Nach SPD-Parteitag: Wie zu Gerhard Schröders Zeiten

Bild Lars Klingbeil: Sandro Halank, CC-BY-SA-4.0 / Bild Olaf Scholz: Bundesministerium für Finanzen, CC-BY-2.0 / Grafik: TP

Was Olaf Scholz als Kanzler und Lars Klingbeil als Parteivorsitzender für die SPD bedeuten

Die Wahl von Lars Klingbeil zum SPD-Vorsitzenden ist ein Signal: Die Sozialdemokraten sind wieder zurück bei den Prinzipien der Ära Gerhard Schröder. Und mit Olaf Scholz als Kanzler ist garantiert, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird. Dass mit Saskia Esken als weitere Vorsitzende und mit Kevin Kühnert als Generalsekretär auch zwei Vertreter der Parteilinken gewählt wurden, spielt dabei keine Rolle.

Esken ist seit ihrer Wahl als Parteivorsitzende vor zwei Jahren ohne Einfluss geblieben und Kühnert hat bereits mehrfach seine Wendigkeit unter Beweis gestellt – auch jetzt wird er mit der Mehrheit gehen. Die rechtssozialdemokratische Welt ist wieder in Ordnung! Die Riege, die mit und unter Gerhard Schröder in der SPD groß wurde, besetzt heute alle Schlüsselfunktionen in der Partei.

Vor zwei Jahren sah es noch ganz anders aus. Als Ende November 2019 im Willy-Brandt-Haus das Ergebnis der Mitgliederabstimmung über den Vorsitz bekannt gegeben wurde, setzte kaum noch jemand auf Scholz1:

Auf das Duo Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans war 53,1 Prozent der Stimmen entfallen. Das favorisierte Team Klara Geywitz/Olaf Scholz erhielt hingegen nur 45,3 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 54 Prozent. Insgesamt waren 216.721 gültige Stimmen abgegeben worden.

Die Entscheidung stand am Ende einer monatelangen Kandidatenkür auf 23 Vorstellungsrunden quer durchs Land, an der sieben Teams teilnahmen. Im ersten Wahlgang hatte das Team Esken/Walter-Borjans noch hinter Geywitz und Scholz gelegen.

Im zweiten Durchgang dann, in dem nur noch die beiden erfolgreichsten Teams antreten konnten, siegten sie klar. Rund 85 Prozent der SPD-Mitglieder lehnten Scholz als Parteivorsitzenden ab,

In einer Analyse schrieb ich damals2:

Das alte Partei-Establishment war abgewählt worden. Die mehr als 110.000 Parteimitglieder, die sich für Esken/Walter-Borjans entschieden hatten, dürften allerdings in ihrer Mehrheit nicht für die beiden weitgehend unbekannten Politiker, sondern gegen Olaf Scholz als den Vertreter des alten, noch aus der Zeit Gerhard Schröders stammenden SPD-Machtzentrums gestimmt haben. Verloren hatten jene, die von einer Abkehr von Hartz IV und einer Rot-Rot-Grünen-Zusammenarbeit bis heute nichts wissen wollen. Ihnen sprach die Mitgliedschaft der Partei das Misstrauen aus.

Die Entscheidung für Esken und für Walter-Borjans war Ausdruck der in der Parteibasis weit verbreiteten Forderung, wonach die SPD einen selbstbewussteren und eigenständigeren Kurs einschlagen sollte. Den beiden überraschend Gewählten stand der Weg dafür nun offen.

Sie hätten das Votum der Mitglieder nutzen können, um ein Nein zur Fortsetzung der Großen Koalition zu erzwingen. Zumindest hätten sie den offenen Konflikt mit dem alten Machtzentrum wagen müssen. Diese Chance hatten sie aber bereits beim Wahlparteitag am 6. Dezember 2019 vertan.

In dem dort mit großer Mehrheit angenommenen Beschluss "Aufbruch in die neue Zeit" hieß es3:

Weder der Verbleib in einer Koalition noch der Austritt sind ein Selbstzweck. [...] Entscheidend ist, dass wir jetzt die uns wichtigen, noch offenen Punkte aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen und mit CDU und CSU die Weichen für eine gute und gerechte Zukunft unseres Landes und Europas richtig stellen.

Damit war klar: Die SPD sollte bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021 Teil der Regierung bleiben. Und so kam es denn auch. Mein Resümee direkt nach dem Parteitag4:

Da war also über Wochen über das bevorstehende Ende der Schwarz-Roten-Bundesregierung spekuliert worden, sollte das von den Jungsozialisten unterstützte Team Esken/Walter-Borjans als Sieger vom Platz gehen.

Da hatten Jusos bereits frohgemut skandiert: Nikolaus ist GroKo aus! Und nun das. Es dürfte in den letzten Jahren kaum eine ähnlich schnelle Selbstdemontage von Politikern gegeben haben wie die von Esken und Walter-Borjans in den Tagen nach Bekanntgabe des Ausgangs der Mitgliederbefragung und ihrer Wahl auf dem Parteitag eine Woche später.