Na Mahlzeit!
Tiermehl im Futtertrog?
Umgepacktes Fleisch in den Regalen einer großen Lebensmittelkette, Wasser im Schinken und unhaltbare hygienische Verhältnisse in deutschen Schlachthöfen. Die Lebensmittelbranche und insbesondere die Fleischindustrie sorgt nicht nur mit Lohndumping bei ihren Mitarbeitern immer wieder für Schlagzeilen.
Auch die BSE-Gefahr ist weder gebannt – noch sind die Ursachen ausreichend erforscht (Prionen auch in Niere, Bauchspeicheldrüse und Leber). Trotzdem scharrt die Branche bereits mit den Hufen und versucht die EU-Beschlüsse aufzuweichen. Im Bundestag erhält sie dabei Schützenhilfe seitens der CDU/CSU und FDP.
Tiermehl wieder als Tierfutter?
In deutschen Tierkörperbeseitigungsanlagen werden jedes Jahr über eine Million Tonnen an Tiermehlen, Fleischknochenmehlen, Tierfetten, Blutmehlen hergestellt. Hinzu kommen Produkte wie Federnmehl aus der Geflügelhaltung oder Griebenmehl aus so genannten Fettschmelzen.
Die umfangreiche intensive Nutztierhaltung bedeutet nach Ansicht von Foodwatch neben großen Mengen an billigen Fleisch- und Wurstwaren eben auch: Ein Drittel jedes Schlachttieres landet im Abfall, insgesamt zweieinhalb Millionen Tonnen jährlich.
Den Berechnungen von Foodwatch zufolge fallen allein bei Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung in Deutschland jedes Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen Schlachtnebenprodukte an. Hinzu kommen rund 400.000 Tonnen an Tierkörpern. Das sind krank geschlachtete oder verendete Tiere aus der Landwirtschaft, aber auch aus der Heimtierhaltung, Zoos und Zirkussen.
Als Antwort auf die BSE-Fälle gelten derzeit europaweit drei gesetzlich festgelegte (Risiko)-Kategorien von Tiermehlen, Kategorie 1 steht für besonders riskantes Material, die Kategorie 2 und 3 für weniger gefährliche Produkte. Keine der drei Kategorien dürfen an Schlachtvieh verfüttert werden. Allerdings darf Material der Kategorie 3 als Dünger ausgebracht werden und die ebenfalls aus tierischen Abfällen gewonnenen Tierfette dürfen in vielen EU-Ländern weiterhin legal verfüttert werden.
124.000 Tonnen Tiermehl verschwunden?
Im Oktober 2004 wies die Foodwatch in einer Studie nach, dass der Verbleib von 124.000 Tonnen Tiermehl im Jahr 2003 von den zuständigen Behörden nicht erklärt werden kann. Unklar ist bisher, ob das Zeug illegal verfüttert wurde, oder ob es nur um einen Fehler in der Statistik handelt.
Keine von Foodwatch befragte Behörde in der Bundesrepublik Deutschland sah sich im Stande, den Verbleib dieser Ware zu erklären.
Foodwatch
So ergibt sich allein schon aus den Einfuhren aus Dänemark ein statistischer Fehlbestand von 77.000 Tonnen. Nach Angaben des Dänischen Amtes für Statistik wurden 79.031 Tonnen nach Deutschland verbracht. In der bundesdeutschen Einfuhrstatistik tauchen jedoch nur 2.178 Tonnen Tiermehl aus Dänemark auf. Mögliche Erklärungsversuche: Es handelte sich um viele Kleinimporte, die nicht der Meldepflicht unterlagen, oder die Empfänger sind ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen. Auf Fragen von Telepolis verweist das zuständige Bundesverbraucherministerium auf Angaben der Länder, die keinen Fehlbestand festgestellt hätten.
Dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) lagen und liegen keine Hinweise auf eine unerlaubte Verwendung von Tiermehl als Futtermittel vor. Unmittelbar nach Bekannt werden des Foodwatch-Artikels hat BMVEL die für das Veterinärwesen zuständigen obersten Landesbehörden um Stellungnahmen gebeten. Aus den Stellungnahmen ergibt sich, dass zwischen den zuständigen Veterinärbehörden am Abgangsort und am Bestimmungsort Informationen über die Menge des angelieferten und des entsorgten Tiermehls ausgetauscht werden, d. h. eine lückenlose Dokumentation liegt vor. Aus den Stellungnahmen ergibt sich ebenfalls, dass den Ländern keine Hinweise auf eine illegale Verfütterung vorliegen.
BMVEL
Diese Auskunft ist umso erstaunlicher, als auch das Statistische Bundesamt gegenüber der Foodwatch bezogen auf die ungeklärten 124.000 Tonnen erklärte:
Diese Schätzung ist für uns nachvollziehbar
Allerdings weisen die Statistiker darauf hin, dass für einen lückenlosen Nachweis der Verwendung von Tiermehl in Deutschland die rechtliche Grundlage fehle.
Es gibt keinen gesetzlichen Auftrag an die amtliche Statistik, diesen Sachverhalt bei den Unternehmen zu erfassen, entsprechend aufzubereiten und der Öffentlichkeit bekannt zu geben.
Fest steht, da der Verbleib des Zeugs nicht erfasst wird, kann auch niemand kontrollieren, ob Bauern das als „Dünger“ erworbene Tiermehl nicht doch heimlich unter das Futter mischen. Man darf auf die Zahlen für 2004 gespannt sein.
Tierfett wieder zulassen?
Klar ist, die Agrar-Lobby rüttelt am Verbot und wirft der Bundesregierung, die im Alleingang bisher auch die Verfütterung tierischer Fette verbietet, eine Benachteilung der deutschen Tierfutterwirtschaft vor. So erklärte Ulrich Niemann, Präsident des Deutschen Verbandes Tiernahrung (DVT) auf der Jahrespressekonferenz seines Verbandes in Bonn:
Wir sind nicht unbedingt jetzt auf der Welle, dass wir sagen, wir wollen die tierischen Fette in die Verarbeitung, aber wir wollen Wettbewerbsgleichheit. Das ist unser Prinzip und wenn an dem Zeug was ist, dann darf das auch nicht über den Lebensmittelimport, über die tierischen Erzeugnisse zu uns kommen, dann dürfen auch die anderen das nicht einsetzen und wenn an den tierischen Fetten nichts auszusetzen ist, wie das restliche Europa sagt, dann gibt es auch keinen Grund, warum man das in Deutschland nicht darf. Es ist bedauerlich, dass hier in Deutschland immer wieder voraussschreitend strengere Maßstäbe in Kontrolle und im Verbieten angewandt werden. Andererseits sind wir in der Forschung über die tatsächlichen Ursachen bei BSE keinen Schritt weiter.
Ulrich Niemann
Demgegenüber bleibt das Verbraucherministerium bei seiner Haltung, auch die Verfütterung von Tierfett weiterhin zu untersagen. Grund dafür sei, so das Ministerium gegenüber Telepolis:
unsere Vermutung, das auch tierische Fette beim BSE-Geschehen eine Rolle spielen. Wir haben unser Verbot bei der EU notifiziert, bisher aber noch keine Stellungnahme der Kommission bekommen. Diese wird für diesen Sommer erwartet
Für Matthias Wolfschmidt von Foodwatch sollte sich die Branche auf andere Weise für Gleichbehandlung einsetzen und
in Brüssel für ein allgemeines Verbot des Einsatzes von tierischen Fetten und für ein Handelsverbot von unvergällten Tiermehlen als angeblicher Dünger einsetzen auf Verbandebene und bei der Kommission. Ein solches Engagement wäre glaubwürdiger als die Klage über angebliche Wettbewerbsnachteile wegen des deutschen Tierfett-Einsatzverbots im Futter.
Auch im Bundestag geht die Diskussion in Richtung Wiederzulassung des Tiermehls als Futter. So suggerierte die FDP-Bundestagsfraktion in einer Kleinen Anfrage im Januar diesen Jahres bereits eine Änderung der bisherigen EU-Politik und fragte:
Stellt die von der EU-Kommission in Aussicht gestellte Aufhebung des Verfütterungsverbotes von Tiermehlen grundsätzlich eine Gefährdung der Verbraucherinnen und Verbraucher dar? Falls nein, in welchen Fällen ist eine Lockerung des Tiermehlverfütterungsverbotes zu verantworten und wann ist mit solchen Lockerungen zu rechnen?
Die Bundesregierung entgegnete ihr,
Es ist nicht bekannt, dass die Europäische Kommission aktuell eine Aufhebung des Verfütterungsverbots von Tiermehlen plant.(...) Nach Auffassung der Bundesregierung sind Modifizierungen der Verfütterungsregelungen nur möglich, wenn sichergestellt ist, dass das BSE-Schutzniveau weiterhin gewährleistet ist. Dies kann nur im konkreten Einzelfall beurteilt werden.
Antwort der Bundesregierung
Bereits 2003 fragte der CDU-Abgeordnete Peter H. Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU die Bundesregierung nach der Begründung des Verfütterungsverbot von tierischen Fetten unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Lebensmittel aus anderen EU-Ländern, die mit tierischen Fetten produziert wurden, ungehindert auf den deutschen Lebensmittelmarkt gelangen.
Die Richtung seiner Fragestellung verdeutlichte der Abgeordnete Carstensen in seiner weiteren Frage, in der er sich nach dem Wettbewerbsnachteil der deutschen Futtermittel- und Veredelungswirtschaft im Vergleich zur Europäischen Konkurrenz erkundigte.
Die Bundesregierung beschied diese Fragen damals mit der ihrer Meinung nach notwendigen BSE-Vorsorge. Bleibt die Frage, wie lange es dauert, bis die eher konservative EU-Kommission der Agrarlobby folgt und auch Tiermehl wieder in den Trögen landet.