Nach dem schnellen Erfolg beginnen die Schwierigkeiten

Ähnlich wie in Afghanistan scheint im Irak das Chaos zu herrschen - und möglicherweise beginnt erst der organisierte Widerstand

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Den Eindruck, dass die US-Regierung einer etwas simplen Vorstellung des Handelns folgte, das vor allem auf schnellen Erfolgsmeldungen und medienkonformen Ereignissen besteht, scheint sich gerade bei den größten "Erfolgen" zu bestätigen. Sowohl in Afghanistan als auch im Irak breiten sich Chaos aus, da die Gegner zwar militärisch schnell bezwungen werden konnten, aber offenbar kein wirkliches Konzept vorhanden war, wie man mit der Situation nach dem Krieg, also mit der komplexen, langwierigen und wenig spektakulären Aufgabe des "nation building" verfahren soll.

Selbst beim engsten Partner der mühsam gestrickten Koalition der Willigen scheint man immer unzufriedener zu werden, zumal die britische Regierung wegen der Fabrikation des Kriegsgrundes derzeit schwer unter Beschuss steht. So soll ein hohes Regierungsmitglied gesagt haben, dass der von den Amerikanern geleitete Wiederaufbau im Irak "im Chaos" stecke und das "vollständige Fehlen einer strategischen Orientierung" zeige: "Das ist die chaotischste Organisation, für die ich jemals gearbeitet habe."

Paul Bremer, der von Bush bereits als Ersatzmann für den hilflosen Garner in den Irak geschickt wurde, scheint bislang auch kaum Wesentliches vorangebracht zu haben. Der zunehmende militärische Druck in Reaktion auf die steigende Zahl der Angriffe lässt offenbar auch das Ressentiment wachsen. Dazu kommt, dass Bremer die Verwaltung weitgehend in amerikanischer Hand hält, wodurch der Abstand zu den Menschen zunimmt, die zudem erwarten, dass die siegreichen Amerikaner schnell für alle annehmbare Lebensverhältnisse herbeiführen und für Arbeit, Einkommen und Sicherheit sorgen. Doch Bremer hat nicht einmal 600 Mitarbeiter, um ein Land zu verwalten, dessen Behörden nicht mehr existieren und dessen Infrastruktur am Boden liegt.

Auch wenn die US-Regierung im Irak größere Verantwortung zu übernehmen scheint als in Afghanistan, zeigen sich ähnliche Entwicklungen, die von Kritikern vor den Kriegen prophezeit wurden. In Afghanistan sind weite Teile des Landes nicht von der Karsai-Regierung, die von den Amerikanern gestützt wird, kontrollierbar. Nicht einmal in der Hauptstadt ist dies der Fall. wie der Selbstmordanschlag auf die deutschen Soldaten am 7. Juni vor Augen geführt hat. Der Widerstand wird stärker, während die westlichen Staaten sich auch allein finanziell nicht ausreichend um den Wiederaufbau kümmern.

Angeblich sind die Amerikaner schon, vermittelt durch den pakistanischen Geheimdienst, in Verhandlungen mit Taliban-Führern getreten. Man habe den Taliban eine Rolle in der afghanischen Regierung angeboten, allerdings unter bestimmten Verpflichtungen. Beispielsweise soll Mullah Omar keinen Einfluss mehr haben und müssen alle ausländischen Kämpfer des Landes verwiesen werden. Beim Thema Omar soll es keine Verständigungsmöglichkeiten gegeben haben, bei den übrigen Themen aber schon Verhandlungsbereitschaft. Ob weitere Verhandlungen stattfinden werden, ist unbekannt, wenn die Information überhaupt stimmen sollte.

Gerüchte zirkulieren auch seit einiger Zeit, dass Anhänger von Saddam Hussein und andere Gegner der Invasion sich auf einen Guerilla-Kampf vorbereiten würden. Starten soll er mit einem spektakulären Anschlag am 27. Juli (was wohl ein Fehler ist, denn der 17. Juli ist der Jahrestag, an dem die Ba'ath-Partei 1968 an die Macht kam, am 17. Juli 1979 erzwang Saddam Hussein, bislang Vizepräsident, den Rücktritt von Ahmed Hasan al-Bakr und kam selbst an die Macht). Ganz undenkbar wäre dies nicht, denn Saddam und wichtige Führungsmitglieder seiner Regierung befinden sich noch in Freiheit und verfügen vermutlich nicht nur über Waffen, sondern auch über ausreichend Geld, um den Kampf auch für solche attraktiv zu machen, die nicht unbedingt für Saddam sind. Da die US-Besatzer zudem alle Ba'ath-Mitglieder und Offiziere der irakischen Armee keinen Posten mehr gewähren wollen, dürfte es auch in diesen Reihen genügend Unzufriedene geben, die ihr Können gegen Einkommen dem Widerstand zur Verfügung stellen. Nach einem Bericht könnten sich die Widerstandskämpfer bis zum ersten organisierten Schlag als Schläfer in den Städten oder auf dem Land versteckt halten.

Nach Angaben der Asia Times seien an der Spitze der Gruppe keine Ba'ath- oder Armee-Angehörigen, geführt würde sie von den beiden Saddam-Söhnen und anderen untergetauchten Regime-Führern. Ein wenig anders klingt, was die Washington Times berichtet, die mit einem hohen Offizier des Saddam-Regimes gesprochen haben will. Dieser habe von einer Gruppe von Saddam-Loyalisten namens "Al Avda" (Rückkehr) gesprochen, die eine Verbindung mit Islamisten eingegangen sei und den Beginn des bewaffneten Widerstands für den 17. Juli plane. Die Existenz der Gruppe gehe auch aus Flugblättern hervor, die in Bagdad zirkulieren. Dort werden angeblich Mitglieder der ehemaligen Sicherheits- und Geheimdienste, der Ba'ath-Partei, der Fedajin oder der Republikanischen Garden zum Beitritt aufgefordert.

Wahhabitische Islamisten wie die Gruppen Jaish Mohammed oder Islamischer Dschihad hätten einer Zusammenarbeit zugestimmt, obgleich sie Saddam und die weltliche Ideologie der Ba'ath-Partei ablehnen. Gestartet werden soll, wie der ehemalige Offizier sagt, der angeblich zur Mitarbeit beim geplanten Aufstand aufgefordert wurde, mit einem spektakulären Anschlag, beispielsweise auf eine Ölraffinerie. Die Gruppe habe ausreichend Geld, dabei seien auch viele Offiziere und Soldaten: "Die Koalition trieb sie in die Arme der Ba'athisten, weil sie die ganze Armee und die Sicherheitsdienste auflöste. Das führte bei diesen Männern zu Verzweiflung und Hass, wodurch sie mit Geld und Propaganda zur leichten Beute der Ba'athisten werden."

Schon jetzt würden Menschen, die einen Amerikaner töten, Geld erhalten. Zuerst sei eine Prämie zwischen 500 und 600 US-Dollar geboten worden, jetzt habe man sie auf 700 US-Dollar oder eine Million Dinar angehoben. Noch sei die Widerstandsgruppe auf Sunniten und Anhänger der Ba'ath-Partei beschränkt. Die Schiiten würden, so der ehemalige Offizier, noch abwarten.

Auch in Afghanistan könnte die Situation sich womöglich bald verschärfen. Beim Haus der afghanischen Verteidigungsministers wurde eine Bombe entdeckt. Die UN warnte ihre Mitarbeiter vor neuen Selbstmordanschlägen, die in den nächsten Tagen gegen führende Mitglieder der afghanischen Regierung, US-Soldaten oder Angehörige der ISAF geplant sein könnten. Und es tauchten Flugblätter der Taliban im pakistanischen Grenzort Spin Boldak auf, in denen mitgeteilt wird, dass sich eine "Selbstmordanschlagsgruppe von Taliban-Mudschaheddin" gebildet habe, die die "Taliban-Märtyrer" mit Anschlägen auf hohe Mitglieder der afghanischen Regierung und auf amerikanische und britische Soldaten rächen will. Die UN sieht durch die wachsende Unsicherheit und die Rauschgiftwirtschaft den gesamten politischen Prozess in Afghanistan gefährdert und fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, für mehr Sicherheit und Hilfe zu sorgen. Die Geduld der Bevölkerung sei nur noch sehr dünn.