Nachbau des Lebens

Künstliches Leben aus der Retorte?

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In einem Vortrag beim jährlichen Treffen der American Association for the Advancement of Science in Anaheim berichtete der Molekularbiologe Craig Venter von Celera Genomics Corporation über die Möglichkeit der Herstellung von neuen oder künstlichen Mikroorganismen.

Selbstverständlich kann man noch keine neuen Mikroben herstellen, doch der Weg, den der Forscher eingeschlagen hat, scheint nicht nur Erkenntnisse darüber vermitteln zu können, wie Leben auf der Erde entstanden ist, sondern auch, wie man möglicherweise Lebewesen ähnlich wie Maschinen zu ganz bestimmten Zwecken durch Montage von Komponenten erschaffen könnte.

Grundvoraussetzung eines solchen Ansatzes ist natürlich zu wissen, welche Komponenten grundlegend für das einfachste Lebewesen sind. Man muß also von unten anfangen und jene Gene identifizieren, ohne die Leben nicht möglich ist. Venter experimentiert dabei mit Mycoplasma genitalium, einem Bakterium, das im Genitaltrakt und in den Lungen der Menschen haust, ohne uns, soweit bekannt, Schaden zuzufügen. Es handelt sich also um einen Mitbewohner, der dementsprechend genetisch abgespeckt ist. Mit nur 470 Genen, also einer überschaubaren Menge, weist dieses Bakterium weniger Gene als alle anderen derzeit bekannten Mikroorganismen auf - und ist daher ein gutes Modell für den reduktionistischen Ansatz.

Man trennte also ein Gen nach dem anderen ab, um zu sehen, ob es der Organismus auch ohne dieses schafft, am Leben zu bleiben. Man wisse allerdings nie, ob nicht die Funktion eines Gens, das man abgeschaltet hat, nicht durch ein anderes ersetzt werden könne. Trotz dieser Schwierigkeiten speckte man das Bakterium auf 300 Gene ab. Waren das möglicherweise die Grundelemente des Lebens? Früher, im mechanischen Zeitalter, dachte man schließlich, daß man nach der Rückführung einer Wirkung auf seine einfachen Ursachen - Analyse - diese nur wieder wie die Räder einer Uhr zusammensetzen könne, um durch eine Synthese die Wirkung hervorrufen zu können. Bei von Menschen gemachten Maschinen funktioniert dieser Ansatz, aber auf der biologischen Ebene scheint es doch ein wenig komplizierter zuzugehen. Sind die 300 Gene wirklich wesentlich für M. genitalium, so könnte man sie sich einfach zusammenklauben, um wieder ein lebensfähiges Bakterium zu erschaffen - und dann eben zusätzlich noch ein paar andere Funktionen dranhängen, die man gerne hätte.

Doch Lebewesen bestehen zwar alle aus denselben Bestandteilen von Genen, benutzen aber jeweils unterschiedliche Gene, um dieselben elementaren Leistungen zustande zu bringen. 50 Prozent der Gene in jedem Genom seien für die Wissenschaft neu, sagte Venter, und von den 300 elementaren Genen von M. genitalium habe man von 100, also einem Drittel, keine Ahnung, welche Funktion sie besitzen. Immerhin aber habe man entdeckt, daß es drei verschiedene Arten von Genen gibt, die für jedes Leben grundlegend sind. Diese steuern elementare Zellprozesse, die mit dem Transport von Kalium, Calcium und Phosphor zu tun haben.

Venter frägt, wohl auch auf die Aufmerksamkeit der Medien schielend, ob es denn moralisch richtig sei, Leben künstlich herzustellen, obgleich man ja doch noch weit davon entfernt und erst einmal lediglich mit der Analyse beschäftigt ist. Offensichtlich kommt viel auf die Kombination an. Und wie jeder weiß, der sich nicht mit der Wahrscheinlichkeitstheorie auskennen muß, aber gelegentlich Lotto spielt oder sich mit Verschlüsselungsprogrammen beschäftigt, ist die Chance sehr gering, mit auch nur 300 Elementen die erfolgreiche Kombination zu treffen. Menschen haben an die 100000 Gene ...

Gleichwohl ist Venter davon überzeugt, möglicherweise bald ein künstliches M. Genitalium aus den Genen anderer Bakterien schaffen zu können. Frankenstein würde dies mögen, kommentierte er, und fügte hinzu, daß diese Technik auch dazu benutzt werden könnte, neue Mikroorganismen für noch gefährlichere biologische Waffen zu erzeugen - und schlug vor, sich zu überlegen, ob man seine Forschung nicht doch besser aus diesem Grund verbieten sollte. Hat er sich und seine Forschung jetzt also interessant für diejenigen gemacht, die nach neuen biologischen Waffen Ausschau halten und nicht bloß die alten ein wenig verändern wollen? Wird er seine Forschungen einstellen? Ist er womöglich aufrichtig und strebt durch seine Forschung an, diese zu verbieten? Jedenfalls hat er publikumswirksam agiert und Aufmerksamkeit gefunden. Und die Antwort auf die Frage, ob es wirksamer ist, ein Bakterium nachzubauen, als eine existierende Form gentechnisch zu verändern, bleibt er uns schuldig. Solches künstliches Leben wird schließlich auch schon längst hergestellt.

Aber dann kam doch noch ein anderer Vorschlag, der womöglich zeigt, wie man die eigene Forschung vom Staat fördern lassen könnte, was ein Verbot ja verhindern würde. Venter schlug vor, daß man doch ähnlich wie das Human Genome Project ein Bio-Terrorism Genome Project in die Gänge bringen könnte, das die Gene aller möglichen biologischer Waffen sequenziert. Hätte man die gesamte genetische Information aller Krankheitskeime, dann könnte man auch Mittel finden, um deren Vorhandensein schneller zu entdecken und Gegenmittel zu entwickeln. Zudem würde ein solches Projekt auch Möglichkeiten eröffnen, neue Antibiotika zu entwicklen.