Nach Corona: Ein sinnvoller Neustart
Seite 3: Wie es weitergehen soll
Wie es weitergehen soll, ist allerdings eine andere Frage. Niemand kann momentan sagen, wie lange die Corona-Epidemie dauern wird und wie lange wir deshalb die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufrechterhalten müssen. Und darüber, wie wir dann aus dem Lockdown wieder herauskommen, hat offenbar auch noch niemand klare Vorstellungen. Der IWF rechnet jedenfalls mit der schlimmsten weltweiten Wirtschaftskrise seit 1929.
Sicher ist, dass wir nach der Epidemie nicht einfach da weiter machen können, wo wir mit dem Lockdown aufgehört haben. Die Autoproduktion in Deutschland beispielsweise wurde wegen Corona faktisch eingestellt. Natürlich sind die Werke nach der Epidemie sofort wieder produktionsbereit und die Lieferketten werden sich auch in kürzester Zeit wieder in Gang bringen lassen.
Aber schon vor der Corona-Pandemie standen alle Zeichen auf Rezession und nach der Corona-Krise kommt eine weltweite Wirtschaftskrise. Wer wird da Autos kaufen? Es sind ja sowieso schon zu viele da, gemessen am wirklichen Bedarf. In den Autohäusern stehen endlose Mengen auf Halde produzierte, fabrikneue Fahrzeuge, die, von den Banken mit Krediten finanziert, den Autohändlern aufgedrängt wurden, damit die Werke weiterproduzieren konnten.
Wenn jetzt die Ausfälle durch die Corona-Krise auch noch starke Einkommensverluste bringen, ist nicht abzusehen, wann der Automarkt sich erholt. Und so sieht es überall aus.
90% aller Flugzeuge bleiben am Boden und auch nach der Epidemie wird sich die Tourismusbranche nicht sofort wieder erholen. Deshalb wird wohl auch der Flugverkehr nicht so schnell wieder den alten Umfang annehmen. Unter Klimaschutzaspekten sehr zu begrüßen, für die Airlines, die Flughäfen und die Flugzeugbauer eine Katastrophe. Und so geht es querbeet weiter durch die gesamte Wirtschaft.
Aber vielleicht hat diese Naturkatastrophe und der von ihr erzwungene Lockdown auch positive Effekte. So wie bisher konnten wir nämlich sowieso nicht weitermachen. Bisher wurden jede Veränderung und jedes Umsteuern mit dem Argument blockiert, dass das der Wirtschaft schadet und deshalb unmöglich ist, weil es letztendlich unseren Wohlstand gefährdet. Durch den Lockdown zeigt sich, was wirklich notwendig und systemrelevant ist und was Luxus, auf den wir notfalls auch mal verzichten können.
Tourismus
Nehmen wir beispielsweise den Tourismus. Wir hatten eine riesige Tourismusindustrie. In der Branche waren 2,9 Millionen Erwerbstätige direkt beschäftigt und es wurden 100 Milliarden Euro erwirtschaftet, was 4,4% der Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft entspricht.
Rechnet man noch die in anderen Branchen (Verkehrswesen, Handel, Handwerk usw.) durch und für den Tourismus erbrachten Leistungen mit ein, so steigt die Bruttowertschöpfung durch den Tourismus sogar auf 214,1 Milliarden Euro und es wurden 4,9 Millionen Menschen, das sind 12% aller Erwerbstätigen der Bundesrepublik, durch den Tourismus beschäftigt. Insofern also ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig.
Aber ist dieser Tourismus wirklich nötig und sinnvoll und können wir ihn uns auf Dauer wirklich leisten? Ich will keine Spaßbremse sein, die den Tourismus verteufelt. Aber wir müssen hier wie überall Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen. Beginnen wir mit dem Nutzen. Dem Kunden bringt der Tourismus Erholung und Spaß. Den Beschäftigten in der Tourismusbranche bietet er Arbeitsplätze und Einkommen, von denen sie mehr oder weniger gut leben können und der Staat bekommt nicht unbedeutende Steuern aus dem Tourismussektor. Alles sehr positiv.
Aber dem stehen auch einige sehr negative Aspekte gegenüber. Der Tourismus verursacht weltweit riesige Umweltschäden, durch den Tourismus und den dadurch hervorgerufenen Verkehr werden sehr große Mengen CO2 verursacht und es werden große Mengen nicht erneuerbare Ressourcen verbraucht, die wir später vielleicht an anderer Stelle dringend benötigen.
Autoindustrie
Ähnlich sieht es mit den privaten Autos aus. Natürlich ist es sehr angenehm, ein eigenes Auto vor der Tür zu haben und damit verkehrsmäßig unabhängig zu sein. Aber es ist auch unbestritten, dass wir mit dem Verkehr so wie bisher nicht weitermachen können.
Der Personenindividualverkehr verursacht gerade in den Ballungszentren große Probleme (Stau, Luftverschmutzung, Treibstoffverbrauch und CO2-Erzeugung, Lärmbelästigung), die auf die Dauer inakzeptabel sind und sich nur durch eine drastische Verringerung der Fahrzeugzahl und der damit gefahrenen Kilometer auf ein vertretbares Ausmaß verringern lassen.
Davon will die Autoindustrie und die politische Führung des Landes natürlich nichts wissen, denn es bedeutet in der Konsequenz eine starke Verringerung der Autoproduktion und damit selbstverständlich starke Arbeitsplatzverluste in einer der wichtigsten und umsatz- wie einkommensstärksten Branchen der deutschen Wirtschaft. Die Autoindustrie ist schließlich das Flaggschiff der deutschen Industrie.
Aber wir werden um eine Verringerung der Autoproduktion nicht herumkommen. Wir müssen die Produktion auf ein sinnvolles Maß, das dem tatsächlichen Bedarf entspricht, zurückfahren. Wir können nicht Autos verkaufen, um Autos zu verkaufen und auch nicht, um die Autowerke am Laufen zu halten und die Arbeiter zu beschäftigen. Und wir dürfen auch nicht zulassen, dass aus Profitgründen unser Planet zerstört und unbewohnbar wird.
Wir sollten uns überlegen, wie wir mit einer ausreichenden Produktion und möglichst geringem Ressourcenverbrauch ein gutes Leben für alle ermöglichen. Ein immer größerer, sinnloser Konsum um des Konsums willen, bzw. um die Wirtschaft am Laufen zu halten, ist der falsche Weg. Die Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht die Menschen der Wirtschaft.
Zurück zur Autoproduktion. Wenn wir etwas Sinnvolles dazu sagen wollen, müssen wir zunächst den zukünftigen Bedarf abschätzen.
Bei der Erstellung meines Energiekonzeptes war die Bedarfsabschätzung wesentlich einfacher, da sowohl der gegenwärtige Energiebedarf als auch die zukünftigen Technologien zur Energieerzeugung bekannt waren und ich davon ausgehen konnte, dass der Energiebedarf in Zukunft nicht weiter steigen wird. Ich konnte ihn also 1:1 auf regenerativ erzeugte Energie umrechnen.
Das ist zwar eine "worst case"-Rechnung, aber wenn wir durch irgendwelche zusätzlichen Energiesparmaßnahmen später weniger Energie benötigen sollten, sind wir halt schneller mit der Umstellung fertig und hören einfach mit dem Aufbau weiterer, nicht benötigter Erzeugungskapazitäten auf. Und wenn nicht, ziehen wir eben das ganze Programm durch und können so den Bedarf abdecken.
Der Verkehr
Beim Verkehr geht das nicht. Erstens sind die Technologien der Zukunft in diesem Bereich heute nicht ausreichend absehbar und zweitens ist es Unfug, den heutigen Verkehr als Grundlage für ein Verkehrskonzept der Zukunft zu nehmen. Sowohl der Personen- wie auch der Güterverkehr sind wahnsinnig überdimensioniert und verursachen Probleme und Schäden, die auf die Dauer untragbar sind. Wir müssen den Verkehr also ganz gehörig reduzieren, daran führt kein Weg vorbei.
Allerdings kann man den Verkehr nicht einfach willkürlich reduzieren, denn er ist für das Funktionieren unserer Gesellschaft notwendig. Wenn wir den Verkehr reduzieren wollen, müssen wir den Bedarf verringern.
Beim Güterverkehr wird der Bedarf hauptsächlich durch lange Lieferketten und just in time-Produktion erzeugt. Warum müssen wir denn in unseren Fabriken alle möglichen Teile und Halbzeuge aus China verbauen? Wie störanfällig die Produktion dadurch wird, zeigt sich gerade durch die Corona-Krise. Aber der zusätzliche Transport und die durch ihn verursachten Schäden sind auf die Dauer viel schlimmer. Und der Nutzen der Lieferungen aus China nimmt ab.
Ursprünglich wurde die Produktion nach China ausgelagert, um die Lohnstückkosten zu drücken und so billiger und konkurrenzfähiger zu produzieren. Aber erstens steigen die Lohnkosten in China auch immer weiter an und andererseits haben die Lohnkosten in einer vollautomatisierten Produktion kein großes Gewicht mehr.
Wir sollten also zusehen, dass wir in unserer Industrie eine ordentliche Fertigungstiefe aufbauen und so unnötige Ferntransporte vermeiden. Ebenso müssen wir von der Praxis, LKW als rollende Lagerhallen zu missbrauchen, um dadurch die Kosten für die Lagerhallen zu sparen (die Straßenschäden zahlt ja der Steuerzahler) wegkommen. Das bedeutet aber nicht nur eine Veränderung des Verkehrs, sondern der gesamten Produktion.
Ähnlich sieht es beim PKW-Verkehr aus. So, wie bisher, können wir nicht weitermachen. Wir können den Bürgern aber das Autofahren auch nicht verbieten oder mit irgendwelchen Vorschriften oder Abgaben unmöglich machen, denn gegenwärtig sind viele Bürger auf die Nutzung ihres Autos angewiesen. Bevor wir also irgendwelche Maßnahmen planen, sollten wir ermitteln, welcher Bedarf tatsächlich existiert und notwendig ist und was ersatzlos wegfallen kann.
Beispielsweise wird in der Corona-Krise jetzt verstärkt im Homeoffice von Zuhause aus gearbeitet. Offenbar kann man also vielfach die Arbeit in Büros, und damit auch den Weg dorthin und zurück, einsparen. Ebenso können viele Meetings und Konferenzen durch Videokonferenzen ersetzt werden.
Wenn sich das aber durchsetzt, werden nicht nur große Verkehrsströme eingespart, sondern es kommt auch zu großen Überkapazitäten bei Büroflächen sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe, die ja zum großen Teil bisher von der Ausrichtung und Versorgung derartiger Treffen lebten.
Das nächste große Problem bei der Erstellung eines sinnvollen Verkehrskonzeptes ist, dass keine Klarheit besteht, welche Technologien sich dort in Zukunft durchsetzen werden. Klar ist nur, dass der Personenindividualverkehr so wie bisher auf die Dauer nicht tragbar ist und abgeschafft bzw. ersetzt werden muss. Aber wie?
Derzeit wird überall ein Ausbau des ÖPNV gefordert, also ein dichtes Netz von Bussen und Bahnen mit kurzen Taktzeiten und niedrigen Ticketpreisen. Dazu Fahrradspuren, um den Radfahrern eine gefahrlose Teilnahme am innerstädtischen Verkehr zu ermöglichen. Aber ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss?