Nach dem Lebensmittelembargo gerät Kaliningrad in Schwierigkeiten
Die russische Enklave soll sich nach dem Willen der Regierung mehr selbst versorgen, die Menschen kaufen in Nordpolen ein - und auch Weißrussland ist ein Gewinner
Der Gouverneur der Oblast Kaliningrad verbreitet Optimismus: "Die Region gewinnt durch das Embargo für Nahrungsmittel", so Nikolai Zukanov. Die Selbstversorgung durch die Kaliningrader Landwirtschaft soll nun mehr angeregt werden. Die von den EU-Ländern Litauen und Polen umschlossene russische Enklave ist durch den von Putin erlassenen Einfuhrstopp vom 7. August auf Lebensmittel aus EU-Ländern besonders betroffen.
Darum hat die künftige Kalingrader Selbstversorgung einiges zu schultern. Die Apfelbäume, die nun gepflanzt werden, können nicht so schnell Obst tragen. In die Oblast mussten bislang 70 Prozent der Milchprodukte eingeführt werden, rund die Hälfte von Obst und Gemüse sowie 40 Prozent des Geflügelfleischs.
Derzeit steigen in Kaliningrads Supermärkten die Preise, um 20 Prozent bei Käse etwa, wie regionale Zeitungen berichten. Allerdings sollen sich, abgesehen beispielsweise von Pfirsichen, die Preise bislang in etwa halten. Lachs kommt nun nicht mehr aus Norwegen, sondern teurer aus Island. Es verschwinden auch schon Waren aus den Regalen, an den Grenzen stauen sich Autos von Russen, die im polnischen Nachbarland einkaufen wollen. Seit zwei Jahren läuft ein kleiner Grenzverkehr ohne Visumspflicht zwischen Kaliningrad und Nordpolen - ein Abkommen aus noch einvernehmlicheren Zeiten.
Moskau setzt derzeit auf Minsk, das neuerdings den Vermittler zwischen Westen und Osten spielt. Weißrussische Lebensmittel sollen vor allem in Kaliningrad die Lücken füllen, die das Embargo gegen den Westen hinterlassen hat.
Dies geschieht auch schon, wenngleich nicht so, wie es sich die russischen Offiziellen wünschen. In Russland gibt es nun zu teils horrenden Preisen "weißrussischen" Lachs und "weißrussischen" Parmesan zu kaufen. Waren, die aus Norwegen und Italien stammen und umettikiert wurden, wie die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza spekuliert. Denn das Land, das von Staatspräsident Aleksander Lukaschenko diktatorisch regiert wird, ist mit Kasachstan und Russland seit Mai in der "Euroasiatischen Wirtschaftsunion", einem Gegenmodell zur EU. Minsk kann so seine Waren zollfrei nach Russland ausführen. Auch solche, die es zuvor selbst eingeführt hat.
Dazu gehören polnische Äpfel, die bislang 70 Prozent des Apfelverbrauchs in der Oblast ausmachten. Sie sollen nun in Kisten ohne Herkunftsangaben den Umweg über Weißrussland machen.
Bislang bestritt Minsk diesbezügliche Vorhaltungen aus Moskau. "Wir können bei uns sogar Melonen züchten, unsere Wissenschaftler sind einfach Teufelskerle!", verkündete Lukaschenko kürzlich frohgemut. Im Kreml sind hingegen die Humorreserven erschöpft, dort denkt man wieder laut über eine Rückeinführung der Zollbestimmungen nach.
Auch Lieferungen aus Serbien und Montenegro können bislang die Kaliningrader Regale nicht füllen. "Die Qualität und der Preis stimmen nicht", urteilt die Vertreterin einer Einzelhandelskette in der Regionalzeitung "Nowy Kaliningrad".
An Arbeitsperspektiven hat die Oblast nicht so viel zu bieten, es gibt Fischerei, Landwirtschaft sowie seit 1996 die Sonderwirtschaftszone "Jantar" (Bernstein) für ausländische Investoren, die jedoch aufgrund von Behördenbeschränkungen nicht prosperiert.
Die akuten Schwierigkeiten könnten Kaliningrad weiter von Moskau entfremden. Denn die Menschen im ehemals nördlichen Ostpreußen schauen zunehmend nach Westen. Immerhin 25 Prozent der Bevölkerung haben ein Schengen-Visum. Anscheinend soll sogar der alte Name "Königsberg" bei den jungen Russen immer mehr im Gebrauch sein. Die Autonomiebewegung in Kaliningrad besteht bislang nur aus einem Grüppchen, das es wagt, offiziell aufzutreten, doch die Unzufriedenheit kann wachsen.
Etwa 200 mittlere bis größere Unternehmen sind mit der Lebensmittelverarbeitung befasst, ihnen könnte bald das Aus drohen, wonach Tausende auf der Straße stehen dürften. In den russischen Medien ist man derzeit bemüht, beim polnischen Nachbarn Haare in der Suppe zu finden. So wird gegen die Boykottaufrufe gegen russische Produkte polemisiert, Polen könne sich das gar nicht leisten, schließlich seien die Polen im Norden vom billigen Benzin Kaliningrads und vom Benzinschmuggel abhängig. Auch Warnungen vor Fällen der afrikanischen Schweinepest in Polen werden kolportiert. Die Kaliningrader Zeitung "Rosbalt" deckte einen Fall auf, wo ein deutsches Landwirtschafts-Unternehmen angeblich ein polnisches Grenzdorf mittels Fäulnisgerüchen unbewohnbar macht.
Eine Ausnahme bildet der Moskauer Wirtschaftsprofessor und Putinkritiker Wladislaw Inosemtsew. Obwohl gerade "viele Türen verschlossen sind", sieht er allein in der Öffnung eine Perspektive für die Oblast Kaliningrad. Er verlangt ein russisches "Hong Kong" an der Ostsee.