es dazu keine Angeklagten gibt.

Die Mord-Ceska sollen Ralf Wohlleben und Carsten Schultze beschafft haben. Schultze hat die Waffenbeschaffung gestanden, kann aber nicht mehr zweifelsfrei sagen, dass es sich um die Ceska 83 gehandelt hat. Wohlleben hat gestanden, eine Pistole in der Hand gehabt und einen Schalldämpfer aufgeschraubt zu haben. Es soll sich aber nicht um die Mordwaffe gehandelt haben.

Nach über zwei Jahren des Schweigens vor Gericht hatte Wohlleben, wie Beate Zschäpe, im Dezember 2015 sowie im Januar 2016 Aussagen vor dem Gericht gemacht und Fragen beantwortet. Er hat damals aber nicht vorgetragen, was seine Anwälte nun seit Anfang 2018 geltend machen - nicht nur zwei Jahre später, sondern auch ein halbes Jahr nach Ende der Beweisaufnahme und dem Beginn der Plädoyers: Die fragliche Ceska-Waffe sei über die Personen Jug Puskaric und Sven Rosemann an das Trio gegangen und eben nicht über Wohlleben. Auch Jürgen L. soll von Rosemann einmal eine Waffe bekommen haben. Puskaric, Rosemann und L. gehörten, wie Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz.

Das Gericht hatte einen ersten Wohlleben-Antrag bereits im Januar 2018 abgelehnt. Allerdings nicht mit der formalen Begründung, die Beweisaufnahme sei abgeschlossen, sondern mit der "Tatsache", es stehe fest, dass Wohlleben an der Waffenbeschaffung beteiligt gewesen sei. Es komme also nicht darauf an, ob möglicherweise eine zweite Ceska neben der Mord-Ceska an das Trio ging. Dass keine zweite Ceska beim Trio gefunden wurde, bedeute nichts, möglicherweise hätten die drei Waffen auch mal weggeben.

Eine fragile Argumentation, weil in ihrer Logik ja auch die Tat-Ceska mal weggegeben worden sein könnte.

Wie es aussieht, gab es eine zweite Lieferkette von Waffen

In dieser Grauzone der Beweiserhebung kam es nun am 5. März 2018 vor dem Untersuchungsausschuss (UA) des Landtags von Baden-Württemberg zu einer Befragung des Zeugen Jug Puskaric. Sven Rosemann, der ebenfalls geladen war, hatte sich krank gemeldet (NSU-Ausschuss: Zeuge gesteht Waffenbeschaffung).

Puskaric bestätigte, an Rosemann drei Schusswaffen geliefert zu haben. Er schloss aber aus, dass sie in der Schweiz beschafft wurden und dass eine Ceska darunter gewesen sei. Warum?, fragte man sich als Beobachter, denn nach seinen eigenen Angaben hätte er das gar nicht wissen können. Er gab vor, nicht in die Tasche mit den drei Waffen geschaut zu haben. Viele Detailfragen wollte Puskaric gegenüber den Abgeordneten nicht beantworten, unter anderem, um sich nicht zu belasten. Zugleich erklärte er, bei der Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft unter Druck gesetzt worden zu sein. Unter anderem sei ihm angedroht worden, er werde strafverfolgt, wenn er Personen falsch bezichtige.

Auf diese Vernehmung im BaWü-Ausschuss vom 5. März gründete die Wohlleben-Verteidigung nun eine Art Update ihres Antrages vom Januar. Sie wollte die Beiziehung des UA-Protokolls sowie des Protokolls der Vernehmung Pukarics durch das Bundeskriminalamt (BKA), die den Ausschussmitgliedern offensichtlich vorlag. Kein Beweisantrag, sondern ein Beweisermittlungsantrag.

Dennoch: Wie es aussieht, gab es eine zweite Lieferkette von Waffen, die zudem den obersten Ermittlungsbehörden seit langem bekannt sein muss. Auffällig ist, dass die Bundesanwaltschaft sich dazu nicht nur nicht äußert, sondern sogar den Eindruck erweckt, es handle sich um eine mutwillige Behauptung. In ihrer Entgegnung auf den ersten Wohlleben-Antrag von Ende Februar 2018 wird Oberstaatsanwältin Annett Greger von den Prozessbeobachtern NSU Watch so zitiert: "Das neue Konstrukt wurde offensichtlich schlichtweg erfunden." Es sei eventuell gar "ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Verteidigung".

Warum die Wohlleben-Verteidigung in ihren Antrag nun allerdings angebliche Sachverhalte packte, die ihn angreifbar machen, kann nur sie beantworten. Es bestehe der Verdacht, Puskaric habe als V-Mann eine Ceska in der Schweiz besorgt, so Rechtsanwältin Nicole Schneiders, die den Antrag vortrug. Dann erwähnte sie noch den Zeugen Michael H., der angeblich am 5. März in Stuttgart ebenfalls Aussagen zu der Waffenbeschaffung gemacht haben soll. Michael H. war vor einer Woche aber gar nicht als Zeuge geladen. Seine Aussage entspringt einer Vernehmung vom März 2012. So lange wissen die NSU-Ermittler bereits von der Waffenspur.

Botschaft des Gerichts: Mit dem lästigen NSU-Thema müsse endlich Schluss sein

Für die Bundesanwaltschaft entgegnete erneut Annett Greger dem Antrag, er sei abzulehnen. Die Angeklagten Schultze und Wohlleben hätten die Ceska 83 beschafft. Kurioserweise sprach auch sie davon, dass der Zeuge Michael H. vor dem BaWü-Ausschuss aufgetreten sei, aber sowohl er als auch Jug P. hätten keine verfahrensrelevanten Aussagen gemacht.

Nur von der Fülle der Details überfordert? Oder Ausdruck dessen, wie Wahrheit und Dichtung bei der federführenden NSU-Ermittlungsbehörde inzwischen verschwimmen? Es war ein Anwalt der Nebenklage, der klarstellte, dass der Zeuge Michael H. nicht etwa am 5. März in Stuttgart vernommen worden war, sondern dass aus seiner Vernehmung zitiert wurde.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl war auf den neuerlichen Antrag der Wohlleben-Verteidigung vorbereitet und brauchte nur 25 Minuten Beratungspause, um ihn zusammen mit dem ähnlich gelagerten Antrag, Sven Rosemann als Zeugen zu hören, abzulehnen. Für die Schuldfrage der Angeklagten seien sie ohne Bedeutung, das Gericht sei nicht zu ausufernder Aufklärung verpflichtet, im Übrigen decke sich seine Aufklärungspflicht mit der Anklage, und die Anträge seien mit einer Verschleppungsabsicht gestellt worden.

Dann zählte Götzl aber noch mehrere Einwände auf, die gegen eine Vernehmung von Rosemann sprächen: So habe der als Zeuge vor Gericht erklärt, er habe seit dem Untertauchen des Trios im Januar 1998 keinen Kontakt mehr zu den dreien gehabt. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass Rosemann die Unwahrheit sagte. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass er Waffen in der Schweiz bestellt habe und dass er Umgang mit der Tat-Ceska 83 hatte. Schließlich erwähnte Götzl noch, dass auch der entfernte Wohnort Rudolstadt gegen eine kurzfristige Ladung Rosemanns sprechen würde. Außerdem würde seine Vernehmung sehr zeitaufwendig werden und die Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit verzögern.

Das kann man auch als Statement des Gerichtes werten, sich auf die Seite der Anklage zu stellen - demonstrativ. Es kam aber noch dicker. Götzl zog auch die Existenz des BKA-Vernehmungsprotokolls von Jug P. in Zweifel. Immerhin ein Dokument, das ein Untersuchungsausschuss bei seiner Arbeit verwendete. Es existierten keine Hinweise, so Götzl, dass das angesprochene Protokoll tatsächlich existiere. Und auch, dass das Landeskriminalamt (LKA) von Baden-Württemberg Vernehmungen für das BKA durchführte, sei eine nicht durch Tatsachen gestützte Vermutung der Antragsteller, so Götzl.

Ausführungen, die nicht nur wie eine Vorentscheidung des Gerichtes verstanden werden können, sondern die auch das doppelbödige und manipulative Verhalten der Bundesanwaltschaft bei den gesamten NSU-Ermittlungen legitimieren. Ein Schulterschluss einer staatlichen Gewalt mit einer anderen und der Botschaft: Mit dem lästigen NSU-Thema müsse endlich Schluss sein.

Die Wohlleben-Verteidigung kündigte für heute ein Ablehnungsgesuch gegen sämtliche Senatsmitglieder an. Die Alt-Verteidiger von Zschäpe schlossen sich an. Die Neu-Verteidiger äußerten sich nicht.

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