NSU-Prozess: Zschäpe gesteht zum zweiten Mal ihre Mitschuld

Seite 2: Schwache oder starke Person?

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Im Verlaufe des Prozesses ist ein entgegengesetztes Bild von ihr entstanden, nach dem sie "die Jungs im Griff" hatte. Der vom Gericht bestellte Gutachter Henning Saß sieht sie ebenfalls nicht als schwache, sondern als eine starke und selbstbewusste Person und hält sie für voll schuldfähig. Hinweise auf eine krankhafte psychische Störung sieht er nicht.

Saß konnte Zschäpe allerdings nur im Gerichtssaal beobachten und nicht mit ihr sprechen. Sie verweigerte sich solchen Gesprächen. Deshalb haben die Alt-Verteidiger Heer, Stahl und Sturm einen eigenen Experten in Stellung gebracht, Pedro Faustmann, der das Gutachten und das Vorgehen von Saß methodenkritisch in Frage stellen soll. Auch Faustmanns Zeugenvernehmung ist noch nicht beendet.

Joachim Bauer ist der dritte in diesem Gutachterkampf. Weil er aber überhaupt der einzige ist, der - von ihren Verteidigern abgesehen - mit Zschäpe sprechen konnte, war sein Zeugnis von besonderem Interesse.

Umso enttäuschender ist es. Zschäpes Auskünfte zu den Taten sind noch dürftiger als in ihrer Einlassung von 2015. Bauer hatte, wie er selbst sagte, aufgrund des begrenzten Zeitbudgets seiner Gespräche mit Zschäpe nicht einmal auf alle Taten eingehen können. Das, was er hörte, wich nicht von dem bisher Bekannten ab. Der Anschlag auf die Polizisten Michèle Kiesewetter und Martin Arnold in Heilbronn im April 2007 soll geschehen sein, weil es den Uwes um die Waffen gegangen sei. Vom Tod ihrer Komplizen am 4. November 2011 in Eisenach habe sie aus dem Radio erfahren.

Joachim Bauer musste das alles unkritisch hinnehmen. Er ist zu wenig sachkundig, um die Angaben seiner Explorationsperson hinterfragen zu können. Zum NSU hat er bisher nicht publiziert. Die Entwicklungen kennt er nur aus den Medien. Die Beweisaufnahme im Prozess in München hat er nicht direkt verfolgt.

Manipuliert und um den Finger gewickelt?

Bauer wurde von Zschäpe manipuliert und um den Finger gewickelt, äußerten Opferanwälte hinterher dazu. Dass der Psychiater Täuschungsabsichten auf Seiten der Angeklagten verneinte, kann einerseits nicht verwundern, weil er sonst seine eigene Arbeit in Frage stellen müsste. Andererseits wird sie es aber genau dadurch, wenn er Zschäpe als "in hohem Maße glaubwürdig" bezeichnet.

Bauer sind nicht einmal die inneren Widersprüche aufgefallen, die sich durch Zschäpes Auskünfte ziehen.

Krankhaft abhängig von Böhnhardt und Mundlos? Es gab in ihrem Leben durchaus andere Beziehungskonstellationen als nur die Dreier-Gruppe. Beispielsweise war sie nach der Trennung von Böhnhardt mit dem einflussreichen Blood-and-Honour-Aktivisten Thomas Starke aus Chemnitz zusammen, der im November 2000 eine V-Person der Berliner Polizei wurde.

Einem Selbstauftreten im Prozess nicht gewachsen? Warum beantwortet sie dann nicht einmal schriftlich Fragen der Opferfamilien und ihrer Anwälte?

Von der rechten Szene Abstand genommen? Warum lässt sie sich dann von einem Neonazi im Knast finanzieren? Und warum führt sie mit dem Neonazi Robin Sch. einen empathischen Briefverkehr?

Am NSU-Komplex gescheitert

Bemerkenswert waren dann noch zwei Sachauskünfte. Warum sie nur die Hälfte der Bekenner- oder Propaganda-DVD mit den Taten verschickt habe, wollte Bauer von ihr wissen. Zschäpes Antwort sei gewesen: Das habe sie sich auch gefragt, sie habe keine Erklärung dafür. Auch das erscheint merkwürdig. Sie nutzt die bisher nicht restlos geklärten Umstände der DVD-Verschickung nicht zu ihrer eigenen Entlastung.

Zweitens habe sie laut Bauer berichtet, dass Uwe Mundlos "zeitweise" aus der gemeinsamen Wohnung "ausgezogen" und bei Thomas Ro. "untergeschlüpft" sei. Das nun ist neu. Bekannt war bisher, dass das Trio nach seiner Flucht von Jena nach Chemnitz im Januar 1998 etwa zwei Wochen bei Thomas Ro. untergekommen war. Danach bezogen sie verschiedene eigene Wohnungen.

Diese Angabe könnte Folgen haben. Einerseits hätte Ro. bei seiner Zeugenvernehmung vor dem OLG falsch ausgesagt. Und andererseits müsste er erneut kriminalpolizeilich vernommen werden. Hat Mundlos bei ihm gewohnt? Wann, wie lang und was hat Ro. von ihm mitbekommen?

Bauer hat für seine Begutachtung unter anderem das polizeiliche Vernehmungsprotokoll von Zschäpes Mutter, Annerose Zschäpe, verwandt. Das sagte er zu Beginn seiner Ausführungen. Als er nach etwa drei Stunden geendet hatte, konfrontierte ihn der Vorsitzende Richter Manfred Götzl damit, dass Zschäpes Mutter von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte und auch die polizeiliche Vernehmung einem Verwendungsverbot unterliege. Das habe er nicht gewusst, gestand Bauer. Dann erklärte er noch, er sei dankbar, die Vernehmung gehabt zu haben, weil es sich um eine wichtige Aussage handele.

Damit hat der Senat alle Trümpfe in der Hand: Er kann Bauers Gutachten für ungültig erklären, weil wesentliche Teile nicht gerichtsverwertbar sind. Und er kann sich nach Belieben daraus bedienen.

Joachim Bauer ist am NSU-Komplex gescheitert. Vielleicht war er zu naiv, vielleicht hat er sich selbst überschätzt. Seiner Reputation als kritischer Wissenschaftler hat er damit keinen Gefallen getan. (In seinem Buch "Schmerzgrenze" beispielsweise zeigt er überzeugend auf, dass menschliche Aggressionen soziale Ursachen haben und verschiebt den Diskurs weg vom Biologischen hin zum Sozialen.)

Wer eine verminderte Schuldfähigkeit reklamiert, räumt eine Schuld ein

Beate Zschäpes Lage allerdings wird immer aussichtloser. Wer eine verminderte Schuldfähigkeit reklamiert, räumt eine Schuld ein. Das hat die Angeklagte nun zum wiederholten Male getan. Doch wenn ihr der Gutachter Bauer nun sogar bescheinigt, "die Unmenschlichkeit des Handelns [Anmerkung: des Mordens] sei ihr nicht nur abstrakt bewusst" gewesen, sondern sie habe es "verurteilt", wird ihr Geständnis, da sie nichts gegen das Morden unternahm, nur noch gravierender.

Zschäpe gleicht einer im Sumpf untergehenden Person: Je mehr sie sich bewegt, desto tiefer versinkt sie. Ein Anwalt der Nebenklage wählte dieses Bild: Sie schaufele sich ihr eigenes Grab. Warum sie sich derart selbstzerstörerisch verhält, kann nur sie beantworten. Wenn sie schon sich selber nicht schützt, wen oder was dann?

Nach Bauers Vortrag setzte der Vorsitzende Richter gleich die folgenden vier Sitzungstage ab. Bauer soll am 18. Mai von den Prozessparteien befragt werden. Am 17. Mai will der Senat die letzten Beweisanträge entgegennehmen.

Der Prozess wird am 6. Mai vier Jahre alt.

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