Nach Berg-Karabach-Krieg: Britisches Militär will Drohnen nach türkischem Vorbild
Unbemannte Flugzeuge des Herstellers Baykar Makina sind kleiner und billiger als US-Produkte. Verluste fielen wegen möglicher großer Stückzahl kaum ins Gewicht
In Großbritannien mehren sich Stimmen für ein neues Programm mit bewaffneten Drohnen. Das schreibt die Tageszeitung Guardian unter Berufung auf hochrangige Beamte des britischen Verteidigungsministeriums. Demnach soll das Militär kleinere unbemannte Luftfahrzeuge beschaffen, wie sie die Türkei beim Angriff Aserbaidschans auf Berg-Karabach eingesetzt hat. Diese seien deutlich günstiger als US-Kampfdrohnen, die derzeit von der Luftwaffe benutzt werden. Deshalb könnten sie in deutlich größerer Stückzahl gekauft werden.
Der sechswöchige Angriffskrieg Aserbaidschans gegen die von Armenien beanspruchte Region Berg-Karabach gilt als der Erste, der mithilfe von Drohnen entschieden wurde. Das aserbaidschanische Militär setzte dort sogenannte Kamikazedrohnen vom Typ Harop aus Israel ein, die vor dem Einschlag stundenlang über dem Einsatzgebiet kreisen können. Auch das deutsche Heer hatte bis 2013 die Beschaffung dieser "herumlungernden Munition" erwogen, die Pläne jedoch zunächst auf 2019 verschoben und später zugunsten größerer Drohnen aufgegeben.
Laut britischem Verteidigungsminister "wegweisende" Waffe
Kriegsentscheidend waren in Berg-Karabach jedoch die "Bayraktar TB2" aus der Türkei, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan der Armee in Aserbaidschan zur Seite gestellt hat. Sie sind das Aushängeschild der neuen türkischen Drohnenindustrie und können seit 2015 bewaffnet werden. Seitdem fliegen die von Baykar Makina hergestellten Luftfahrzeuge Angriffe im türkischen Teil Kurdistans, in Syrien und in Libyen. Im Irak tötete das türkische Militär im Sommer zwei hohe Regierungsbeamte mit einer Drohne.
Bereits Anfang Dezember hatte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace türkische Drohnen als eine "wegweisende" Waffe bezeichnet. Sie seien für die Zerstörung Hunderter Panzer und gepanzerter Fahrzeuge sowie von Luftabwehrsystemen verantwortlich gewesen. Entsprechende Videos, die mit martialischer Musik unterlegt sind, hatte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium während des Krieges online gestellt.
Der Preis für eine Bayraktar TB2 beträgt Schätzungen zufolge umgerechnet 1,6 Millionen Euro, ohne Bodenstationen und andere Infrastruktur sogar nur die Hälfte. Damit kostet das System nicht einmal ein Zehntel der Protector-Drohne des US-Herstellers General Atomics, mit denen die britische Luftwaffe ihre Flotte modernisieren will.
Großbritannien war der erste europäische Staat, der ab 2007 bewaffnungsfähige Drohnen im Ausland eingesetzt hat, inzwischen fliegt auch die französische Armee Angriffe mit Drohnen von General Atomics.
Raketentechnik aus Deutschland und Großbritannien
Weil die "Bayraktar TB2" noch nicht per Satellit gesteuert werden kann, ist ihre Reichweite auf 150 Kilometer begrenzt. Auch ihre Nutzlast ist mit 150 Kilogramm vergleichsweise niedrig, die Drohne kann aber bis zu vier lasergesteuerte Raketen befördern. Die Waffen stammen von der türkischen Firma Roketsan, Recherchen des deutschen Fernsehmagazins "Monitor" zufolge wurden sie mithilfe deutscher Technologie entwickelt. Ihre Gefechtsköpfe basieren auf Raketen von TDW, einer Tochterfirma des europäischen Raketenherstellers MBDA.
Vor einem Jahr berichtete der Guardian, dass auch die Auslösevorrichtung für die Raketen von Roketsan auf ausländischer Technologie beruht. Demnach stammt die Technik aus einem Technologietransfer der Firma EDO aus Brighton, die wiederum zum US-Rüstungskonzern Harris gehört. Ein anderer britischer Hersteller habe Treibstoffpumpen für die "Bayraktar TB2" geliefert.
Während des Krieges um Berg-Karabach hatte das in den Vereinigten Staaten angesiedelte "Armenische Nationalkomitee" weitere Firmen öffentlich gemacht, deren Technologie in der "Bayraktar TB2" verbaut ist. Wescam, der kanadische Hersteller für Sensortechnik, und der österreichische Motorenbauer Rotax haben ihre Exporte an den türkischen Drohnenhersteller inzwischen eingestellt. Laut staatsnahen türkischen Medien würden die Produkte jedoch mittlerweile durch einheimische Technologie ersetzt.
Vier bewaffnete Drohnenmächte in Europa
Auch andere Staaten haben den taktischen Vorteil der kleinen "Bayraktar TB2" erkannt. Zuerst haben Katar und Ukraine Verträge mit Baykar Makina abgeschlossen, ein Dutzend sollen bereits an das ukrainische Militär ausgeliefert worden sein. Insgesamt will die Regierung in Kiew 48 Drohnen aus der Türkei kaufen. Weil es sich dabei um eine beträchtliche Menge handelt, planen die beiden Länder ein Abkommen zur Produktion der Luftfahrzeuge in der Ukraine. Anschließend könnten sie auch nach Kasachstan exportiert werden.
Vor einem Jahr hatte auch der serbische Präsident Aleksandar Vucic angekündigt, den Kauf der türkischen Drohne zu erwägen - obwohl inzwischen chinesische "Rainbow"-Drohnen nach Serbien geliefert wurden. Bald gibt es in Europa also vier bewaffnete Drohnenmächte. Weitere Staaten, die seit Jahren entsprechende Planungen verfolgen, konnten dazu noch keine Entscheidung herbeiführen. Hierzu gehören Italien, Spanien, die Niederlande und Deutschland.
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