Nach der Hitze ist vor der Hitze: Wie Städte im Klimawandel bewohnbar bleiben
Großstädte mit Betonwüsten sind kaum gewappnet. Nun gibt es das Konzept "Schwammstadt". Mit diesen Maßnahmen könnten sich Kommunen besser anpassen.
Auf dem Quartiersplatz im Neubaugebiet Herzkamp in Hannover, der als Grünanlage, Spielplatz und Versickerungsmulde dient, startete vor einem Jahr ein Experiment: Aus zwei Feuerwehrschläuchen wurde die multifunktionale Fläche mit Wasser geflutet. Die Frage war: Nimmt das Wasser den vorgesehenen Lauf oder überschwemmt es die Anlage?
Die Erde stammte von der Bodenabtragung, mit der vor dem Bau der Siedlung das Gelände leicht geneigt und somit die Fließrichtung des Regenwassers gesteuert wird. Der Wassertest war somit erfolgreich – inzwischen ist das Projekt Vorbild für andere Kommunen.
Immer öfter werden urbane Räume von Starkregen überschwemmt. Auf den versiegelte Flächen versickert das Abwasser ungenutzt in der Kanalisation, wenn es nicht vorher verdunstet. Aus dem Kanal fließt das Wasser zusätzlich in die Bäche und Flüsse und von da ins Meer. Reine Verschwendung, denn für die Süßwassernutzung ist es für immer verloren.
Zudem laufen bei Starkregen herkömmliche Systeme schnell über. Wassermassen überfluten Straßen und Keller. Wie kürzlich in Kassel oder in Berlin.
Gespeichertes Regenwasser kann helfen, Städte abzukühlen. Bedingung dafür ist allerdings eine grundsätzlich andere Herangehensweise im Umgang mit Regenwasser. Das darf dann nicht mehr
entsorgt, sondern muss aufgefangen und gespeichert werden. Nur so kann es während Phasen der Trockenheit Grünflächen versorgen, Böden feucht halten, aber auch urbane Gewässer oder das Grundwasser wieder auffüllen. Zudem entlastet ein erhöhtes Wasserrückhaltevermögen an der städtischen Oberfläche das Kanalnetz. Infolgedessen werden Starkregenereignisse spürbar abgemildert.
Auch Niederschläge auf neu gebauten Dachflächen können dezentral aufgefangen werden: durch begrünte Dächer, Zisternen oder Regenrückhaltebecken – was auch immer, es muss abgekoppelt sein von der städtischen Kanalisation.
Saugfähiger Straßenbelag: "Klimaphalt"
Seit etwa 30 Jahren entwickelt Lutz Weiler Asphalt für verschiedene Zwecke – einen hellen, grobkörnigen Asphalt, der Wasser durchlässt und trotzdem belastbar ist. Mehrere Asphaltschichten aus kleinen Steinchen und Bindemittel lassen das Wasser vollständig durch und halten es damit in seinem natürlichen Wasserkreislauf.
So geht das Regenwasser nicht in die Kanalisation, sondern wird in einer mit Vulkangestein befüllten Schicht gespeichert. Das entlastet die Kanäle bei Starkregen. Zudem gibt der Asphalt einen Teil dieses Wassers wieder über Verdunstung an die Umgebung ab, welche sich ebenfalls abkühlt.
Mit seiner Erfindung könne man 80 bis 90 Prozent der asphaltierten Flächen in Deutschland wasserdurchlässig machen, glaubt der Straßenbauunternehmer aus Offenbach, der 2019 ein Patent auf sein "Klimaphalt" anmeldete. Weil der Belag heller ist als üblich, reflektiert er zudem mehr Sonneneinstrahlung und bleibt kühler.
Eine ähnliche Idee verfolgen Jens Petzold und Rüdiger Köhler aus Meißen. Zehn Jahre arbeiteten sie an einem wasserdurchlässigen Keramikziegel, bevor dieser 2021 in die Produktion ging. War der Grundstoff zu Beginn der Entwicklung noch Klärschlammverbrennungsasche, setzt er im Endprodukt zu 100 Prozent auf Keramik statt Abfall.
Die Masse wird aus Basaltsplitt, Ton und Feldspat gemischt, geformt und gebrannt. In einem Test hatte der Ziegel das Wasser längst aufgesaugt, während sich auf der Betonfläche daneben eine Pfütze bildete. Hält man den Stein in der Hand, ist kaum zu glauben, dass dieser wasserdurchlässig ist. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen könnte die Temperaturen zumindest örtlich weiter herunter kühlen.
Versorgung mit Trink- und "Stadtwasser"
Ob bei der Bewässerung von Bäumen, Parks und weiterem Stadtgrün, der Speisung urbaner Gewässer oder der Vernebelung von Wasser in Innenstadtlagen - der Wasserbedarf in den Städten wird in den nächsten Jahren spürbar steigen, darin sind sich Klimaexperten einig. Vor diesem Hintergrund entwickelten Stephan Köster und Maike Beier vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik an der Leibniz Universität Hannover ein innovatives Konzept zur Bewirtschaftung von Regenwassermengen.
Das funktioniert so: Gering verschmutzter Niederschlag wird im städtischen Schwamm gespeichert. Verschmutztes Regenwasser wird über vorhandene Entwässerungsinfrastrukturen abgeleitet und auf einer Kläranlage behandelt. Das gespeicherte Wasser wird in sogenannten City Water Hubs dezentral aufbereitet und dort eingesetzt, wo Trinkwasserqualität nicht unbedingt erforderlich ist.
Bei der Aufbereitung werden niedrig energetische Technologien sowie regenerative Energien verwendet. Über die komplementäre dezentrale Wasserversorgung wird das Wasserangebot erhöht. Gleichzeitig wird die Versorgung mit Trinkwasser entlastet, sowie die Qualität der städtischen Abwasserentsorgung und Überflutungsvorsorge verbessert.
Gesunde Stadtbäume für klimafeste Städte
Bäume in der Stadt filtern Luft und Lärm, sie spenden Schatten, Sauerstoff und Kühle, sofern genügend Platz für die Wurzeln ist, sonst können sie keine großen Kronen entwickeln. Auf der Suche nach Wasser und Nährstoffen beschädigen sie oft Leitungen und heben den Asphalt.
Innerhalb des Konzeptes Schwammstadt werden unter der Wegdecke wasserspeichernde, durchwurzelbare Bereiche angelegt, sogenannte Rigolen. Grober Schotter bildet die Basis, in die Hohlräume wird eine Mischung aus Schluff – feinkörniges, verwittertes Gestein –, Sand, Dünger, Kompost und Kohle gefüllt.
Sandanteile sorgen für Durchlüftung, Schluff für die Wasserversorgung. Bei Hitze senkt das die Temperatur gleich um ein paar Grad. Je größer die Stadt, desto mehr Verdunstung, umso kühler wird es und umso wahrscheinlicher sind Wolkenbildung und Regen.
In immer mehr Städte halten Gieß-Aktionen oder Baumpatenschaften die Bäume am Leben. So wie die "Gießkannenheld:innen" in Essen: Dort wurden 350 Tanks aufgestellt, die jeweils einen Kubikmeter Regenwasser fassen. Mit dem Wasser werden Straßenbäume oder Sträucher gegossen. Das Projekt, das 2020 im Ruhrgebiet begann, wird inzwischen auf immer mehr Städte übertragen.
Warum zieht Regen oft über die Städte hinweg?
Enge Gebäudeschluchten, Glasflächen und dunkle Fassadenfarben nehmen reichlich Wärme auf. Alle Gebäude zusammen bilden eine große Wärmeglocke, an die keine kühle Luft herankommt. Wolken, die auf diese Wärmeglocke treffen, teilen sich und vereinigen sich hinter der Stadt wieder. Dann steigen sie turmartig nach oben und es kommt zu Gewittern mit extremen Niederschlägen.
Anstatt sich nachts abzukühlen, strahlen sie sich gegenseitig die Wärme zu. Zudem sind viele Flach- und Satteldächer mit schwarzen Dachbahnen belegt. Knallt da die Sonne drauf, erhitzen sich die Dächer zusätzlich. Die Zugspitze reflektiert 80 Prozent der Sonneneinstrahlung, ein Sandstrand 25 Prozent – eine asphaltierte Straße dagegen nur zehn und ein dunkles Dach sogar nur noch fünf Prozent.
Der Rest wird in langwellige Infrarotstrahlen umgewandelt und bildet Wärme, weiß Lutz Weiler. Wir brauchen wir hellere und durchlässigere Straßen, die wie ein Feld – und hellere Dächer, die wie Gletscher funktionieren, glaubt er. Denn wird die Hitze reflektiert, könnte ein Teil der Wärme vermieden werden. Deshalb empfiehlt der Ingenieur UV-reflektierende Farben, etwa für Dächer ohne Begrünung, oder für Schulhöfe.
Bürger müssen klimasensibler werden
Neunzig Prozent der Gemeinden rechnen mit mehr Extremwetter, Hitzewellen, Dürren, nassere und wärmere Winter, mehr Sturzfluten und Überschwemmungen. Doch einer umfangreichen Recherche von Correctiv in 329 Landkreisen und kreisfreien Städten zufolge gibt es nur in einem Viertel der Kommunen entsprechende Schutzkonzepte. Bei 22 weitere Prozent ist ein Konzept in Planung.
Zwar sei die Bereitschaft, sich fürs Klima zu engagieren gestiegen, doch herrsche noch die Meinung vor, Stadt oder Land seien zuständig, erklärt Andreas Giga. Der Leiter der Zukunftsinitiative Klima.Werk setzt sich für einen klimaresilienten Umbau im Ruhrgebiet ein und vernetzt dabei 16 Kommunen und den Wasserwirtschaftsverband miteinander.
Anpassung an den Klimawandel ist vorbeugender Katastrophenschutz. Doch Menschen bewegen sich in der Regel nur dann, wenn es Handlungsdruck gibt, also im Sommer, wenn Starkregen, Hitze oder Dürre aufeinander folgen. Sobald es Herbst wird, sei die Notwendigkeit für Veränderungen schnell vergessen.
Immerhin, das Zentrum Klimaanpassung, das unter anderem vom Bundesumweltministerium und dem Deutschen Institut für Urbanistik ins Leben gerufen wurde, nennt eine Reihe von Städten, in denen einige Ideen vor Ort bereits umgesetzt werden: Düsseldorf begrünt acht Kilometer Fassade mit Hainbuchenhecken. Hannover, Dessau und Frankfurt am Main lassen Grünflächen verwildern. In Lübeck wächst ein klimaresilienter Stadtwald - und Aachen entwickelt eine Strategie für klimafreundliche Gewerbeentwicklung.